Mütze, Sonnenbrille und aufgeblasene Wangen – so fuhr Täve Schur zu seinen Erfolgen und in die Herzen der Menschen.
Mütze, Sonnenbrille und aufgeblasene Wangen – so fuhr Täve Schur zu seinen Erfolgen und in die Herzen der Menschen. Foto: Imago

Täve Schur freut sich, wenn er in seinem Haus in Heyrothsberge aus dem Fenster blickt, wo er seit dem Tode seiner Frau Renate allein lebt. Dort springen die Eichhörnchen von Baum zu Baum. Das Bild im Garten atmet tiefen Frieden. „Leider hört die heile Welt nur ein paar hundert Kilometer hinter der deutschen Ostgrenze auf. Dass ich angesichts des Krieges in der Ukraine immer öfter an die Friedensfahrt denke, können sicher zahlreiche Menschen nachvollziehen. Die Friedensfahrt gibt es leider nicht mehr. Dieses wunderbare Rennen wäre heute wichtiger denn je“, ist der inzwischen 91-jährige einstige Radstar überzeugt.

Ganz aus der Gedankenwelt der Menschen in Europa ist das Rennen unter dem Zeichen der Friedenstaube noch nicht verschwunden. 2006 rollte zum letzten Mal das bunte Fahrerfeld über die Straßen von Linz in Österreich durch Tschechien über das Erzgebirge und die „steile Wand“ von Meerane nach Hannover.

Vusreisen ins Friedensfahrt-Museum

Wie tief das Rennen in den Herzen vieler Europäer sitzt, davon kann Horst Schäfer als Chef des „Friedensfahrt-Museum“ im Börde-Dorf Kleinmühlingen erzählen. „Es kommen noch immer Busse aus ganz Europa, um sich unser Museum anzusehen. Für Sonnabend ist ein Bus mit Radsportfreunden aus Holland angesagt. Am 26. Mai steigt unser großer Friedensfahrt-Treff mit Täve Schur, Siegfried Huster, Uwe Ampler, Pavel Dolezal aus Tschechien und zahlreichen anderen ehemaligen Rennfahrern und Friedensfahrt-Freunden.“

Stolz ist Horst Schäfer über den Besuch des Polen Krzysztof Kozanecki.“ Gemeinsam mit Friedensfahrt-Sieger Lech Piasecki, mehrfacher Etappensieger beim Giro d’Italia, und Czeslaw Lang, Straßenrad-Olympiazweiter von 1980 und jetziger Direktor der Polen-Rundfahrt, will Kozanecki mit dem Nachlass von Weltmeister und Friedensfahrtsieger Ryszard Szurkowski in Polen ein Friedensfahrt-Museum nach dem Vorbild von Kleinmühlingen aufbauen.

Friedensfahrt: Alles Begann im Jahr 1948

Begonnen hat alles mit der Friedensfahrt genau vor 75 Jahren. Über Warschau lag damals im Spätherbst ein leichter Nebel. Es schien, als wolle jemand ein Tuch über die Stadt werfen, damit man die Trümmerberge nicht sieht. Zygmunt Weisz, Sportjournalist der damaligen Zeitung „Trybuna Ludu“, schaut angestrengt aus dem Fenster. Er will unbedingt helfen, das fürchterliche Erbe des Krieges aufzuhellen. Plötzlich ein schrilles Klingeln des Telefons. Am anderen Ende eine unbekannte Stimme. In einem Kauderwelsch aus Tschechisch und Polnisch versteht Weisz den Namen der Zeitung „Rude Pravo“ und den Namen Karel Tocel. Die Männer waren sich schnell einig. Wir veranstalten eine Friedensfahrt. Doch so glatt ging das nicht. Jeder wollte den Sieger empfangen. Am Ende wurde man sich einig. 1948 startete vom 1. bis 5. Mai eine Fahrt von Warschau nach Prag und vom 1. bis 9. Mai ein Rennen von Prag nach Warschau.

Die ersten großen Jahre der Friedensfahrt erlebten beide Gründer mit einem gewissen Stolz. Karel Tocel wohnte 1987 der 40. Friedensfahrt als Ehrengast bei, ehe er kurz danach verstarb. Zygmunt Weisz erliegt wenig später während der Österreich-Rundfahrt in einem Presse-Fahrzeug einem Herzinfarkt.

Täve Schur brauchte zwei Jahre bis zum ersten Sieg

Radsportlegende Gustav Adolf Täve Schur erinnert sich auch im hohen Alter von 91 Jahren noch genau an seine Friedensfahrt-Erlebnisse.
Radsportlegende Gustav Adolf Täve Schur erinnert sich auch im hohen Alter von 91 Jahren noch genau an seine Friedensfahrt-Erlebnisse. Fot: Imago

Von seinem ersten Start bis zum ersten Sieg vergingen für Täve zwei Jahre. Bevor er auf seinen ersten Sieg zurückschaut, bleibt er mit seinen Worten in der Gegenwart: „Ich habe eine Entzündung im rechten Arm und kann im Moment nicht Radfahren. Ich hoffe, dass die Entzündung schnell vorbeigeht. Ich will am 23. und 24. Mai bei der Rügen-Tour für krebskranke Kinder auf dem Rad sitzen. Die Veranstaltung ist mir ein inneres Anliegen“, gesteht Täve Schur.

Trainingsfahrten durch Matsch und Regen im Oderbruch

Dann wendet er wieder den Blick zurück: „Das war 1955. Ich hab’ als erster Deutscher das Gelbe Trikot geholt. Wir gaben den Menschen damals Hoffnung und ein paar Funken Lebensfreude. Vielleicht liegt es daran, dass ich 57 Jahre nach meinem Abschied von der Friedensfahrt immer noch   bei Lese- und Diskussionsabenden vor vollen Sälen sitze“, sagt Gustav-Adolf Schur mit einem leichten Anflug von Zufriedenheit.

Täves Siege waren schwer erarbeitet: „Wir hatten es nicht so schön wie heute die Profis. Die fliegen im Winter in die Sonne und trainieren bei angenehmen Temperaturen. Wir sind damals durch Matsch und Regen meist durch das Oderbruch gerast, weil wir in Kienbaum unser Trainingslager durchführten.

Sohn Jan ging es da als Mannschafts-Olympiasieger schon besser. Er konnte sich mit seiner Generation am Schwarzen Meer, in Kuba oder Mexiko auf schwere Rennen vorbereiten. Von solchen Bedingungen profitierte auch der Geraer Olaf Ludwig, mit 38 Tagessiegen, davon zwei Prologen, erfolgreichster Friedensfahrt-Etappenjäger.

Olaf Ludwig proftierte von der Friedensfahrt

Olaf Ludwig jubelt im Mai 1989 über den Etappensieg in Berlin.
Olaf Ludwig jubelt im Mai 1989 über den Etappensieg in Berlin. Foto: Imago

„Von der Friedensfahrt profitierte ich auch bei meinem Olympiasieg und später bei meinen Etappensiegen bei der Tour de France“, erinnert sich der 62-Jährige. Der leider nicht zum Traditionstreffen am 26. Mai kommen kann. „Wir sind mit Michael Schiffner in Bulgarien und betreuen dort Radtouristen aus verschiedenen Ländern“, begründet Olaf sein Fehlen und meint: „Aber mit der Friedensfahrt werde ich immer noch ständig konfrontiert. Ich erhalte Briefe mit Autogrammwünschen und werde oft auf dieses herrliche Rennen mit dem hohen moralischen Anspruch angesprochen.“

Der Barkas gehörte als Begleitfahrzeug zum Inventar der Friedensfahrt.
Der Barkas gehörte als Begleitfahrzeug zum Inventar der Friedensfahrt. Foto: Imago

Als letzter Sieger stand der Italiener Gianpaolo Cheula ganz oben auf dem Siegerpodest. Die Friedensfahrt-Fanfare ist ebenfalls noch nicht verstummt. Sie liegt noch auf verschiedenen Tonträgern in manchen Haushalten. „In unserem Museum kann sich jeder Besucher ohnehin, so oft er will, die Friedensfahrt-Fanfare anhören,“ meint Horst Schäfer. Vielleicht erklingt diese Fanfare eines Tages auch wieder aus Anlass einer neuen Friedensfahrt. Man weiß ja nie ...

Statistik zu 58 Friedensfahrten: Erster Sieger 1948: August Prosinek ( Jugoslawien). Letzter Sieger 2006: Gianpaolo Cheula (Italien). Erfolgreichster Gesamtsieger: Steffen Wesemann (Magdeburg) jetzt Schweizer Staatsbürger mit fünf Gesamtsiegen. Erster deutscher Gesamtsieger: Gustav-Adolf Schur (Magdeburg) 1955. Erfolgreichster Etappensieger: Olaf Ludwig (Gera) 36 Etappen- und zwei Prologsiege. Es gab 48 verschiedene Gesamtsieger. In deutscher Sprache erschienene 18 Bücher, mehrere Radio-Features sowie Fernsehfilme im DFF und ZDF über die Friedensfahrt. Insgesamt rollte auf dem Course de la Paix zwischen 1948 und 2006 das Peloton über 693 Etappen in der DDR, Deutschland, CSSR, Tschechien, Slowakei, Polen, Österreich und der ehemaligen UdSSR.

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