Täve, der Helfer mit dem großen Herzen

Am Wochenende gab es willkommene Abwechslung im Hause Schur. Sohn Jan war da, um nach dem Rechten zu sehen. Seine Eltern, beide 89 Jahre alt, sind zwar noch gut beisammen, aber Mutter Renate kränkelt. Vater Gustav Adolf, den kaum einer unter diesem Namen kennt, ist nach wie vor fit und steht seiner Frau rührend zur Seite, freute sich aber schon Tage vorm Besuch, weil er neben der Abwechslung Hilfe bekam. Dabei ist eigentlich er, Täve, der Helfer mit dem großen Herzen.
Wem hat der Grandseigneur einer ganzen Sportnation nicht alles zur Seite gestanden. Das DDR-Sextett hat er bei zig Friedensfahrten als Kapitän taktisch bestens beraten, mehrmals zum Mannschaftserfolg geführt und dabei nie den Star raushängen lassen, obwohl sie ihm das als zweimaligem Straßen-Weltmeister durchaus verziehen hätten.
Bei den Olympischen Sommerspielen 1960 in Rom hat er bei sengender Hitze den völlig entkräfteten Erich Hagen über die Ziellinie geschoben, um für die damals gesamtdeutsche Mannschaft Silber im 100-km-Mannschaftszeitfahren zu sichern. Unübertroffen jedoch ist das regelrechte Husarenstück bei der Heim-WM 1960 auf dem Sachsenring bei Hohenstein-Ernstthal, als er auf den möglichen WM-Hattrick verzichtete und dafür Mannschaftskamerad Bernhard Eckstein im Solo-Ritt auf den Thron und ins Regenbogentrikot fahren konnte.
„Was willst du in deinem Alter mit so einem Flitzer?"

Genau in diesem Moment ist aus dem ohnehin exzellenten Radsportler Gustav Adolf Schur, in der DDR neunmal Sportler des Jahres und ein zehntes Mal mit der Friedensfahrt-Equipe als Mannschaft des Jahres, der Beste der Besten, die Legende Täve geworden.
Aber die Nase hoch zu tragen, das ist nicht sein Ding. Das war es noch nie gewesen. Und geholfen hat er immer, auch jetzt noch.
Wie dieser Tage erst, als ihn ein alter Weggefährte aus Berlin anrief, der sich mit 99 (!) Jahren ein neues Fahrrad zulegen wollte, ein möglichst schnittiges, und Täve um Rat bat, wie schnittig es sein dürfe. Es wäre leicht gewesen, dem Senior etwas einzureden, möglichst teuer zumal, schließlich betreibt Gus-Erik, der jüngere Sohn, in Magdeburg „Täves Radladen“. Aber nicht mit dem Vater, dem Vorzeige-Athleten von gestern und dem Vorzeige-Menschen von heute, dem Fairplay schon immer wichtiger war als ein möglicher eigener fies erschlichener Vorteil! „Bist du verrückt!“, hat Täve seinem Bekannten die ziemlich durchgeknallte Idee ausgeredet, „natürlich gibt es heute die herrlichsten Maschinen, aber was willst du in deinem Alter mit so einem Flitzer? Kauf dir ein normales Rad, nicht zu teuer, vor allem aber eines, von dem du nicht runterfliegst. Denn in deinem Alter stehst du bei einem Sturz nicht mehr auf.“
Auch derzeit hilft Täve. Diesmal im eigenen Hause in Heyrothsberge, sozusagen in eigener Sache. Ehefrau Renate ist nicht richtig auf dem Damm. „Ich bin für sie da, natürlich, auch wenn ich dadurch zeitlich nicht groß zu anderen Dingen komme“, sagt er.
Zwei Kettensägen zu Hause

Doch der Verzicht fällt ihm nicht schwer, denn sobald Renate wieder auf den Beinen ist und die Einschränkungen durch Corona gelockert werden, ist auch sein Terminkalender wieder rappelvoll. „Es stehen Buchlesungen an, auch bin ich zu einer Fernsehsendung eingeladen.“ Nachdem er erst kurz vor den Einschränkungen durch Covid-19 bei der MDR-Talkrunde „Riverboat“ eine gute Figur abgab, sind seine Schlagfertigkeit und sein Humor bei „MDR um vier“ gefragt. Nur weiß noch keiner, wann das sein wird.
Geholfen hätte Täve auch gerade jetzt, im Sommer, wie zuletzt in jedem Jahr, als Stammgast bei der „Tour der Hoffnung“, einer Radsport-Benefizveranstaltung, deren Erlös krebs- und leukämiekranken Kindern zugutekommt. „Seit 19 Jahren war ich stets dabei, es war mir ein Herzensanliegen und es sind Millionen Euro zusammengekommen. Nur findet die Tour in diesem Jahr wegen Corona nicht statt.“
Genug zu tun hat Täve dennoch. Zum Beispiel an seinem Häuschen, das er seit Jahrzehnten bewohnt, weil er es von seinen Eltern geerbt hat. Da aast der Mann, der sonst die Bescheidenheit in Person ist, für seine Verhältnisse schon mal rum. „Eine Kettensäge reicht bei mir nicht, ich weiß auch nicht, warum das so ist, aber ich habe zwei.“
Und bevor Jan am Wochenende zu Besuch kam, hatte Täve noch mehr zu tun als sonst. „Ich war richtig unter Druck“, sagt er, „ich musste die Garage aufräumen, denn die sah zum Fürchten aus. Das hätte Jan nicht sehen dürfen, der achtet ganz penibel auf Ordnung.“
Täve wie er leibt und lebt

Dafür verwöhnte der Sohn, jeweils im 100-km-Mannschaftszeitfahren 1988 in Seoul Olympiasieger, 1989 in Frankreich Weltmeister und nach Täves langjährigem Freund Jan Vesely benannt, einem damaligen Radsport-Haudegen aus Prag, seine Eltern mit Spaghetti vom Feinsten. Da konnte es auch der Vater mal ruhiger angehen lassen. „Ich musste nur noch Knoblauch besorgen“, verrät er, um mit seinem einmaligen Humor allen gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: „Ich bin dann ja wieder allein mit meiner Frau, wen also stinkt das dann noch an …?“
Weil Renate noch nicht ganz fit ist, steigt Täve auch noch nicht wieder aufs Rennrad, auf dem er noch immer Touren von 50 oder 60 Kilometern zurücklegt. „Ein anderer Grund ist, dass meine Knie zurzeit nicht so richtig wollen, die vertragen die Kälte nicht.“
Je höher die Sonne jedoch steigt, desto kribbeliger wird auch die Radsport-Legende wieder. „Das kommt schon noch“, bleibt das Idol vieler Generationen wie immer optimistisch, „aber erst einmal kümmere ich mich um meine Frau.“
Täve wie er leibt und lebt, als Helfer mit dem großen Herzen