Renate Stecher: Einst Sprintstakkato, heute Kaffeeklatsch
Die Thüringerin stieg bei den Spielen in München mit ihrem unnachahmlichen Laufstil zur Weltklasse-Sprinterin auf.

Am 26. August 1972 zogen Sportlerinnen und Sportler aus 121 Ländern zur Eröffnung der Olympischen Spiele in das Münchner Olympiastadion. Mit sieben Goldmedaillen schwamm sich der US-Amerikaner Mark Spitz in die Geschichtsbücher des Sports. Mit 99 Medaillen sammelten die Athleten der einstigen Sowjetunion die meisten Medaillen vor den USA (94) und der damaligen DDR (66) und der gastgebenden Bundesrepublik (40). Erfolgreichste deutsche Sportlerinnen waren Turnerin Prof. Dr. Karin Büttner-Janz mit fünf Medaillen (2x Gold, 2x Silber, 1x Bronze), Renate Stecher (2x Gold, 1x Silber), Heide Rosendahl (2x Gold, 1x Silber) und Monika Zehrt (2x Gold). Nach 50 Jahren schaut der KURIER zurück.
Zum Weltstar stieg damals die Thüringerin Renate Stecher auf. Ihrem Schrittstakkato vermochte keine Konkurrentin zu folgen. Gold über 100 m und Gold mit Weltrekord von 22,40 Sekunden über 200 m. In der Staffel blieb ihr Silber, weil die Leverkusenerin Heide Rosendahl nicht mehr einzuholen war.

Damals wurde in den Medien ein Politikum daraus gemacht. Die Sprinterinnen aus Ost und West ließen aber den Rummel an sich abtropfen, wie Heide Rosendahl erst jetzt wieder in einem Interview bestätigte. Der Sieg galt damals als Triumph des freien Deutschland gegen die kommunistische DDR, hieß es in westdeutschen Medien.
Tuscheln im Klassenkampf auf der Toilette
„So haben wir Athletinnen das nicht gesehen. Wir haben gern mit den Frauen aus der DDR gesprochen. Manchmal ging es nur auf der Toilette, weil wir da von deren Aufpassern unbeobachtet waren. Nach dem Fall der Mauer habe ich Renate schon ein paar Mal besucht.“ Was Renate Stecher im Gespräch mit dem KURIER bestätigt. Den Staffelsieg holten die DDR-Sprinterinnen 1976 in Montreal übrigens nach.
Die heute 72-Jährige pensionierte Hochschul-Lehrerin gibt aber immer noch zu: „Ein bisschen wurmt es schon, wenn du von einer Weitspringerin bezwungen wirst.“ Trotzdem kann Renate Stecher, die als Renate Meißner im sächsischen Süptitz geboren wurde, auf eine große Sprint-Karriere mit 20 Weltrekorden blicken. Stecher lief als erste Frau unter 11 Sekunden. 2011 wurde die studierte Pädagogin für Biologie und Sport in die „Hall of Fame“ des deutschen Sports aufgenommen.
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Renate Stecher ist Mutter von drei Töchtern und hat vier Enkel
Als Mutter von drei Töchtern (45, 42, 35) und Oma von vier Enkeln, zwischen fünf und 17 Jahre alt, kann die einstige Weltklassesprinterin über Langeweile nicht klagen: „Bei mir ist immer etwas los. Aber nicht nur wegen der Kinder. Ich halte mich nach wie vor mit Sport entsprechend meinem Alter fit. Basketball spiele ich noch immer gern. Außerdem treffen wir Jenaer Sprinterinnen uns vier- bis fünfmal im Jahr zu Wanderungen und manchmal auch nur zum Kaffeeklatsch.“
Der Freizeitsport brachte auch wieder Mut und Freude in Renate Stechers Leben. Für die einst so schnelle Frau gab es Schicksalsschläge zu überwinden. 2012 starb ihr Ehemann und 2019 galt es, nach einem Sturz einen Oberschenkel-Halsbruch auszukurieren. Mit einem Anflug von Stolz sagte sie, was sie in Gesprächen immer wieder gern betont: „Es ist doch schön, wenn die Enkel sehen, dass die Oma immer noch etwas drauf hat.“