Julian Nagelsmann ließ großen Frust erst gar nicht zu. Während Joshua Kimmich sich noch beim Schiedsrichter beschwerte und Florian Wirtz enttäuscht den Kopf hängen ließ, ging der Bundestrainer direkt nach dem Abpfiff auf seine „Aufbau-Runde“. Ein Tätscheln hier, ein Schulterklopfer dort - die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hatte auch den Trostpreis bei ihrem Heimturnier verspielt, aber dennoch eine anständige Leistung gezeigt.
Leise Zweifel an einer erfolgreichen WM-Mission sind allerdings ein Jahr vor Turnierstart angebracht. Beim 0:2 (0:1) im Spiel um Platz drei der Nations League gegen ein ersatzgeschwächtes Frankreich war die Chancenverwertung höchst fahrlässig, nach der Pause ließ auch der offensive Schwung deutlich nach. Marc-André ter Stegen verhinderte mit mehreren Super-Paraden Schlimmeres.
„Wir müssen nach sechs Minuten schon 3:0 führen. Dann haben wir irgendwie die Struktur verloren - dann ist es für die Franzosen mit den vielen Kontern natürlich ein perfektes Spiel“, sagte Kapitän Kimmich bei RTL. „In der ersten Halbzeit hatten die ehrlich gesagt gar keinen Bock zu gewinnen.“
45 Minuten lang spielte die deutsche Mannschaft den beliebten Nagelsmann-Ball. Frankreich aber überstand irgendwie brenzlige Szenen im Dutzend, Florian Wirtz scheiterte am Pfosten (36.) - und dann schlug Superstar Kylian Mbappé eiskalt zu (45.+1). Bayern-Profi Michael Olise traf zur Entscheidung (84.).
Für Nagelsmann ist das Mini-Turnier, das den Weg Richtung WM 2026 weisen und eine Kultur des Siegens etablieren sollte, ein Misserfolg. Zum zweiten Mal verlor er mit der Nationalmannschaft, der ebenfalls einige Stars fehlten, zwei Spiele in Folge.
Nagelsmann gesteht Fehler gegen Portugal ein
Im September beginnt für den Bundestrainer und sein Team die WM-Qualifikation in der Slowakei und gegen Nordirland in Köln. Erst einmal zerstreuen sich seine Spieler nun in alle Winde: Sie fliegen zur Klub-WM in den USA wie Kimmich, zur U21-EM in der Slowakei wie Shootingstar Nick Woltemade - oder in den Urlaub.
Nagelsmann gestand sich nach der „großen Enttäuschung“ des 1:2 im Halbfinale gegen Portugal einen System-Irrtum ein. Seine Idee einer Dreier-Abwehrreihe hatte nicht gegriffen, er stellte auf eine Viererkette mit Jonathan Tah und Robin Koch im Zentrum um. Pascal Groß ersetzte Aleksandar Pavlovic im defensiven Mittelfeld, Karim Adeyemi durfte sich für Leroy Sané versuchen - und vorne spielte Niclas Füllkrug gleich steil auf Woltemade, der nach nur 80 Sekunden eine riesige Möglichkeit vergab. Es war nur ein Spiel um den dritten Platz, das „Titelchen“ schon verpasst, Nagelsmann aber hatte die Motivation zur Charakterfrage erhoben.
Frankreich wies dem Spiel hingegen nach seinem spektakulären 4:5 gegen Spanien eine klar nachrangige Bedeutung zu. Didier Deschamps änderte die Startelf auf acht Positionen - dementsprechend kam die neue Abwehr gegen Füllkrug (5.) und Adeyemi (6.) auch kräftig ins Schwimmen.
Wie von Nagelsmann erhofft, eroberte seine Mannschaft mit hohem Pressing-Risiko häufig tief in der französischen Hälfte den Ball. Die Spieler wechselten ihre Positionen, agierten sehr flexibel und erarbeiteten sich in den ersten zehn Minuten mehr Gelegenheiten als im gesamten Portugal-Spiel. Adeyemi (24.) belebte merklich den Angriff, der BVB-Profi sah jedoch nach einer längeren Überprüfung durch Schiedsrichter Ivan Kruzliak die Gelbe Karte, weil er im Duell mit Maignan zu leicht fiel (34.). Es folgte Wirtz' Pfostenschuss.
Deutsche Leidenschaft wurde nicht belohnt
Es war bis dahin ein leidenschaftlicher Auftritt, dem die Belohnung fehlte - und wie das so ist, treffen dann die anderen. Mbappé legte sich den Ball nach einer Flanke elegant auf den linken Fuß, wackelte Kimmich aus und überwand ter Stegen mit rechts. Schön, jedoch nicht verdient.
Deniz Undav ersetzte zur Pause den agilen, aber glücklosen Woltemade und führte sich mit einem Fehlpass ein, den Mbappé beinahe zum zweiten Tor genutzt hätte (47.). Dann hatte Undav endlich Maignan überwunden - aber Kruzliak kassierte den Ausgleich nach Videostudium wieder ein. Füllkrug hatte sich den Ball gegen Rabiot zu rabiat erkämpft.