Nationalmannschafts-Krise
Sammer-Tacheles: Nicht einfach weitermachen und weiterhoffen
Dortmunds Berater kritisiert schonungslos Ist-Zustand und Abläufe im deutschen Fußball und sagt, warum er nicht an der Seite von Sami Khedira mit anpacken wird.

Matthias Sammer gehört nicht zu Deutschlands Weltmeistern. Den Goldpokal hat der 55-Jährige nicht gewonnen. Trotzdem steht Fußball-Deutschland stramm, wenn Sammer laut wird. Meistens redet er Tacheles intern. Wenn er es öffentlich macht, dann mit viel Kalkül und noch mehr Wucht. Aktuell nimmt Sammer die Nationalmannschaft und den DFB aufs Korn.
„Seien wir doch mal ehrlich: Wir liegen am Boden“, sagt der 56-Jährige im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Egal ob im Klub- oder Verbandsfußball, im Profi- oder Nachwuchsbereich: „Vom Anspruch ‚Weltspitze‘ sind wir überall weit entfernt.“ Der deutsche Fußball habe „komplett seine Identität verloren“.
Sammer stellt dieses katastrophales Zeugnis als Berater von Borussia Dortmund aus. Aber, wenn er etwas sagt, dann hört Fußball-Deutschland zu. Weil er in seiner Karriere überall den Erfolg bewegte.
Matthias Sammer kann sich die knallharte Kritik leisten, weil seine Karriere für Erfolg steht
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Am Anfang beendete er mit Dynamo Dresden die Zehn-Meister-Titel-Serie des BFC Dynamo in der DDR-Oberliga, wurde nach der Wende mit dem VfB Stuttgart Meister (1992), mit Borussia Dortmund auch (1995 und 96), gewann mit dem BVB die Champions League (1997) und Europameister wurde er 1996. Ohne die eine oder andere Verletzung wären es vielleicht mehr Titel geworden. Aber auch als Trainer und Funktionär war Sammer bei vielen Sternstunden dabei. Bei Dortmunds Meisterschaft 2002 als Trainer, bei Bayerns Champions League Sieg 2013 als Sportdirektor und beim DFB führte er auch mal Regie.
Sammer und Erfolg, dass ist immer auch das Produkt harter Arbeit. Und knallharter Analysen. Fundiert bohrt Sammer in der Wunde beim DFB. Verloren gegangene Tugenden sind für ihn eines der Hauptprobleme. „Wir waren körperlich sehr stark, wir waren top in Eins-gegen-eins-Duellen, egal ob offensiv oder defensiv. Und wir wollten immer gewinnen. Aber plötzlich haben wir uns für diese deutschen Tugenden fast geschämt! Rumpelfußball, hieß es auf einmal.“
Einmal in Fahrt kritisiert Sammer schonungslos weiter. Man habe sich an „einem Gesetz des Leistungssports versündigt“. Ein Gesetz, das besagt, „dass die Entwicklung nicht stehen bleibt und die großen Leitlinien deshalb alle zwei, drei Jahre überprüft und, wenn nötig, angepasst werden müssen. Und das haben wir überhaupt nicht mehr gemacht. Deshalb stehen wir jetzt da, wo wir stehen“, monierte Sammer. Man müsse sich den Tatsachen stellen „und Lösungen finden. Nicht einfach weitermachen und weiterhoffen!“ Nun brauche es „dringend eine Kurskorrektur: Wir müssen wieder einen Schritt zurück machen und uns trauen, unsere Erfolgsgaranten wieder zu benennen.“
Für Sammer kann der Weg zurück zum Erfolg nur über Personen gehen
Sammer ist überzeugt davon, dass das nur über Personen geht. „Unser Fußball braucht Leute an der Spitze, sowohl im operativen Bereich als auch in den Gremien, die diese Eigenschaften glaubwürdig verkörpern – und gleichzeitig garantieren, dass wir die Entwicklungen in der Welt nicht aus den Augen verlieren.“
Deshalb sei die Wahl des Sportdirektors „entscheidend für die Zukunft des deutschen Fußballs“. Der Sportdirektor solle sowohl für die A-Nationalmannschaft zuständig als auch die anderen Bereiche im Blick haben. Er müsse ein „Siegertyp sein, ein Anführer, einer, der weiß, wie gewinnen geht, der alles im Blick hat und zusammenführt.“
Sammer belässt es aber nicht mit dem Aufdecken der Schwächen, er geht auch hart mit handelnden Personen ins Gericht. Komplett unzufrieden ist er mit mit der Arbeit in der nach dem WM-Debakel gegründeten Task Force. „Der Arbeitsnachweis nach einem Dreivierteljahr ist die Installierung von Rudi Völler und Hannes Wolf. Das ist in meinen Augen ein bisschen wenig. Was bisher beschlossen wurde, ist zu wenig. Es fehlt an Inhalt und Struktur, und es fehlt vor allem ein Anführer.“

Den Sinn der Task Force, die das WM-Debakel aufarbeiten soll, bezweifelt Sammer
Als Konsequenzen aus dem Vorrunden-Aus bei der WM in Katar und der Trennung von Direktor Oliver Bierhoff wurde Ex-Teamchef Völler übergangsweise zum Sportdirektor der A-Nationalmannschaft der Männer ernannt. U20-Trainer Wolf wurde zum Sportdirektor Nachwuchs, Training und Entwicklung befördert.
„Ich war ja vorher noch nie in einer Task Force, aber nach meinem Verständnis heißt das: zeitlich begrenzt – und mit Entscheidungsgewalt. Deshalb dachte ich: Das ist okay. Bei der ersten Sitzung hieß es dann, dass es übrigens noch eine zweite Task Force gibt und weitere Gremien. Da habe ich schon gedacht: Und was soll unsere Task Force jetzt?“, sagte Sammer. Neben ihm zählen auch Hans-Joachim Watzke, Karl-Heinz Rummenigge, Oliver Kahn und Rudi Völler zu dem Expertenrat.
Mit Sami Khedira hatte Sammer sehr gern zusammengearbeitet
Sammer macht zudem keinen Hehl daraus, dass er gerne Rio-Weltmeister Sami Khedira als starken Mann beim DFB gesehen hätte. „Sami war mein Vorschlag“, verriet der frühere Dortmunder: „Der hat Qualitäten, die kannst du nicht lernen – die musst du haben. Er ist einfach ein Winner-Typ.“ Um den gebürtigen Stuttgarter an Bord zu holen, hätte sich Sammer sogar selbst verstärkt eingebracht: „Meine Idee war ein Modell mit Sami, Hannes Wolf und mir.“
Zu einer Einigung zwischen Verband und Khedira ist es jedoch nicht gekommen. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass der Verband einen starken Sportdirektor haben will“, sagt Sammer: „Fakt ist: Der DFB braucht für den sportlichen Bereich sofort ein starkes Gesicht. Rudi Völler macht das gut, aber er soll und will ja auch gar nicht der starke Mann sein, der den deutschen Fußball in die Zukunft führt. Wir müssen doch jetzt schon im Blick haben: Was passiert ab dem Montag nach dem EM-Finale?“
Die Tür macht Sammer nicht zu. Aber der Geduldsfaden des Machers ist angespannt. Zum reißen angespannt. Vielleicht kann er sich vorstellen, auch ohne Sami Khedira an der Seite eines anderen starken Machers mitzumachen. Das muss dann aber schnell gehen. Ein Jahr lang einfach nur reden ist nicht Sammers Ding. Dann ist er weg.