Deutsches Top-Team Bora-hansgrohe: Bei der Tour neben der Spur
Nicht nur Ex-Sportchef Enrico Poitschke grübelt, warum der große Erfolg beim Team um Lennard Kämna ausbleibt.

Ruhetag bei der Tour de France, Zeit für ein Zwischenfazit. Das fällt beim deutschen Top-Team Bora-hansgrohe trotz aller Bemühungen eher mau aus: noch kein Etappensieg, Kapitän Alexander Wlasow (26) als Gesamt-11. weit vom Podium entfernt. Es herrscht Unzufriedenheit. Auch bei Ex-Sportchef Enrico Poitschke (52).
Bora-hansgrohe macht und tut, kommt aber nicht so recht aufs Tableau. Lennard Kämna (25) fehlten einmal nur 100 Meter zum Tagessieg, ein anderes Mal nur 11 Sekunden am Gelben Trikot. Nils Politt (28) trägt heute auf der 16. Etappe die rote Startnummer als Auszeichnung für den kämpferischsten Fahrer des Sonntags. Aber sonst?
Nach der 14. Etappe, als das Team geballt in der Spitzengruppe dabei war und doch nichts holte, wetterte Kämna: „Schön Fünfter, Siebter, Achter, Neunter geworden. So richtige Voll-Amateure.“ Fast schon trotzig klingt die Kampfansage: „Es wird nicht einfacher, aber wir werden es weiter probieren.“
Bora-hansgrohe: Lennard Kämna fehlen nur 11 Sekunden für das Gelbe Trikot

Für Poitschke ist es einfacher, Klartext zu reden: „Beim Blick auf die aktuelle Tour-Bilanz sieht es bei Bora nicht so gut aus.“ Er selbst war neunmal bei der Tour dabei. 2007 einmal im Sattel fürs damalige Milram-Team. Mit 37 Jahren! Seitdem gilt Poitschke als ältester Tour-Debütant aller Zeiten. Achtmal lenkte der Ex-Profi als Sportdirektor die Geschicke bei Bora-hansgrohe bzw. den Vorgängern NetApp und Net-App-Enduro, war seit 2010 im Amt.
In diesem Jahr beobachtet der gebürtige Görlitzer die Tour vom heimatlichen Leipzig aus. Ralph Denk (48), Chef des Rennstalls Bora-hansgrohe, hatte Poitschke sowie dessen Leipziger Chef-Kollegen und Ex-Profis André Schulze (47) und Steffen Radochla (43) im Herbst 2021 gefeuert. Die Begründung von Bayer Denk: „Es ist nicht so, dass ich mit den Ergebnissen unzufrieden wäre – wir haben in den letzten Jahren alle zusammen gute Arbeit geleistet –, aber der Radsport hat sich verändert und wir müssen uns an diese Veränderungen anpassen, um mithalten zu können.“
Bora-hansgrohe: Rolf Aldag nimmt Kämna-Drama auf seine Kappe

Denk holte Rolf Aldag (53) ins Team und schwärmte: „Für mich ist Rolf durch seine große Erfahrung, sein technisches Know-how und sein Engagement eine klare Bereicherung für Bora-hansgrohe.“
Okay, aber dass Kämna auf dem zehnten Tagesabschnitt Gelb nur hauchdünn verpasste, nahm Aldag auf seine Kappe. Der Ex-Edelhelfer des einzigen deutschen Toursiegers Jan Ullrich (48): „Dass da die Chance bestand, habe wir zu spät realisiert.“ Zu spekulieren, ob Poitschke das auch passiert wäre, hilft auch nicht weiter.
Bora-hansgrohe: Ex-Sportchef Enrico Poitschke fiebert mit
Für ihn sind inzwischen andere Dinge wichtiger. „Ich habe mich gefreut, als der Australier Jai Hindley im Mai den Giro für Bora-hansgrohe gewann. Hindley habe ich noch zu Bora geholt.“ Ein Glückwunsch schickte Poitschke auch an den Giro-Dritten Mikel Landa. Der Spanier gehört nämlich zu seinem aktuellen Team. Seit Jahresbeginn steht Poitschke, mehrfacher Etappensieger der einstigen Friedensfahrt, beim Team Bahrain-Vitorius unter Vertrag und verrät: „Ich betreute die Mannschaft in diesem Jahr bei allen Klassikern, bin bei der Polen-Rundfahrt, der Deutschland-Tour und den Herbstrennen dabei.“
Über mangelnde Beschäftigung kann er sich auch ohne Tor de France nicht beklagen. Gemeinsam mit André Schulze betreibt Poitschke in Leipzig das Sportgeschäft „Rothai“: „Das läuft ganz gut. Wir sind gerade im Stress, weil wir umziehen um und unseren Laden vergrößern.“
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