Gastbeitrag von Union-Profi Michael Parensen

Der ewige Micha über sein erstes Bundesligajahr mit den Eisernen

Der 34 Jahre alte Abwehrmann schreibt in eindrücklichen Worten über seine Erfahrungen aus einer Saison der Extreme.

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Seit 2009 beim 1. FC Union: Michael Parensen.
Seit 2009 beim 1. FC Union: Michael Parensen.Imago Images/Behrendt

Samstag 15:30, Alte Försterei, Heimspiel, der 1. FC Union in der Bundesliga. Die Vorfreude steigt mit jeder Minute, die wir im Bus zum Stadion zurücklegen. Vor meinem inneren Auge spielt bereits unsere Hymne zum Einlaufen, ich blicke auf tausende Menschen, die darauf brennen ihren Verein von der ersten Sekunde bis zur letzten zu unterstützen, die alles geben wollen an diesem Tag, die sich freuen, dass ihr Verein es geschafft hat in der Ersten Liga zu spielen. Ein Feiertag.

Das sind die ersten Gedanken, die mir in den Kopf kommen, wenn ich an den Beginn der sich nun zum Ende neigenden Spielzeit zurückblicke. Die Euphorie des dramatischen Aufstiegs ist längst nicht verflogen, sondern beflügelt mich. Ich gehe gelassen und mit einer riesigen Vorfreude in die Vorbereitung auf unsere erste Bundesligasaison. Die Vorzeichen sind klar: Wir werden es wahnsinnig schwer haben im Konzert der „Großen“ eine Rolle zu spielen, ein paar richtige zu Töne treffen wäre schon ein Erfolg.

Ähnliches gilt für meine eigene Situation. Im Spieltagskader zu sein wäre toll, vielleicht ein bisschen Bundesligaluft schnuppern und wenn es nur am letzten Spieltag ist, an dem es hoffentlich um nichts mehr geht. Nicht gerade rosige Aussichten - aber verdammt noch mal, wir sind dabei!

Der Erfolg des Aufstiegs hallt also noch nach in den ersten Tagen dieser neuen Saison, von der wir alle nicht wussten, was sie uns – schlussendlich – bringen sollte.

Unser Ziel ist klar, der Klassenerhalt, unser Weg dahin jedoch gar nicht so sehr. Eine auf vielen Positionen neuformierte Mannschaft muss sich finden und eine gemeinsame Marschroute entwickeln. Wenige von uns haben mehr als ein paar Spiele in der höchsten Spielklasse auf dem Buckel und bei der individuellen Qualität der gegnerischen Teams muss man in dem ein oder anderen Spiel um unsere Wettbewerbsfähigkeit fürchten.

Ausgerechnet auf einen solchen Gegner treffen wir in unserem ersten Spiel in der Bundesliga.

Ein Feiertag? Aus mehr als einem Grund nicht. Zu sehr sind wir spielerisch unterlegen gegen einen Champions-League- Teilnehmer aus Leipzig, der uns allerdings bei der Zahl der Mitglieder nicht das Wasser reichen kann und nicht zu den Lieblingsgästen der Unioner zählt.

Auch in den darauffolgenden Spielen tun wir uns, bis auf eine rauschhafte Ausnahme, an einem warmen Abend im August, schwer, das geforderte Niveau zu erreichen, sodass wir nach dem siebten Spieltag dort stehen, wo es die meisten Experten vor der Saison erwartet hatten, auf einem der drei letzten Plätze. Meine persönliche Bilanz bis zu diesem Zeitpunkt sieht noch weniger bundesligareif aus, drei Berufungen in den Spieltagskader, ohne eine einzige Einsatzminute stehen zu Buche. Soweit verläuft also alles nach Plan.

Mit dem Spiel gegen den SC Freiburg, der bis dahin einen herausragenden Saisonstart vorzuweisen hat, soll die erste Bundesligaspielzeit der Vereinsgeschichte jedoch einen anderen, eher unerwarteten Weg einschlagen. Mein erstes Bundesligaspiel endet mit einem souveränen 2:0 Sieg und der Erkenntnis: Es geht auch auf diesem Niveau.

Auf diesen zweiten Bundesligasieg folgen eine knappe Niederlage beim Branchenprimus aus München, der Einzug ins Achtelfinale des DFB-Pokals durch einen erneuten Sieg gegen den SC Freiburg und ein Last-Minute-Sieg im Berliner Derby. Daraufhin noch Siege in Mainz und gegen Mönchengladbach an der Alten Försterei. Diese Spiele katapultieren uns regelrecht in der Tabelle nach vorn und wir finden uns auf dem elften Platz wieder. Wir sind angekommen, mittendrin statt nur dabei.

Dasselbe gilt auch für mich, die Nominierungen für die Reisen zu Spielen sind fast Normalität und der eine oder andere Einsatz ist auch mit dabei.

Bis zum letzten Hinrundenspieltag, der ein grandioses Jahr 2019 beschließen soll, geht kein Spiel verloren, an dem ich mitwirken darf. Dass dieses Spiel in Düsseldorf kurz vor Weihnachten für mich trotzdem zu einem tollen Erlebnis wird, ist meinem mittelstürmerwürdigem Torinstinkt zu verdanken, der mich eine bereits abgewehrte Ecke aus kurzer Distanz zu meinem ersten Bundesligator über die Linie drücken lässt.

Nach dem ersten Bundesligahalbjahr reiben sich doch viele Menschen, mit denen ich spreche, die Augen. „Ihr macht das richtig ordentlich“, „du spielst ja doch ziemlich oft“, „du kannst Tore schießen?“ sind die gängigen Kommentare.

Es läuft also alles andere als geplant und wir finden Gefallen daran. Niemand ahnt zu dem Zeitpunkt, was uns noch bevorstehen sollte.

Der Start in die Rückrunde verläuft, analog zum Beginn der Saison, holprig. Wir finden immer mal wieder zu unserem Spiel, können die Gegner jedoch nicht mehr so überraschen und aus der Reserve locken wie in einigen Partien der Vorrunde. Nachdem wir aus dem DFB Pokal ausgeschieden sind, bleiben für den Verein neben dem großen Ziel Klassenerhalt noch zwei Highlights in der Saison. Ein Heimspiel gegen Bayern München und ein weiteres Mal das Derby.

Leider werden uns zwei dieser drei restlichen Höhepunkte durch einen Virus genommen, den in der Art natürlich niemand auf dem Plan hatte.

Die Zeit, in der wir unseren Job nicht ausüben dürfen ist, wie für die allermeisten Menschen auch, sehr herausfordernd und schwer zu akzeptieren. Sie sorgt aber auch dafür, sich bewusst zu werden, wie reibungslos und selbstverständlich unser Alltag normalerweise verläuft, aber auch, dass es nicht viel braucht, um ein System einstürzen zu lassen, von dem wir glauben, dass es unser Leben ist. Der Profifußball zeigt sich als sehr fragiles Gebilde, das ohne die Selbstverständlichkeit von Finanz- und Zuschauerströmen nicht überleben kann.

Oftmals wird in dieser Zeit gefordert, etwas zu ändern und sich auf die ursprünglichen Werte des Fußballs zu berufen. Ich glaube, dass sich in dieser Zeit der Krise eines gezeigt hat: Fußball ohne Zuschauer ist eine Veranstaltung ohne Emotionen, die weit entfernt ist von dem, was sich Menschen, die den Fußball lieben, wünschen. Aus diesem Grund muss in Zukunft mehr Wert auf die Sichtweise aller Beteiligten im System Profifußball gelegt werden. Vereine, Spieler und Fans müssen eine Stimme haben, denn sie sind es, die eine Veranstaltung  zu dem Spiel machen, das wir lieben.

Nach der Zwangspause haben wir Probleme wieder in Tritt zu kommen, da uns, als defensiv starke, im Kollektiv agierende Mannschaft die Emotionalität von den Rängen im Besonderen fehlt. Diese Erfahrung mache ich auch ganz persönlich. Meine Art Fußball zu spielen lebt von den Emotionen, die ein volles Stadion hervorruft und ich liebe es Fußball vor und für Menschen zu spielen. Wie uns allen fällt es aus diesem Grund auch mir schwerer, den Sport mit derselben Leidenschaft auszufüllen, wie ich es über Jahre getan habe.

Dennoch gelingt es uns in den entscheidenden Moment bereit zu sein und die nötigen Punkte zu holen, sodass wir schlussendlich den Klassenerhalt und eine außergewöhnliche Premierensaison feiern dürfen.

Heute heißt es also noch einmal: Samstag 15:30, Alte Försterei, Heimspiel, der 1. FC Union in der Bundesliga - und keiner ist da.

Ein seltsames Ende.