In der Alten Försterei in Köpenick soll Union am kommenden Wochenende gegen den FC Bayern antreten.
In der Alten Försterei in Köpenick soll Union am kommenden Wochenende gegen den FC Bayern antreten. Foto: dpa/Soeren Stache

Pro: Macht die Stadien dicht

Um es gleich vorab zu sagen: Hier ist nicht von Romantik die Rede, obwohl von Fußball die Rede ist. Dieser Kommentar soll keine verkappte Kritik am Kapitalismus sein, obwohl das Thema professionell betriebener Fußball sein wird. Es geht um Leben und deshalb auch um Tod, weil der dazugehört, sogar wenn es um Fußball geht: Leben und Fußball in Zeiten des Coronavirus, mit oder trotz einer beginnenden Pandemie. Deshalb geht es um die Frage, ob Fußballspiele derzeit stattfinden sollten oder nicht.

Um auch das gleich vorab zu sagen: Nein, das sollten sie nicht. Macht die Stadien dicht! Macht mal Pause! Die Antwort ist radikal, doch gebietet sie die Vernunft, um eine Ausbreitung des Erregers zu verhindern. Der Sport wird so zu einer Blaupause für andere gesellschaftliche Aktivitäten wie Kino, Theater, Demonstrationen, für den Schulbetrieb sogar. Bestimmte Abläufe lassen sich nur schwer unterbrechen. In einer Stadt wie Berlin Bus, S-Bahn, U-Bahn und Straßenbahn lahmzulegen, würde zu einem Infarkt führen. Ein Fußballspiel nicht auszutragen, bleibt für das Gemeinwohl dagegen folgenlos.

Völlig folgenlos bleibt es natürlich nicht. Die Bundesligisten verdienen pro Jahr insgesamt etwa 350 bis 500 Millionen Euro allein durch den Kartenverkauf. Der Wert variiert je nach Spielzeit und Klub, im Durchschnitt liegt er bei 20 Millionen Euro. Das entspricht ungefähr einem Fünftel von dem, was Hertha BSC in dieser Saison für Transfers ausgegeben hat. Betroffen von Verlusten wären zudem Hotels und Gaststätten in den jeweiligen Städten, die Betreiber des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, das Fernsehen nicht zuletzt und all die übrigen Dienstleister, die am Fußballfan verdienen.

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Für Berlins Tourismus dürften die Ausfälle, gemessen am Gesamtvolumen, überschaubar sein. Für all diejenigen, die nicht auf kurzfristige Gewinne aus sind, sowieso. Unternehmer, die auf Perspektive setzen – im Fußball wie in den angrenzenden Gewerben –, müssten einer Pause aufgeschlossen gegenüberstehen. Denn sie gibt dem Kampf gegen das Virus, gibt der Suche nach Mitteln dagegen wichtige Zeit.

Also noch einmal und radikal: Macht die Stadien dicht! Macht mal Pause! Und einmal dabei, beendet gleich die ganze Saison! Der Gesundheit und dem gesunden Menschenverstand zuliebe. Und aus Liebe zum sportlichen Wettbewerb. Einzelne Spiele zu streichen, wäre ungerecht, würde einem Abstiegskandidaten den schweren Gang zum Titelverteidiger ersparen, dem Konkurrenten aber ein leichtes Duell verbauen. Meisterschaft? Champions League? Europa League? Zweitklassigkeit? Diese Fragen treten in den Hintergrund. Auf unabsehbare Zeit. Nachholspiele lässt der Kalender ja nicht zu. Der ist gefüllt mit Ausscheidungsduellen, Gruppenduellen, K.o.-Duellen, Länderspielen, WM-EM-sonstwas-Qualifikationen, terminoptimiert und gewinnmaximiert.

Auch das spricht für ein Innehalten im sich ständig beschleunigenden Geschäft. Doch selbst wer derart verdreht ist, alles und jeden zum Wirtschaftsfaktor zu erklären, wird Chancen erkennen. Die Chance etwa, einmal in Ruhe nachzudenken. Zum Beispiel über die Bedeutung von Fußball.   Nur so eine Idee, jetzt, da gerade keiner in Fernsehen oder Stadion läuft.

Dazu gibt es übrigens einen schönen Satz, entwendet beim französischen Schriftsteller und Philosophen Blaise Pascal: „Alles Unheil dieser Welt geht davon aus, dass die Menschen nicht still in ihrer Kammer sitzen können.“ Von einem Dichter namens Horst Nußbaum, alias Jack White, stammt ebenfalls ein   Text zum Thema, gesungen hat ihn die Nationalelf um Franz Beckenbauer zur Weltmeisterschaft 1974. Das Kunstwerk trägt den programmatischen Titel: „Fußball ist unser Leben.“ Wenn das ernst gemeint war, hätten Beckenbauer und Kollegen dieses Leben nicht für Fußballspiele geopfert. 

(Christian Schwager)


Contra: Haltet den Ball flach!

Ein Stadion ohne Fußball-Fans?
Ein Stadion ohne Fußball-Fans? Foto: imago images/Bernd König

Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch der Sport hierzulande in Quarantäne muss. Wo Tausende Menschen zusammentreffen, um gemeinsam zu feiern, zu singen, zu diskutieren, besteht   die Gefahr, sich anzustecken. Und natürlich gibt es Wichtigeres als den Sport. Dennoch   kann bei einem Virus, der   unseren Alltag über Monate hinweg prägen wird, das gesellschaftliche Miteinander nicht komplett isoliert werden.

Denn auf das Verbot des Stadionbesuchs werden geschlossene Theater, Kinos und Restaurants folgen. Und wer es ernst meint, kann künftig nicht mehr zulassen, dass sich Tausende Menschen Kopf an Kopf, Nase an Nase in der U-Bahn gegenüberstehen. Auch wenn der öffentliche Nahverkehr im Gegensatz zum Fußballspiel in der Bedürfnishierarchie an anderer Stelle rangiert.

Wie Konzerte oder der Besuch in der Bar um die Ecke sind Sportevents eine wichtige Gelegenheit, um dem Alltag zu entfliehen, in diesen Tagen vielleicht auch, um das ständige Sich-mit-dem-Virus-Beschäftigen mal für ein paar Stunden zu verdrängen. Was nicht heißt, dass wir   weitermachen, als wäre nichts passiert. Verantwortung heißt der Schlüsselbegriff. Wo viele Menschen zusammenfinden, braucht es ein höheres Maß an Kontrolle, Selbstreflexion, Achtung vor den Mitmenschen.

Zunächst muss jeder für sich die Frage beantworten, wie er es im Umgang mit Menschenansammlungen in diesen Tagen hält. In einem nächsten Schritt   braucht es eine gesunde Selbstwahrnehmung. Wen es im Hals kratzt, wem die Nase läuft, wer sich schlichtweg nicht gesund fühlt, soll, nein, muss sich und die Mitmenschen davor schützen, das Virus ins Stadion zu schleppen. Auch wenn es Überwindung kosten mag,   den Lieblingsverein gegen den Stadtrivalen oder den Branchenführer nicht zu unterstützen.

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Alle Vorsichtsmaßnahmen, die dieser Tage an das Allgemeinvolk gerichtet werden, gelten natürlich auch für das Stadion oder die Mehrzweckhalle. Die Hände bei sich zu behalten und gründlich nach dem Toilettengang und vor dem Wurstverzehr zu waschen, ist übrigens auch zu Zeiten ratsam, in denen die Welt nicht im Panikzustand wegen eines Virus ist.

Mit Vertrauen alleine ist es nicht getan. Wenn   Großveranstaltungen weiterhin stattfinden sollen, braucht es eine gewisse Form von externer Kontrolle – die auch jeder Sportfan bereit sein muss, über sich ergehen zu lassen, will er Fußball oder Eishockey noch live erleben. Bei den Olympischen Winterspielen in Südkorea vor zwei Jahren achteten Hilfskräfte pedantisch darauf, dass die Kantine nur betreten darf, wer sich vorher die Hände desinfiziert hat. In der aktuellen Debatte muss es noch einen Schritt weitergehen.   In der asiatischen Champions League ist es üblich, dass die Zuschauer zum Fiebermessen gebeten werden. Das mag in unseren Kulturkreisen befremdlich wirken, allerdings leben wir aktuell auch in außergewöhnlichen Zeiten.

Wenn jetzt reihenweise Sportveranstaltungen abgesagt werden, muss man sich die Frage stellen, wie man zukünftig  mit Bundesligaspielen oder Weltmeisterschaften zur Grippesaison umgeht.   Erst im September veröffentlichte das Robert-Koch-Institut eine Statistik, wonach die Grippewelle 2017/2018, die stärkste seit 30 Jahren übrigens, 25100 Menschen in Deutschland das Leben gekostet hat. Diskussionen, ob man deswegen Geisterspiele austrägt oder ganze Spieltage verschiebt, hat es im Zusammenhang mit der Influenza aber nicht gegeben.

Auch zu Zeiten der Unsicherheit   muss es Alternativen zur Massenisolation geben. Denn zu Hause ist die Gefahr besonders groß, sich im Kopf anzustecken. Angst und Panik   machen eben auch nicht vor der heimischen Haustür halt.   Und es ist ja nicht davon auszugehen, dass sich der aktuelle Krisenzustand   alsbald auflöst.

(Benedikt Paetzholdt)