Untersuchung zeigt : Viele wollen Corona-Sorgen wegsaufen
Jeder Dritte gab an, seit Beginn der Pandemie mehr Alkohol zu trinken als davor.

Ein kaltes Bier, ein Glas Wein: In Zeiten von Homeoffice, Kontaktbeschränkungen und abgesagten Veranstaltungen scheinen sich die Deutschen gern Alkohol zu gönnen.Eine Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim in Kooperation mit dem Klinikum Nürnberg zeigt, dass der Alkoholkonsum bei rund einem Drittel der Erwachsenen mit Beginn der Coronakrise stieg. 35,5 Prozent der mehr als 3000 Teilnehmer gaben bei der anonymen Online-Umfrage an, mehr oder viel mehr Alkohol getrunken zu haben als zuvor. Die Erhebung ist nicht repräsentativ, liefert aber erste Erkenntnisse über die Konsumgewohnheiten während der coronabedingten Ausgangsbeschränkungen.
Unterdessen berichten Suchtberater und Selbsthilfegruppen von mehr Interessenten: „Die Frequenz hat deutlich zugenommen“, sagt Peter K. von den Anonymen Alkoholikern.
„Risikofaktoren für eine Vermehrung des Konsums waren zum Beispiel der Wechsel des Arbeitsstatus, etwa ins Homeoffice, ein hohes gefühltes Stressniveau und Zweifel, dass die Krise gut gemanagt wird“, sagt Anne Koopmann vom ZI. Menschen mit einem hohen Stresslevel und geringerem sozialen Status gaben demnach eher an, in der Krise mehr Alkohol zu trinken. Menschen in medizinischen Berufen oder im Handel, die weiter arbeiten konnten, tranken eher weniger oder gleich viel.
„Die Coronakrise ist für viele Menschen eine emotionale Krise: Sowohl gesundheitsbezogene als auch finanzielle Sorgen und Ängste sind für viele Menschen präsent. Alkohol ist ein Mechanismus, eine kurzfristige Linderung zu erleben“, erklärte Koopmann. Das könnte auch erklären, warum der Konsum bei Menschen mit einem niedrigeren sozialen Status ausgeprägter war. „Hier mehren sich die Sorgen.“
Die Nachfragen bei den Anonymen Alkoholikern erklärt sich Peter K. auch dadurch, dass die Krise bereits bestehende Alkoholprobleme vieler Menschen sichtbar gemacht habe. „Menschen, die bisher ihr Trinkverhalten verborgen haben – etwa auf dem Weg zur Arbeit, am Arbeitsplatz, in der Kneipe – waren durch Corona gezwungen, zu Hause zu trinken“, sagt er. Dort hätten sich die Konflikte in den Familien entladen.

Koopmann betont, dass das Mehr-Trinken über einen längeren Zeitraum das Risiko für Abhängigkeit deutlich erhöhe. „Jetzt sind wir in der Situation, dem noch entgegenzuwirken“, sagt die Ärztin. Jedermann könne sein Trinkverhalten genau beobachten, es mit Hilfe eines Tagebuchs dokumentieren und sich vielleicht einem Arzt oder einer Beratungsstelle anvertrauen. „Wenn ich mir über Wochen und Monate ein gewisses Trinkmuster angewöhne, muss ich schon aktiv dagegen arbeiten, um davon wieder wegzukommen.“ Peter K. sagt, das Einzige, was helfe, sei Offenheit, Ehrlichkeit und Konsequenz.