Sarah Shiferaw zeigt in Workshops wie verbreitet Rassismus im Alltag ist. 
Sarah Shiferaw zeigt in Workshops wie verbreitet Rassismus im Alltag ist.  Foto: Klug

Regelmäßig  laufen die Meldungen über den Ticker: Eine Frau telefoniert auf Hebräisch, ein vorbeilaufender Mann zeigt den Hitlergruß.  Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) muss ein Youtube-Video, in dem sie als „Quotenmigrantin der SPD“ und „islamische Sprechpuppe“ bezeichnet wird, laut einem Urteil hinnehmen - Meinungsfreiheit. In einer Berliner Grundschule singen Sechsjährige das Lied von zehn nackten Lehrern, das verdammt nochmal  an einen ganz anderen Text erinnert. 

Es ist Alltag, dass Menschen in unserer Stadt, im Land rassistisch beleidigt oder angegriffen werden, Anfeindungen aufgrund ihrer Herkunft  ausgesetzt sind. Der Anschlag von Hanau ist auf die Spitze getriebener Hass, dem ein Xavier Naidoo genauso Nährboden bietet, wie der Rassismus, den wir  in unser aller  Alltag hinnehmen.

„Du denkst, dass es harmlos ist, aber du bist nicht das Ziel“ – der Spruch auf einer Postkarte am Schrank in Sarah Shiferaws Berliner Büro bringt das Problem auf den Punkt. Die Mehrheit der Berliner würde sich selber wahrscheinlich nicht als rassistisch bezeichnen. „In meinen Antidiskriminierungs-Workshops sind viele erst einmal überrascht, wenn sie merken, dass es zunächst um sie selber geht“, sagt Sarah Shiferaw. Sie ist Koordinatorin für Migration beim Bundesverband der Volkssolidarität und bietet Workshops gegen Stammtischparolen und Rassismus im Alltag an.

„Viele Menschen merken nicht, dass sie rassistische Stereotype reproduzieren. Sie wollen es nicht, und tun es doch.“ Der erste Schritt sei daher, sich dessen bewusst zu werden.“

Rassismus beginnt mit diskriminierenden Begriffen. 
Rassismus beginnt mit diskriminierenden Begriffen.  Foto: Klug

Rassismus, das ist, wenn einer die Wohnung wegen eines fremd klingenden Namens nicht bekommt. Das ist die eigentlich doch so nett gemeinte Frage nach der Herkunft. Der Hass-Post im Netz.  Die Frage nach der Herkunft etwa, sei eigentlich überhaupt kein Problem, sagt Sarah Shiferaw. Wenn sich der Fragende nur mit der Antwort „Leipzig“ oder „Osnabrück“ zufrieden gäbe. „Doch das tun die wenigsten. In 90 Prozent aller Fälle schließt sich die Frage an, woher man dann wirklich komme.“ Shiferaw, der manchmal ein Berliner „Ick“ herausrutscht, präzisiert dann für gewöhnlich mit dem Bezirk, in dem sie geboren wurde. Andere reagieren weniger cool. Denn die Frage nach der Herkunft ist immer problematisch.  „Weil sie auf Ausgeschlossenheit zielt“, so Shiferaw. Du kannst nicht aus Osnabrück kommen, du bist schwarz – das schwinge immer mit. Gespräche, die so beginnen, enden nie gut. Auch die nicht, in denen gefragt werde, wann man denn wieder zurückgehe. „Immer steht im Raum, dass man nicht dazu gehört.“, sagt Sarah Shiferaw.  Betroffene hätten oft das Gefühl, egal was sie täten, es sei nie gut genug.

Alltagsrassismus hat viele Gesichter, erklärt Sarah Shiferaw: in falschem Deutsch angesprochen zu werden ist ebenso entwürdigend, wie ein Nachbohren auf dem Amt, ob Deutsch denn wirklich die Muttersprache zu Hause sei. Rassismus ist, wenn Schwarze Männer häufiger ohne konkreten Anlass von der Polizei angehalten und kontrolliert werden. Wenn ein Reisender den nicht weißen Taxifahrer ungefragt  duzt – und dies ziemlich sicher bei einem Weißen nicht tun würde.

Jeder von uns hat rassistische Stereotype

Man könnte wissen, wie weit verbreitet Alltagsrassismus ist, wenn man sich selber ehrliche Antworten auf Fragen wie diese geben würde: Neben wen setzte ich mich im Bus lieber? Neben die Frau mit dem Kopftuch, den Schwarzen, oder den weißen Handwerker? Die arabische Familie oder die deutsche Oma? „Jeder von uns hat rassistische Stereotype, das ist total normal. Wir sind mit Pippi Langstrumpf und den zehn kleinen N…. aufgewachsen“, sagt Sarah Shiferaw. „Diese Sozialisierung macht etwas mit uns. Sich der eigenen Vorurteile bewusst werden, darum geht es.

Egal mit wem sie spricht: in erster Linie geht es Betroffenen darum, dass man ihnen zuhört. „Rassismus ignorieren zu können ist ein Privileg, das Millionen Nichtweiße in dieser Gesellschaft nicht haben. Sie werden täglich damit konfrontiert. Ihnen zuzuhören und sie ernst zu nehmen, ist der erste Schritt zu echter Gleichberechtigung. In Talkshows sind selten Betroffene zu sehen. Ladet sie ein wenn es um Rassismus geht“, fordert Sarah Shiferaw.

Es gibt viele Menschen, die Angst haben. Denn Rassismus zieht sich durch alle Lebensbereiche unserer Gesellschaft. Der strukturelle Rassismus bei der Wohnungssuche oder bei der Jobsuche. Es gibt Rassismus in Institutionen, wenn das Jugendamt einer Roma-Familie jegliche Erziehungskompetenz abspricht. Wenn Schulleiter Willkommensklassen ablehnen. Und es gibt positiven Rassismus, der für die Betroffenen alles andere als positiv ist. Eine Mutter mit asiatischen Wurzeln möchte in der Kita ihrer Kinder vielleicht nicht sofort gefragt werden, ob sie Frühlingsrollen kochen wolle. Othering – das Andersmachen, ist der Begriff den Wissenschaftler verwenden, wenn sie Mauern im Kopf beschreiben.

Scharfe Sprache schafft scharfe Realität"

Sarah Shiferaw

Gegen diese Mauern hilft nur eins: miteinander sprechen und gleichzeitig verbal abrüsten. „Scharfe Sprache schafft scharfe Realität“, weiß Sarah Shiferaw. Messermigration, Kopftuchmädchen, Asyltourismus, Umvolkung – Begriffe wie Flüchtlingsstrom und Flüchtlingswelle schüren Ängste vor einer bedrohlichen Masse. „Es hilft, weniger emotional zu formulieren.“

Um Stammtischparolen etwas entgegenzusetzen, sei es gut, mit Nachfragen zu reagieren. Wo hast du das denn her? Ist das eine seriöse Quelle? Eine weiche Wand  sein und signalisieren: bis hierher und nicht weiter.

In einer perfekten Welt wird niemand wegen seines Äußeren ausgeschlossenen. Man könne sich da viel von Kindern abgucken, sagt Sarah Shiferaw. „Sie sind bis zu einem gewissen Alter empathisch, unvoreingenommen. Bei ihnen kommt keine reflexhafte Abwehr. Sie erheben sich nicht über andere und sie sind in der Lage, sich einfach zu entschuldigen.“ Rassismus, den lernt man erst. Oder man lernt, ihm etwas entgegen zu setzen. Aktuell melden sich vor allem Parteien, Schulen und gemeinnützige Vereine bei Sarah Shiferaw und wollen sich in Workshops weiterbilden.