Hartz IV-Schicksal

Meine beste Ausbildung war das Leben

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Melanie Obst ist Mitarbeiterin beim Jobcenter in Mitte.
Melanie Obst ist Mitarbeiterin beim Jobcenter in Mitte.Bernd Firedel

Sie teilte das gleiche Schicksal von 484.894 Menschen dieser Stadt, die von Hartz IV leben. Melanie Obst ist Mitarbeiterin beim Jobcenter in Mitte und hat vorher selbst fast sieben Jahre lang Leistungen vom Staat bezogen. Deshalb kann sie sich besonders gut in ihre Kunden hineinversetzen.

„Ich kenne das Gefühl, in eine Abwärtsspirale zu geraten“, sagt die alleinerziehende Mutter. Sie hat es geschafft und arbeitet jetzt dort, wo sie einst eigene Leistungen beantragte. In einem Jobcenter. Derzeit in einer der größten Dienststellen Berlins an der Seydelstraße (72 378 Leistungsempfänger) verwaltet sie in der Abteilung Maßnahmenmanagement die Zahlungen von Bewerbungskosten, Arbeitgeberzuschüssen und Weiterbildungen. Der Weg dorthin war steinig. Melanie Obst studierte nach dem Abi zunächst Lehramt, später Sprachen. Doch sie verließ die Uni nach sechs Jahren ohne Abschluss. „Ich hatte nicht den nötigen Ehrgeiz“, sagt sie.

Ganz unten, dann ordnete Melanie ihr Leben neu

Hinzu kam, dass sie während des Studiums schwanger wurde und der Doppelbelastung mit zwei Jobs, die ihr die Ausbildung finanzierten nicht mehr gewachsen gewesen sei. Sie geriet in den Hartz-IV-Kreislauf. Plötzlich jeden Cent umdrehen zu müssen, sei ihr sehr schwer gefallen. Sie habe permanent Kleidung beim Versandhandel auf Pump bestellt. „Ich wollte mich belohnen, weil ich nur Druck von außen bekam“, erinnert sie sich. Da sie die Beträge von der Grundsicherung nicht begleichen konnte, verschuldete sie sich um 6000 Euro. Sie war so weit unten angelangt, „dass sie ihre Post nicht mehr öffnete und eines Tages die Gerichtsvollzieherin bei ihr vor der Tür stand, um zu pfänden.“

Dieses einschneidende Erlebnis habe sie zur Besinnung gebracht. Melanie Obst ordnete ihr Leben neu. „Ich setzte mich eine Woche lang hin und bearbeitete meinen Stapel Briefe und einigte mich mit den Gläubigern auf niedrigere Raten.“ Über eine Maßnahme  für Langzeitarbeitlose erhielt sie eine neue Chance. Zunächst als Sachbearbeiterin im Jobcenter im Landkreis Dahme-Spree. Seit 2015 im Jobcenter in Mitte. Heute begegnen ihr Menschen, die wie sie damals, nicht mehr an sich selbst glauben. Sie versucht ihnen mit viel Empathie Eigenverantwortung zu vermitteln und Möglichkeiten aufzuzeigen. Manchen müsse sie auch deutlich machen, dass für ihre Leistungen andere Menschen arbeiten gingen. „Es ist nicht jeder Hartz-IV-Empfänger ein Versager. Es stecken oft dramatische Schicksale dahinter.“ Wer könnte das besser wissen, als Melanie Obst. Sie war selbst im Abseits der Gesellschaft.