Isabella Heuser ist Chef-Psychologin der Charité, fordert dazu auf, Herz für die  Alten zu zeigen.
Isabella Heuser ist Chef-Psychologin der Charité, fordert dazu auf, Herz für die Alten zu zeigen. Foto: dpa

Rund vier Wochen nach dem Start umfassender Maßnahmen in der Corona-Epidemie sorgt sich die Charité-Chef-Psychologin Isabella Heuser um den deutschen Generationenvertrag zwischen Jung und Alt. Die Professorin mahnt die Deutschen, ältere Menschen nicht zum Sündenbock in der Corona-Krise zu machen.

Noch ruht das öffentliche Leben. Zu Hause bleiben, nur noch raus, wenn es unbedingt sein muss. Das gilt für uns alle, egal wie alt man ist. Für so manche, die im Arbeitsleben stehen, bedeuten die Einschränkungen enorme finanzielle Einbußen, da Läden,   Theater oder Lokale geschlossen sind, Firmen  Mitarbeiter in Kurzarbeit schickten. „Die wirtschaftlichen Auswirkungen werden jetzt so massiv wahrgenommen“, sagt Heuser. Dies führe dazu, „dass sich Bruchstellen zeigen“ im Zusammenleben zwischen Jung und Alt.

Heuser ist Chefin der Charité-Klinik für Psychiatrie am Benjamin-Franklin-Klinikum. Derzeit beobachtet die Wissenschaftlerin die seelischen Corona-Auswirkungen in der Gesellschaft. Sie höre gerade Äußerungen von all jenen, die noch nicht wieder zurück zur Normalität könnten, berichtet sie.

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Zum Beispiel: „Die Alten sollen doch zu Hause oder in ihrem Heim bleiben. Ich sehe doch nicht ein, dass ich wegen der Alten meine Existenz vernichte, ich zahle die Steuern“. Von Senioren spüre sie neben der Angst, an dem Virus zu sterben, jetzt auch eine Art Schuldbewusstsein, wenn sie sich dennoch, obwohl sie zur Corona-Risikogruppe gehören, in der Öffentlichkeit zeigen, statt zu Hause zu bleiben und sich zu schützen. „So als ob sie der Grund dafür seien, wenn Geschäfte pleitegehen.“ Solche Strömungen seien kein gutes Zeichen, so Heuser.

Elke Schilling gibt der Charité-Psychologin recht. Die 76-jährige Berlinerin ist Chefin des Vereins Silbernetz, der sich mit seinem Senioren-Telefondienst vor allem um einsame alte Menschen kümmert. Schilling hat selbst die Erfahrung gemacht, dass sie „wegen der silbernen Haare schon etwas merkwürdig auf der Straße angeschaut“ wird, wenn sie in ihr Büro geht.

„Es ist so, dass in Krisenzeiten Stimmungen angeheizt werden, in denen man nach einem Sündenbock sucht“, sagt sie. Sicher gibt es Senioren, die aufgrund ihrer Gesundheitsprobleme jetzt lieber zu Hause bleiben sollten, um das Risiko einer Coronaansteckung zu minimieren. Man dürfe nicht vergessen, dass es Senioren gibt, „die gesundheitlich fit sind“, die auch, mit Einhaltung der nötigen Abstandsregeln, mal nach draußen wollen, so Schilling. „Ich kann nicht pauschal alle Alten ins Abseits schicken.“

Ähnlich sieht es auch die frühere saarländische Gesundheitsministerin und Filmproduzentin Barbara Wackernagel-Jacobs (70). In einem gerade veröffentlichten Appell schreibt sie, dass die „Altersdiskriminierung leider jetzt in der Corona-Krise wieder schrecklichen Auftrieb bekommen hat“.

Dazu zählen etwa Politikerforderungen, wie die von der Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD), die zum Anfang der Krise forderte, dass Senioren daheim bleiben sollten. In ihrem Appell erklärt Wackernagel-Jacobs, es sei verheerend, wenn man Schutzmaßnahmen am Alter festmache. Risikogruppen seien auch Jüngere, die an einer Vorerkrankung leiden, die eine Corona-Ansteckung begünstigen könnten.  

Charité-Psychologin Heuser erklärt, dass es bei der Generationsfrage weltweit große Unterschiede in den Gesellschaften gebe. In vielen asiatischen Ländern würden die Alten wertgeschätzt, erläutert die Wissenschaftlerin. In den USA gälten Senioren mitunter als Belastung, weil sie nicht mehr produktiv seien. Das könne zur Folgerung führen, sie sterben zu lassen, weil sie keine Rezession wert seien.

"Solidarität zwischen Jung und Alt muss hinterfragt werden" 

Heuser fordert, Deutschland müsse seine Position in Sachen Solidarität zwischen Jung und Alt nun hinterfragen und versuchen, diese „mit neuem Leben zu füllen“. Nicht nur mit Geld. „Ich fände zum Beispiel ein verpflichtendes soziales Jahr nach der Schule gut“, sagte Heuser. „Nicht, um billige Arbeitskräfte in soziale Einrichtungen zu bekommen, sondern als ein Signal: Ein Dienst an der Gesellschaft ist erstrebenswert.“

Dieser scheint  bereits in Berlin anzulaufen. „Ich mache die Erfahrung, dass täglich die Solidarität zwischen Jung und Alt gelebt wird“, sagt Kathrin Zauter, Sprecherin des Berliner Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Viele Jüngere gehen auf ihre älteren Mitmenschen zu, kümmern sich  um die Senioren in der Nachbarschaft.

Die Solidarität geht auch in die andere Richtung. Senioren erklären sich bereit, die drastischen Maßnahmen einzuhalten und zu Hause zu bleiben, um die Corona-Ausbreitung  zu verlangsamen. Für die Jungen, damit sie zügig in ein normales Leben zurückkehren können. Dazu gab es auch einen Aufruf prominenter Senioren wie Ex-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (79) und Ex-Bundesinnenminister Otto Schily.