Zi Faámelu: „Als wäre ich eine Verbrecherin“ – Dramatische Flucht in Todesangst aus der Ukraine
Nicht nur die Angst vor russischen Bomben trieb sie in die Flucht: Die Angst, andere töten zu müssen, brachte sie nach Deutschland. (Teil 2)

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Die Angst davor, andere Menschen töten zu müssen, versetzte Zi Faámelu in Schockstarre. Schließlich entschloss sie sich zur Flucht. Dabei verlor sie fast alles, was ihr blieb.
Der ungewollt männliche Geschlechtseintrag in ihrem Pass und ihre Bekanntheit sind ihr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine fast zum Verhängnis geworden – aber anders, als es häufig zu lesen war. Die Panik, die Zi Ende Februar beim Einschlag der ersten russischen Bomben erfasste, löste alte Ängste aus: Vor allem davor, zum Dienst an der Waffe gezwungen zu werden. Zi erklärt mir, das Militär habe Transfrauen früher mit einem Trick zwangsrekrutiert: Sie sollten sich melden, um sich vom Militärdienst befreien zu lassen. Tatsächlich seien sie dann aber eingezogen worden.
Ich würde eher sterben, als andere Menschen zu töten.
Zi Faámelu
Die Generalmobilmachung nach dem russischen Angriff zwang dann alle männlichen Personen zwischen 18 und 60 Jahren, der Armee zur Verfügung zu stehen. Auch Ukrainerinnen greifen freiwillig zur Waffe, doch Millionen ergreifen die Flucht. Als Mann einsortiert zu werden, um zu töten: Die Angst davor versetzte Zi förmlich in Schockstarre. „Ich würde eher sterben, als andere Menschen zu töten.“ Zi schloss sie sich zu Hause ein, ein Messer griffbereit an ihrer Seite, tagelang, bis sie schließlich nichts mehr zu essen hatte. Anders als die Millionen anderer flüchtender Frauen hätte sie nicht durch eine offizielle Grenze etwa über Lwiw nach Polen auszureisen können. Sie wäre zum Dienst an der Waffe zwangsverpflichtet worden.
Ermuntert und unterstützt durch zahlreiche Freundinnen und Bekannte entschloss sie sich schließlich zur Flucht. Ein Freund erklärte sich bereit, sie im Auto an die Grenze zu fahren, doch bereits am ersten Checkpoint an den Stadtgrenzen Kiews wurde sie erkannt und zurückgeschickt. Beim zweiten Versuch gelang es den beiden, Kiew hinter sich zu lassen. Dann wurde sie erneut angehalten, eine Sicherheitskraft habe ihr beim Durchwinken zugerufen: „Fahr weiter, aber wir mögen Leute wie dich nicht.“
Am Checkpoint rief man ihr nach: „Wir mögen Leute wie dich nicht“
In einem Instagram-Video aus jenen Tagen ist Zi verzweifelt und in Tränen aufgelöst zu sehen: „Kann mir irgendjemand helfen, irgendeine Menschenrechtsorganisation, helft mir!“ Tatsächlich kamen ihr Freundinnen aus Deutschland zu Hilfe, die sich organisierten, um Zi auf der anderen Seite zu empfangen. Doch an der Grenze zu Rumänien wäre Zi um ein Haar erneut gefasst worden: Ein Grenzbeamter überprüfte die Papiere, während sie und ihr Fahrer die Prozedur mit 3000 Euro Bestechungsgeld abkürzen wollten, eine laut Zi Faámelu landesübliche Summe. Der Versuch endete ausgerechnet in einem militärischen Rekrutierungszentrum, wo sich Zi am nächsten Morgen melden sollte. Das Geld sowie Zis Laptop mit sämtlichen Songs und Projekten, an denen sie zuletzt gearbeitet hatte, wurden konfisziert.
Im Auto, so erinnert sich Zi, habe ihr Fahrer sie dann gefragt: „Kannst du schwimmen?“ Offensichtlich war es die einzige verbliebene Möglichkeit in der verzweifelten Situation, durch den Fluss zu schwimmen, um an dessen gegenüberliegendem Ufer die rumänische Kleinstadt Sighetu zu erreichen. Zi spricht immer von der Donau, durch die sie geschwommen sei, doch der Grenzfluss heißt Theiß, er verläuft parallel zur Donau und mündet im späteren Verlauf darin. Ihr Freund fuhr sie in ein Waldstück. Den in eine Plastiktüte gehüllten Ausweis im BH, sprang Zi ins Wasser. Von hinten habe sie Soldaten gehört, die ihren Namen geschrien hätten. „Als wäre ich eine Verbrecherin“, so habe sie sich auf der Flucht gefühlt. Mit letzter Kraft habe sie das rettende Ufer erreicht. Ihr Freund und Helfer, befürchtet Zi, wurde wohl festgenommen.

Rumänische Polizisten brachten Zi nach einer Befragung in ein Geflüchtetenlager. Am 10. März erreichte sie Deutschland und lebt nun mit einer liebevollen, hilfsbereiten Familie in Magdeburg, in einem Zimmer neben vierjährigen Zwillingen. Ich höre die Kinder, während ich später mit Zi telefoniere. „Wie Vögelchen“ klingen sie in Zis Ohren, die dankbar ist für die Geborgenheit, die sie nach den Strapazen erfährt. Natürlich ist sie neugierig auf Berlin, die Musikszene, die Clubs – aber immer noch viel zu erschöpft, um sich auf die Hektik der Großstadt einzulassen. Und während ich mit ihr spreche, spüre ich, wie sich in ihrem Kopf die Bilder und Melodien zusammensetzen zu neuen Songs, die man irgendwann von Zi hören wird.
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