Ungeahnte Themen und neue Solidarität

Der Feminismus ist im Reality-TV angekommen

Bei Formaten wie „Love Island“ und „Temptation Island“ denkt man nicht unbedingt an Feminismus. 

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Influencerin Stephi Schmitz bezeichnet sich selbst als Feministin.
Influencerin Stephi Schmitz bezeichnet sich selbst als Feministin.TVNOW/Frank Fastner

Große Überraschungen dramaturgischer Natur hielt die erste Staffel „Temptation Island VIP“ nicht bereit. Drei Paare sind nach der Treuetest-Show noch zusammen, eines, das zuvor erst wenige Tage zusammen war, hat sich getrennt. Doch auf völlig unerwartete Art war diese Staffel ein echtes Highlight: Denn mit gewollter Kinderlosigkeit, veralteten Rollenbildern, einem aufgezwungenen Schönheitsideal und Solidarität unter Frauen platzierte Influencerin Stephi Schmitz eine ganze Reihe feministischer Themen im Reality-TV, die dort eigentlich keiner vermutet hatte. Dem KURIER verriet sie: Das war auch eines der Ziele mit dem sie in die Show gegangen war.

Natürlich hatten auch ganz persönliche Gründe eine Rolle gespielt, sagt die 26-Jährige, die zusammen mit Freund Julian Evangelos bei „Temptation Island VIP“ teilnahm. Die beiden kamen 2017 in der ersten Staffel von „Love Island“ zusammen und waren ein Jahr später auch im „Sommerhaus der Stars“ dabei. Ihr Geld verdienen sie als Influencer. Am Anfang ihrer Beziehung hätte Eifersucht eine große Rolle gespielt, das habe sich zwar gelegt, aber sie wollten das Ganze noch einmal in einer Extremsituation auf die Probe stellen, verrät Stephi. Doch mindestens auf Platz zwei ihrer Agenda stand das Aufbrechen von Rollenbildern, wie sie sagt.

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Die Rollen sind in Realityshows – und ganz besonders bei „Temptation Island“ – immer ziemlich klar verteilt und nimmt man es genau: ziemlich veraltet. Denn obwohl die Voraussetzungen in der Show – vergebene Kandidatinnen und Kandidaten ziehen ohne Partner in Villen mit Single-Frauen und -Männern – für beide Geschlechter gleich sind, bieten sich stets unterschiedliche Bilder: Die Männer sollen mit nackter Haut bezirzt werden, die Frauen mit tiefgründigen Gesprächen.

Dass diese Bilder auch in dieser Staffel so reproduziert wurden, konnte Stephi Schmitz nicht verhindern. Doch sie hinterließ schon ihren Stempel. So wirkte sie auf ihre Mitstreiterinnen ein, den Fehler nicht bei den Verführerinnen in der Männervilla zu suchen, sondern bei ihrem Partner. „Schließlich ist der Mann, der in einer Beziehung ist, eine Verpflichtung eingegangen“, sagt sie. Vor allem mit Giulia Siegel habe sie viele gute Gespräche geführt, was in einem Gefühlsausbruch der DJane gipfelte.

Stephi Schmitz (2. v. r.) bei „Temptation Island VIP“ mit ihren Mitstreiterinnen.
Stephi Schmitz (2. v. r.) bei „Temptation Island VIP“ mit ihren Mitstreiterinnen.TVNOW

Mehr im Zentrum standen aber zwei Themen, die Schmitz ganz persönlich betreffen: Ihre gewollte Kinderlosigkeit und dass Frauen von der Gesellschaft oft auf ihren Körper reduziert werden und so dazu gedrängt werden, einem vermeintlichen Schönheitsideal nachzueifern. Obwohl es ihr sichtlich schwer fiel, sprach sie die Themen immer wieder an. „Ich habe mich ja selbst unters Messer gelegt“, erklärt Schmitz dem KURIER ihre Motivation. „Ich finde es wichtig, besonders jungen Mädchen auf den Weg zu geben, dass sie mehr sind als das, was sie optisch hergeben.“ Schmitz kritisiert, dass Männer oft nach ihren Kompetenzen und Frauen nach ihren Körpern beurteilt werden.

Für alle, die sich schon einmal mit Feminismus auseinandergesetzt haben, sind diese Dinge nicht neu. Im Reality-TV allerdings schon. Umso beeindruckender ist, dass Schmitz, die sich selbst als Feministin bezeichnet, diese Pionierarbeit leistet und dabei nicht in der Theorie bleibt, sondern die Themen anhand ihres eigenen Lebens behandelt. So wusste sie schon seit sie 15 Jahre alt ist, dass sie keine Kinder haben möchte – und wurde oft schief angeschaut, erzählt sie. In dieser Situation habe sie nach Menschen und Positionen gesucht, die sie nicht verurteilen.

Fündig wurde die Influencerin fast logischerweise auf Instagram. Erst waren es Zitate von Feminismus-Vorreiterin Simone de Beauvoir, in denen sie sich wiederfand, später folgte sie immer mehr feministischen Profilen, las Magarete Stokowskis Einstiegswerk in den modernen Feminismus „Untenrum frei“ und hörte sich den Podcast „Darf sie das?“ der österreichischen Autorin Nicole Schöndorfer an. „Als ich mich genug damit beschäftig hatte, habe ich gemerkt, dass es genau das ist, wofür ich stehen möchte“, sagt Schmitz dem KURIER.

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Doch die Influencerin will mit ihrer neuen, feministischen Sicht auf das Leben und die Gesellschaft auch nachfolgenden Generationen helfen. Ihr primäres Thema ist dabei das vermeintliche Schönheitsideal. „Ich will junge Mädchen davor bewahren, sich so sehr über ihre Optik zu definieren, wie ich es getan habe“, sagt sie. „Es geht mir darum, dass Mädchen von Anfang an nicht nur die Schönste, sondern auch die Schlauste sein wollen und ein ganz anderes Selbstwertgefühl aufbauen als viele in meiner Generation.“ Da sei bei vielen schon „der Drops gelutscht“.

Insgesamt hat Schmitz aber den Eindruck, dass sich in der Gesellschaft etwas in diese Richtung tut – und damit auch im Reality-TV. So hätte sie 2017 bei „Love Island“ noch an der Stange tanzen und ihrem Couple und heutigen Freund Julian einen Lapdance geben müssen. Das sei nicht mehr so. Diesen Eindruck hatte auch Chiara Antonella, die in der diesjährigen Staffel dabei war. „Wir hatten auch bei den Spielen sehr viel Freiraum und wurden zu nichts gedrängt“, sagt die 23-Jährige mit Blick auf vorangegangene Staffeln dem KURIER.

Chiara Antonella nahm an der vierten Staffel von „Love Island“ teil.
Chiara Antonella nahm an der vierten Staffel von „Love Island“ teil.RTL2/Magdalena Possert

Und noch etwas fiel bei dieser Staffel auf: Die Kandidatinnen sahen sich anders als in den Staffeln zuvor nicht mehr in erster Linie als Konkurrentinnen, sondern verschwesterten sich, so wie es die Männer in den Staffeln zuvor auch immer taten. „Wir haben untereinander vereinbart, dass wir alle Frauen, die kommen, gut aufnehmen“, sagt Antonella. „Unser Motto war immer Girls support Girls.“ Der Plan ging auf – und trug mit dazu bei, dass die diesjährige „Love Island“-Staffel wohl eines der niveauvollsten Reality-TV-Formate des Jahres war.

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Dieser Erfolg bescherte Antonella auch zahlreiche Follower auf Instagram. 155.000 sind es bis heute und diese Reichweite nutzt die Wirtschaftsstudentin, um über Themen zu sprechen, die ihr wichtig sind und jungen Mädchen zeigen, dass sie sich nicht alles gefallen lassen müssen. „Frauen werden schon noch kleingehalten, was sie dürfen und was angeblich einen schlechten Eindruck macht“, sagt sie. So seien Freunde besorgt gewesen, als sie noch vor „Love Island“ angefangen hatte, Pole-Dance-Videos von sich auf Instagram hochzuladen. „Das ist ein normaler Sport“, sagt sie und kritisiert, dass Männer oft so offen sein dürfen, wie sie wollen, während Frauen für ähnliches Verhalten negativ bewertet werden. Das wolle sie nicht so stehen lassen. Junge Mädchen sollten gar nicht erst glauben, dass so eine Denkweise berechtigt sei.

Das ist auch Stephi Schmitz besonders wichtig, die diese Themen nicht nur im Fernsehen und mit ihren Followern, sondern natürlich auch im Privatleben bespricht. Manchmal wird es ihrer Familie dabei zu viel, wie sie berichtet. „Die sagen dann: ‚Man muss doch nicht immer alles totanalysieren‘“, sagt die gelernte Krankenschwester. „Aber nur, wenn man was analysiert, kann sich was ändern.“ Auch im Freundeskreis spricht sie es immer an, wenn sie sich in gewissen Situationen Verhaltensmuster bemerkt, die sie für nicht richtig hält.

Julian Evangelos uns Stephi Schmitz stehen als Influencer seit Jahren in der Öffentlichkeit.
Julian Evangelos uns Stephi Schmitz stehen als Influencer seit Jahren in der Öffentlichkeit.TVNOW/Frank Fastner

Und auch mit ihrem Freund Julian spricht sie immer wieder über feministische Themen. „Ich bin jemand, der auch gerne diskutiert“, sagt sie. Verändert habe sich die Beziehung durch den Feminismus aber nicht. „Außer, dass jetzt jeder die Hälfte im Haushalt macht.“