Warum Trash-TV kein Fernseh-Müll ist
Reality-Formate wie das Dschungelcamp werden oft von oben herab beurteilt. Doch handelt es sich bei Trash-TV wirklich um Fernseh-Abfall?

Was war das für ein Aufschrei im Jahr 2013. Das Dschungelcamp wurde für den Grimmepreis nominiert und löste in den Feuilletons der Republik einen wahren Sturmlauf aus. Abscheu wurde formuliert, tiefste Empörung auf allen Kanälen. Schließlich aßen die Kandidaten dort Känguru-Penis und ließen sich mit Schlamm und Fleischabfällen begießen. Trash sei das – Müll – der dort zu später Stunde bei RTL zu sehen war.
Doch das Dschungelcamp, das „Sommerhaus der Stars“, „Love Island“ und all die anderen Reality-Formate auf die Blödheit, ja vielleicht sogar Abscheulichkeit ihrer Spiele zu reduzieren, greift zu kurz. Vielmehr ist es eine sehr privilegierte Sicht auf die Dinge. Wenn Rammstein-Frontman Till Lindemann einen toten Fisch ins Publikum wirft, ist es Teil der Show, wenn sich Schauspieler auf Theaterbühnen nackt in undefinierten Flüssigkeiten wälzen, ist das experimentell, aber wehe so etwas geschieht im Privatfernsehen.
Im Dschungelcamp geht es nicht um Ekel-Prüfungen
Denn auch im deutschen Privatfernsehen sind die Ekel-Spiele nicht der eigentliche Kern der Unterhaltung. Wie im Theater oder einem gescripteten Film geht es auch im Dschungel, am Promi-Strand oder der „Bachelor“-Villa um Emotionen. Es geht um Liebe, Trauer, Abneigung, Angst und Erfolgserlebnisse. Es geht um Gefühle, die jeder aus seinem Leben kennt, die jeder nachvollziehen kann und nachdem sich jeder sehnt.

Natürlich ist nicht jede Sendung ein Hochgenuss. Niemand schaut gern zu, wenn schlecht gecastete Kandidaten in unvollständigen Sätzen aufeinander einstammeln wie in der aktuellen Staffel „Ex on the Beach“, oder die Produktion Mobbing-Attacken einfach geschehen lässt wie bei „Promis unter Palmen“. Doch so ist das in der Kunst, mal sind Besetzung und Planung gut – und mal eben nicht.
Doch es gibt sie, die gut gemachten Sendungen. Die aktuelle Staffel von „Love Island“ ist nur ein Beispiel dafür. Immer wieder gelingt es auch dem Dschungelcamp, das sich als König der Reality-TV-Formate versteht, Heldengeschichten zu produzieren, wie 2016, als Menderes als schüchterne DSDS-Lachnummer in den Dschungel einzog und am Ende die Show gewann. Andere beliebte TV-Sternchen verglühen hingegen im Angesicht der 24-Stunden-Beobachtung, der die Kandidaten ausgesetzt sind. Sie werden abgestraft für Lügen oder verletzendes Verhalten. Und das geht auch über den Mikrokosmos der Show hinaus. Wie bei Bastian Yotta, der nach seinen Mobbing-Attacken bei „Promis unter Palmen“ keine Zukunft im deutschen Trash-TV hat.
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Es ist nicht der oft unterstellte Voyeurismus, der teils Millionen Menschen vor den Fernseher holt. Es ist die Tatsache, dass die Shows in einem sehr begrenzten Rahmen ein Spiegel der Gesellschaft sind. Bei „Love Island“ wird in aller Deutlichkeit sichtbar, wie schön Liebe sein kann – und wie grausam, wenn sie nicht erwidert wird oder aus einem bestimmten Grund nicht möglich ist. Ist das banal? Vielleicht, aber dann muss das auch für diverse Balladen aus den vergangenen fünf Jahrhunderten gelten – inklusive Shakespeares Romeo und Julia.

Trash-TV hat seine Schwächen. Doch die Gründe dafür liegen teilweise in der Schmuddelecke, in die diese Art von Fernsehen gesteckt wurde. Für Prominente in Deutschland ist der Dschungel oft nur die letzte Chance, in Großbritannien sehen die Kandidaten ihre Auftritte in zahlreichen Shows als Job. Deutschland holt langsam auf, doch mit steigender Akzeptanz wird die Qualität immer besser – wie in jeder Branche.
Es ist nicht alles grimmepreisverdächtig, was derzeit so im deutschen Privatfernsehen unterwegs ist. Doch Fernseh-Müll ist Trash-TV deshalb noch lange nicht. Es ist Unterhaltung. Und Unterhaltung ist Kultur.