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Nichts für schwache Nerven! Die düstere Netflix-Serie „Liebes Kind“

Die deutsche Mini-Serie steht auf Platz 1 bei Netflix. Das hat einen Grund: Der Thriller nimmt einen gefangen und lässt den Zuschauer nicht mehr los.

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Im Keller: die Schauspieler Kim Riedle als Lena (v.l.n.r.), Sammy Schrein als Jonathan und Naila Schuberth als Hannah in der Mini-Serie „Liebes Kind“
Im Keller: die Schauspieler Kim Riedle als Lena (v.l.n.r.), Sammy Schrein als Jonathan und Naila Schuberth als Hannah in der Mini-Serie „Liebes Kind“Courtesy of Netflix 2023/dpa

Eine Frau flieht aus einem unterirdischen Privatgefängnis. Doch damit sind ihre langen Qualen noch nicht zu Ende. Die Verfilmung eines Bestsellers von Romy Hausmann führt in immer dunklere Tiefen. Und in den Keller im Kopf.

Es war alles so entsetzlich, jetzt könnte alles gut werden. Oder nicht? Eine Frau irrt nachts durch den dichten endlosen Wald, irgendwo im finsteren Niemandsland bei Aachen (NRW). Auf der kopflosen Flucht im Nachthemd läuft sie auf der Waldstraße vor ein Auto. Ihren ersten Moment in Freiheit überlebt die Mittdreißigerin nur dank einer Not-Operation. Doch das ist bei weitem nicht ihr größtes Problem.

Den Mann, der sie in ein entlegenes Privatgefängnis entführt hat, der sie zu bizarren Regeln gezwungen hat, der sie vergewaltigt hat, diesen Mann hat sie offensichtlich im Affekt erschlagen. Und sie merkt bald, dass dieser Namenlose, den sie nur „Er“ nennt, und sein schrecklicher Keller noch immer Macht über sie haben. Die Netflix-Mini-Serie „Liebes Kind“ (Platz 1 bei Serien) beginnt dort, wo andere Stoffe ihr Happy End haben – und legt an dieser Stelle mit ihren Gemeinheiten erst los.

Die zwölfjährige Naila Schuberth ist der heimliche Star von „Liebes Kind“

Der heimliche Star dieses Sechsteilers ist die 2011 geborene Kinderdarstellerin Naila Schuberth („Gefährliche Nähe“). Sie spielt in dem finsteren Sechsteiler die Rolle der zwölfjährigen Hannah, die von den Rettungskräften unverletzt am Unfallort aufgegriffen wird. Ihr kleiner Bruder ist in dem Horrorkeller zurückgeblieben.

Einst vom Entführer gezeugt, kennt Hannah nichts anderes als dessen Gefängniswelt, angereichert mit Wissen, das aus „Brockhaus“ und vom Homeschooling stammt. Für beides – krude Regeln und Weltwissen – ist sie Musterschülerin. Zum Gruß hebt sie beide Handflächen. Hannah: „Die Nägel müssen sauber sein und man darf nichts in der Hand verstecken, womit man sich selbst oder einen anderen verletzen kann. Das ist die Regel.“ Und: „Regeln sind wichtig“. Das Kind, gemeinsam mit der Frau im Wald gerettet, bleibt undurchsichtig. Ist sie ein Engel oder eine Botschafterin des Bösen?

„Liebes Kind“: 13 Jahre ohne eine einzige Spur und dann so ein Gottesgeschenk?

Ebenfalls eindringlich ist der Auftritt von Hans Löw („Ich bin dein Mensch“) als depressiver LKA-Ermittler und früherer Nachbar einer Entführten. Ist die Frau, die in der Klinik bewusstlos auf der Intensivstation liegt, womöglich diese Lena aus Neuss, die 2010 verschwand? 13 Jahre ohne eine einzige Spur und jetzt so ein Gottesgeschenk? Auch Lenas Eltern klammern sich an diese Hoffnung und werden bald in ein Wechselbad der Gefühle gestürzt, bei dem selbst die DNA-Tests mehr gruselige Fragen als Antworten nach sich ziehen.

Die Autorin Romy Hausmann schrieb die Romanvorlage „Liebes Kind“. Als Inspiration diente ihr der Fall Natascha Kampusch.
Die Autorin Romy Hausmann schrieb die Romanvorlage „Liebes Kind“. Als Inspiration diente ihr der Fall Natascha Kampusch.Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa

Die gleichnamige Vorlage für „Liebes Kind“ stammt von Romy Hausmann und war einer der erfolgreichsten Krimis des Jahres 2019, das Buch gewann auch den Crime Cologne Award. Als Inspiration diente ihr der Fall Natascha Kampusch, der es 2006 gelang, einem psychisch kranken Entführer zu entkommen, der sie mehr als acht Jahre lang gefangen gehalten hatte.

Der einzige Nachteil dieser düsteren, deutschen Mini-Serie, die ohne Klischees auskommt: Einmal angefangen, kann man mit „Liebes Kind“ nicht mehr aufhören. Und will noch mehr. Doch ob es eine zweite Staffel gibt, steht noch nicht fest.