„Privat bin ich eher schüchtern“

Als Suzi Quatro in den frühen 1970er Jahren ihre Karriere startete, gab es noch Schwarz-Weiß-Fernsehen, die Beatles landeten weltweit Nummer-1-Hits, die Rolling Stones waren Kult und in Deutschland war Ludwig Erhard Bundeskanzler. Und dann kam sie, 1,52 Meter klein und zierlich - mit einem riesigen, schweren Bass. Gerade ist Suzi Quatro 70 Jahre alt geworden. Wir trafen sie in Berlin.
Suzi Quatro sitzt im ansonsten menschenleeren Hotel Berlin am Lützowplatz auf einem Sofa. Vor ihr steht ein Light-Getränk.
Sie sieht aus wie eh und je: Sie trägt ein T-Shirt mit Totenköpfen, eine enge Hose und die Haare bis zur Schulter. Seit den zahlreichen Bravo-Starschnitten aus den 1980er Jahren ist sie nur ein bisschen älter geworden.
Eigentlich kam sie nach Berlin wegen der Premiere ihrer Dokumentation „SUZI Q“. Für die 100-minütige Doku wurde vier Jahre lang in Australien, Amerika und Europa gedreht, sie zeigt Archivmaterial, Konzertausschnitte, Interviews unter anderem mit Alice Cooper, Andy Scott („Sweet“) und Debbie Harry („Blondie“). Der Film von Liam Firmager ist inzwischen im Arsenalfilmsalon auf Vimeo und bei Amazon Prime verfügbar. Am 4. Juni 2020 startete „SUZI Q“ darüber hinaus in ausgewählten deutschen Kinos. Der DVD-Start ist für Ende Juli dieses Jahres geplant.
Als sie anfing, war sie die erste Frau im Rockbusiness
Als wir uns treffen, ist die Premiere in Berlin wenige Stunden zuvor wegen der Corona-Krise verschoben worden.
„Es ist beängstigend, das habe ich noch nie erlebt“, sagt sie. Ihre Reibeisenstimme erinnert an ihre Songs – an „Can The Can”, „48 Crash”, „If you can‘t give me Love” oder „Stumblin In”, jenen Song, den sie gemeinsam mit Chris Norman sang, und der vor allem in Deutschland die Foxtrott-Generation begeisterte.
Suzi Quatro ist eine der bekanntesten Rockmusikerinnen. Sie ist die erste Bassistin, die zum Star wurde. Als die Musikerin durchstartete, war dieser Bereich noch komplett männlich dominiert. Die erfolgreichen Rockbands waren meistens Männer, die sich mit hübschen Groupies zeigten. Und selbst wenn diese Groupies, wie etwa Marianne Faithfull, selbst Musik machten und talentiert waren, blieben sie im Schatten ihres Boyfriends. In Faithfulls Fall hieß dieser damals Mick Jagger von den Rolling Stones. Dass eine Frau Hardrock machte und erfolgreich eine Band führte, das gab es noch nicht. „Suzi war innovativ, keine Frage“, bescheinigt ihr Alice Cooper in der Doku. Eigenwillig und wild entschlossen, berühmt zu werden, sagen Freunde.
Die härtesten Jungs haben Respekt vor mir.
Suzi Quatro
Sie nickt: „Aber ich war nie eine Feministin, ich trenne nicht zwischen Mann oder Frau. Ich habe mich aber immer auf mich selbst verlassen und an mich geglaubt.“
Und sie habe sich durchsetzen können und sei mit dem Motto „No Bullshit“ immer gut gefahren. Sie grinst: „Die härtesten Jungs haben Respekt vor mir.“
Seit 1973 hat sie 55 Millionen Platten verkauft.
Vor uns sitzt jetzt eine Frau, die ohne ihre schwarze Lederkluft und den ruppigen Gesang alles andere als wild wirkt: „Privat bin ich eher zurückhaltend und schüchtern. Keine große Performerin. Ich mag keine großen Partys. Wenn ich abends bei einem Glas Wein zuhause sitze, ist die Welt in Ordnung.“ Es gibt halt die private und die öffentliche Suzi Quatro.
Die private lebt mal in Essex bei London oder nahe Hamburg. Dort kommt ihr zweiter Ehemann Rainer Haas (74) her. Die beiden heirateten 1993. Auf Mallorca haben sie ein Apartment. Außerdem hat sie zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn sowie eine Enkeltochter. Und sie weine bei vielen Gelegenheiten. Bei lustigen und traurigen Filmen beispielsweise. Das ist ihr weicher Kern.
1992 starb ihre Mutter, das schmerzt sie bis heute
Suzi Quatro stammt aus Detroit. Sie ist dort am 3. Juni 1950 geboren. Ihre Eltern sind Arthur und Helen Quatro. „Mein Vater wollte nicht, dass seine vier Töchter unselbständig blieben. Er hat uns zu mutigen Frauen erzogen.“ Ihre Mutter sei streng, katholisch und sehr strikt gewesen. „Sie hat mich in die Spur gebracht, der ich bis heute folge.“ 1992 starb die Mutter, das schmerzt Suzi Quatro bis heute. „Ich denke jeden Tag an sie“, sagt sie uns. Für die Dokumentation fuhr sie nach langer Zeit wieder mal nach Detroit zu ihrem Elternhaus, das leer steht. Das sei ihr sehr nahe gegangen.
Das Künstlerische vererbt ihr der Vater, ein Jazz-Musiker, der tagsüber in den Detroiter Autowerken arbeitet. Suzis Schwester Patti in der Dokumentation: „Es ging sehr fröhlich bei uns zu. Wir haben immer gesungen.“
Das Wohnzimmer der Familie ist eine Bühne, in der man früh versuchen muss, die Aufmerksamkeit der anderen zu bekommen. Einen Platz in der Familie zu finden. „Ich habe die anderen schon sehr früh immer unterhalten.“ Die kleine Suzi spielt Banjo und Klavier, rezitiert Gedichte und singt in der Band ihres Vaters.
Im Januar 1956 sieht die Familie die „Ed Sullivan Show“. Elvis ist der Star der Sendung. Sie lächelt: „Mit fünfeinhalb Jahren wusste ich auf einen Schlag: Das werde ich machen.“
Suzi Quatro ein Elvis-Fan? „Ja, er war immer mein Idol. Ich war all die Jahre über in ihn verliebt.“ Später sieht sie ihn in einem Comeback-Special und beschließt, künftig auf der Bühne Lederklamotten zu tragen.

Später nimmt sie eine Version von Elvis Presleys Lied „All Shook Up“ auf. Der King of Rock hört ihre Version und lädt sie daraufhin nach Graceland ein. Quatro lehnte ab, was sie bis heute bedauert.
1965 gründeten sie und ihre drei Schwestern Patti, Nancy und Arlene die Band „The Pleasure Seekers“. Drei Songs hatten sie einstudiert, alle mit drei gleichen Akkorden. Sie spielten Punk, bevor es Punk gab. Und Suzi mit ihrem Bass in der Mitte: „Die Gitarre sah immer so groß aus, weil Suzi so schmal war“, erinnert sich Alice Cooper. Ihr Vater erlaubt ihr und den Schwestern, die Schule zu verlassen und auf Tournee zu gehen.
Sie fühlt sich wie die Koffer-Lizzie aus Detroit-City.
Die Mädchen spielen in den Clubs von Detroit. Fünf Auftritte haben sie pro Nacht. „So habe ich einen Teil des Erwachsenenwerdens verpasst“, sagt sie. In den Clubs sind auch Hardrocker wie Alice Cooper oder Iggy Pop, damals noch eher unbekannt, unterwegs. Es sei ein Leben gewesen, als hätte man permanent den Fuß auf dem Gaspedal, sagt sie. Und dann war da noch das bekannte Musiklabel Motown, das Ende der fünfziger Jahre gegründet worden war und das mit Marvin Gaye und Jackson Five Erfolge feierte. Viele Bands waren auf dem Sprung, richtig Karriere zu machen. Suzi Quatro will auch nach ganz oben.
Sie geht nach London und weint sich anfangs nachts in den Schlaf
1970 wird sie entdeckt. Vom berühmten Mickie Most aus England, der schon in den frühen Sechzigerjahren mit Jeff Beck und Jimmy Page gearbeitet hatte, er entdeckte „The Anima“ mit Eric Burdon und Herman's Hermits.
Suzi Quatro: „Mickie suchte eine Art Nachfolgerin der gerade verstorbenen Janis Joplin.“ Er sei damals in Detroit mit Jeff Beck im Studio gewesen, besuchte eine Show ihrer Band und nahm sie danach zur Seite: „Suzi, du bist ein Star, komm mit mir nach London."
1971 folgt sie ihm, ihre Schwestern sind wütend, fühlen sich zurückgelassen. Suzi Quatro lebt in London in einem winzigen Zimmer – ohne Geld, ohne Familie und Freunde. Sie habe sich sehr allein gefühlt. „Nachts habe ich mich oft in den Schlaf geweint“, gesteht sie in der Dokumentation, an der vier Jahre lang gedreht wurde.
Doch sie wollte nicht ohne einen Hit zurückkehren.
Mit 19 landet sie ihn mit „Can The Can“. Als sie nach einem Auftritt bei „Top of the Pops“ ihren Erfolg in einem Londoner Pub feiern möchte, erkennen sie alle weiteren Gäste.
Das sei bis heute so. „Nach wie vor werde ich angesprochen, selbst wenn ich morgens verschlafen im Frühstücksraum eines Hotels erscheine.“
Gibt es auch Situationen, die sie nicht mag? „Wenn Menschen sehr aufdringlich sind und mich bedrängen.“
Und Selfies mag sie auch nicht.

Suzi Quatros Karriere geht weiter. Die Fans lieben sie – vor allem in Australien und Deutschland. In Amerika anfangs nicht. „Dort war die Zeit für meine Musik noch nicht reif.“ Suzi Quatro wird Musicaldarstellerin und Schauspielerin. Unter anderem sehen die Zuschauer sie in einer Folge von „Inspector Barnaby“, in der sie eine betrunkene, heruntergekommene Rock Lady spielt.
Sie lächelt: „Im wahren Leben bin ich nie high auf die Bühne gegangen, habe weder etwas getrunken noch geraucht.“ Sie hätte mit Drogen auch gar nicht kreativ sein können und habe daher vor einem Auftritt noch nicht mal an einem Weinkorken gerochen.
Mit ihren Schwestern hat sie sich heute wieder versöhnt.
Natürlich habe ich einen hohen Preis bezahlt.
Suzi Quatro
Alles, was sie getan habe, habe seinen Sinn gehabt. Und sie habe immer auf ihre Intuition vertraut.
„Natürlich habe ich einen hohen Preis dafür bezahlt und viele Kompromisse eingehen müssen.“ Sie fügt hinzu: „Du musst dich von deinem bequemen, perfekten Leben verabschieden. Das wusste ich, als ich das erste Mal mit der Band unterwegs war.“
Denkt sie manchmal ans Aufhören, immerhin ist sie jetzt 70? „Nein“, antwortet sie. „Ich mache so lange weiter, wie meine Fans mich sehen wollen.“