Mit der Gitarre für eine bessere Welt – Joan Baez wird 80
Sie sang mit Bob Dylan, besuchte Wolf Biermann in Ost-Berlin und wagte sich in den Kugelhagel von Sarajewo. Ihre Protestsongs erklingen in vielen Sprachen.

Noch ehe die amerikanische Folkszene die Frage eines alten Gewerkschaftsliedes – „Which side are you on?“ – klangvoll wiederbelebte, hatte Joan Baez diese für sich bereits beantwortet. Auf den Fotos zur Bürgerrechtsbewegung der frühen 60er-Jahre sieht man sie häufig in vorderster Reihe neben Marin Luther King. Das Bewusstsein, auf der richtigen Seite zu stehen, verlieh ihr dabei eine Ausstrahlung, der sich kaum jemand zu entziehen vermochte. Joan Baez war kaum 20 Jahre alt, als sie mit Demonstrationshymnen wie „We Shall Overcome“ und „Amazing Grace“ als Stimme ihrer Generation gefeiert wurde. Ihr heller Sopran schien auch die Haltung einer politischen Geradlinigkeit zu verkörpern, hinter der sich im Kampf gegen Rassismus und soziale Ungleichheit mehr Menschen als jemals in der US-Geschichte zuvor versammelten. Der Autor Charles A. Reich fand für diese Phase in seinem gleichnamigen Buch die Formel „The Greening of America“ (zu Deutsch: „Die Welt wird jung“).
Bob Dylan und Joan Baez waren das Traumpaar des Folk
Joan Baez steuerte dazu ihr intuitives Gespür für die passenden Lieder bei. Zu ihrem Repertoire gehörten Songs über Helden der frühen Arbeiterbewegung wie Sacco und Vanzetti und Joe Hill, aber auch romantisch-einfühlsame Lieder wie Bob Dylans „Farewell Angelina“. Ihren wohl größten Chart-Erfolg, „The Night They Drove Old Dixie Down“, eine Wehklage über die langen Nachwirkungen des amerikanischen Bürgerkriegs, hatte Joan Baez buchstäblich von Robbie Robertson und The Band abgelauscht. Weil sie den Originaltext nicht vorliegen hatte, sang sie ihre Version so, wie sie verstanden hatte, das allerdings im Ton historischer Gewissheit.

Ihr Überschuss an gesungener Rechtschaffenheit konnte aber auch auf die Nerven gehen. Bob Dylan jedenfalls formulierte einige sehr gehässige Zeilen, die mutmaßlich auf die gemeinsame Zeit der beiden als Traumpaar des Folk gemünzt waren, von der Dylan sich spätestens 1965 mit seinem legendären Auftritt beim Newport Folkfestival zu lösen versuchte, auf dem er die Puristen der Szene mit elektrisch verstärkten Gitarren schockierte. Dabei war es keineswegs so, dass Dylan der einsame Rebell auf weiter Flur war. Für ihre Albumsounds nutzte Joan Baez ebenfalls bereits elektrische Tonabnehmer zur musikalischen Horizonterweiterung, und zur Variation ihres festgelegten Images als Sirene des Protestsongs spielte sie 1974 ein zeitlos schönes Album mit ausschließlich spanischsprachigen Liedern ein – „Gracias A La Vida“, gewiss auch eine Reminiszenz an ihren mexikanischen Großvater.
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Zeitlebens aber war sie Handlungsreisende ihres politischen Engagements – gegen die Kriege in aller Welt und für bedrängte Kollegen in Diktaturen und autoritären Regimen. In Frankfurt am Main lief sie 1966 bei den Ostermärschen mit und unternahm einen Abstecher zum verbotenen Sänger Wolf Biermann nach Ost-Berlin. Nach der Ermordung des chilenischen Sängers Victor Jara nahm sie einige von dessen Liedern auf, und nach dem Ende der Franco-Diktatur in Spanien sang sie mit viel Pathos in der Stimme „No nos moverán“.
Joan Baez nannte Donald Trump nur „Nasty Man“
Eines der wenigen Lieder, die sie selbst geschrieben hat, ist die Bilanzballade „Diamonds And Rust“, in der sie Mitte der 70er-Jahre ein Zwiegespräch mit Bob Dylan führt, dem „ungewaschenen Phänomen“, das wie aus einer lange zurückliegenden Vergangenheit anruft. Er hatte ihre „lausigen Songs“ kritisiert und sie als „Gratis-Madonna“ ausgenutzt. So viel lyrische Revanche war wohl nötig. Wenn Baez und Dylan später jedoch voneinander sprachen, begegneten sie sich stets mit großer Anerkennung und Respekt. Ihre künstlerische Liaison überdauerte die kurze Zeit einer Liebschaft.
Joan Baez war dann 1975 und 1976 auch mit von der Partie, als Dylan einen Konzertzirkus unter dem Namen Rolling Thunder Revue auf Reisen schickte, begleitet von den Dichtern Allen Ginsberg und Sam Shepard. Joan Baez, so attestierte ihr später Roger McGuinn von den Byrds, habe bei der Tournee „richtig einen drauf gemacht“, ausführlich zu begutachten ist dies in dem parallel zu der Tournee entstandenen Spielfilm „Renaldo & Clara“.
Ihren Reiseaktivitäten zu den Schauplätzen politischer Ungerechtigkeiten tat dies keinen Abbruch. Die Dringlichkeit, mit der Joan Baez für ihre Anliegen eintrat, hielt sie mit bemerkenswerter Energie gleichmäßig hoch. Sie prangerte die blutige Niederschlagung des Volksaufstandes auf dem Tian’anmen-Platz in Bejing an, und im kriegszerstörten Sarajewo setzte sie sich 1992 mit kugelsicherer Weste in die Fußgängerzone, um dort mit dem Cellisten Vedran Smailovic zu spielen. Gemeinsam mit Emmylou Harris, Billy Bragg und Steve Earle, dessen religiös-reflektiertes Stück „God Is God“ sie zu einem späten Hit machte, organisierte und spielte sie Konzerte gegen die Streuung von Landminen.
In den Momenten ihrer oft beherzten Einsätze für ihre Überzeugungen war Scheitern nie eine Option, auch nicht im fast schon verzweifelten Ansingen gegen Donald Trump, den sie zuletzt nur „Nasty Man“ nannte. Das letzte Lied auf ihrem vermutlich letzten Album mit dem abschiedsvollen Titel „Whistle Down The Wind“ heißt „I Wish The Wars Were All Over“. Die Hoffnung, mit einem Lied etwas bewirken zu können, ist wie zu Beginn der Karriere der großen alten Dame des Folk ungebrochen – wenn auch längst in einer anderen Tonlage vorgetragen.