Intoleranz, Sexismus und Fundamentalismus: Theater-Intendant Guntbert Warns weiß, wie man erfolgreich gegen Wirrköpfe anspielt
Nach vielen Monaten der pandemiebedingten Pause öffnet das Renaissance-Theater wieder seine Türen. Und es gibt gute Gründe, sich die Kracher der neuen Saison anzuschauen.

Willkommen in der Phase der Nach-Corona-Dramen. Berlins Theater machen auf und die Intendanten der Stadt beißen wieder zu. Das ist am Renaissance-Theater nicht anders als an der Schaubühne oder der Komödie, am Berliner Ensemble, dem Deutschen Theater oder am Friedrichstadt-Palast, um nur einige zu nennen. Noch strömen die Besucher nicht in Scharen in die Säle, aber das ändert sich allmählich. Richtig übel hatte die Pandemie Guntbert Warns erwischt. Der 61-jährige Schauspieler und Regisseur arbeitete sich gerade in seine neue Rolle als Intendant und Geschäftsführer des Renaissance-Theaters ein, da übernahm Corona die Regie.
Herr Warns, wie oft haben Sie den Tag verflucht, an dem Sie die Intendanz übernommen haben?
Ach, gar nicht. Ehrlich gesagt, überhaupt nicht, eher habe ich die Pandemie verflucht, weil: Das Schlimme ist eigentlich gar nicht so sehr das Aushalten in dem neuen Posten gewesen, sondern die Planungsunsicherheit, das hat uns die Zähne gezogen. Nicht nur mir, sondern auch den Kollegen von den anderen Theatern. Wir hatten ja große Zoom–Sitzungen mit allen Intendanten der Stadt, von Berliner Ensemble bis Schaubühne, da kam dieses Problem immer als das vordergründigste zutage. Sollen wir probieren oder warten, sollen wir schließen?
Einige Intendanten haben um ihr Leben gebettelt. Ganz ehrlich: Wie oft haben Sie gedacht, dieses Virus bricht mir, uns, dem Theater das Genick?
Ich gehöre zu denen, die das Glas immer hab voll sehen (lacht). Ich glaube, so lange wir die Möglichkeit haben zu träumen, haben wir auch die Kraft zu kämpfen. Da bin ich also eher positiv eingestellt. Ich muss hier aber auch eine kleine Lanze brechen, weil wir unterstützt wurden. Der Berliner Senat und ganz besonders der Kultursenator Klaus Lederer haben sich streckenweise rührend gekümmert, wir haben Zuwendungen bekommen. Deshalb ging es uns in der kritischen Phase verhältnismäßig gut. Und dazu muss man auch sagen, wir durften ja – mit einem finanziellen Aufwand, mit tausend Mal testen, ich möchte nicht wissen, wie viel zig oder vielleicht hundert Mal ich in den letzten Monaten getestet worden bin, nicht nur ich, sondern auch die ganzen Kollegen hier rundherum – wir durften arbeiten, und das war ja was Besonderes. Und besonders war auch, dass wir zum Beispiel unsere Produktion „König Lear“, die im Oktober Premiere haben wird, vom ersten bis zum letzten Probentag im leeren Haus auf der Bühne probieren konnten. Die Kollegen hatten in den Logen ihre Garderoben eingerichtet, weil es da die meiste Beinfreiheit gab. Das war eine ganz besondere Probensituation. Manchmal auch ein bisschen gespenstig, wenn ich ehrlich bin.

Die Schauspieler hatten in den Logen ihre Garderoben eingerichtet
Hat die Politik genug getan?
Ganz schwer zu sagen. Für mein Dafürhalten hätte man vielleicht zwischendurch eine klarere Terminierung gebraucht. Und ich meine, der Senat hätte das auch selbst gern so gemacht, die hätten sicher gern gesagt: Passt auf, wir machen jetzt die nächsten zwei Monate zu und dann geht’s weiter. Aber dann kam ja die neue Verordnung und es durfte über die vier Wochen hinaus keine Schließung bestimmt werden. Das hat es für die Planer in den Betriebs- und Intendantenbüros nicht einfacher gemacht. Und wenn man dann wie wir kein festes Ensemble hat, sondern mit Schauspielern arbeitet, die für eine Produktion engagiert werden, wird’s natürlich nicht einfacher. Denn wir haben an diesem Haus ja das Glück, mit vielbeschäftigten und prominenten Leuten zusammenzuarbeiten. Die sind ja noch in etlichen, ebenfalls verschobenen Produktionen anderer Theater und im Fernsehen und Kino unterwegs.
Wann haben Sie das erste Mal neidisch auf Ihre Kollegen von den großen subventionierten Theatern geblickt?
Ich muss ganz ehrlich sagen: Man hat uns eigentlich ganz gut geholfen und unterstützt, wir hatten im Senat immer direkte Ansprechpartner, Leute, die wir immer anrufen konnten und die uns dann auch gleich geholfen haben. Ich glaube, dieser Blick auf die großen Häuser, die Staatstheater, den hat man natürlich, weil die in vielen kritischen Situationen noch mehr aufgefangen werden und natürlich einfach auch mehr Geld und mehr Möglichkeiten haben. Außerdem haben sie auch ein festes Ensemble, was es leichter macht, weil man viel schneller Termine festlegen und den Spielplan umstellen kann.
Ganz allgemein: Müssen Subventionen in Berlin gerechter verteilt werden? Etwa so: Ein großes Haus kriegt Millionen. Die spielen während Corona nicht. Kann man da nicht sagen, ein Teil dieser Millionen kommt in einen Fonds und der ist für alle da?
Wenn die Zeit mal aufgearbeitet werden kann, wenn sie dann auch wirklich mal vorbei sein sollte, und wir wieder in die normalen Gewässer kommen, dann könnte ich mir vorstellen, dass man über solche Fragen nachdenkt. Und vielleicht ist das auch gar nicht dumm und falsch, das zu tun. Andererseits, ich bin natürlich, auch wenn wir hier als Privattheater nur zum Teil davon profitieren, schon noch ein großer Verfechter dieses weltweit einzigartigen Subventionstheaters, da geht es uns schon in jeder Form besser als allen anderen. Aber die Verhältnismäßigkeit steht immer in Frage, ganz klar.

Kein Mensch käme auf die Idee, Ausgaben für ein Bahnhofsgebäude oder einen Spielplatz als Subvention zu bezeichnen
Es gibt Politiker in dieser Stadt, die meinen, es gebe zu viele Bühnen. Was sagen Sie denen?
Daran zu sparen, ist nicht schlau. Wir brauchen Kultur, die Kultur ist wichtig, um uns wachzuhalten. Ich glaube, dass wir kulturell den Leuten was bieten müssen, weil das die einzige Chance ist, dass die Leute Kräfte entwickeln, sich gegen Intoleranz, gegen Fundamentalismus oder Sexismus oder was auch immer wehren zu können. Und ich glaube, dass das deswegen ganz wichtig ist. Richard von Weizsäcker hat mal eine Rede gehalten, da hat er gesagt: Kultur kostet Geld, aber es ist eigentlich wahnsinnig wichtig, dass die Kultur subventioniert wird, und es ist grotesk, dass die Ausgaben im kulturellen Bereich Subvention genannt werden, weil kein Mensch auf die Idee käme, die Ausgaben für ein Bahnhofsgebäude oder einen Spielplatz als Subvention zu bezeichnen.
Da sind es Investitionen …
Genau, er sagte: Die Kultur ist kein Luxus, den wir uns leisten oder auch streichen können, sondern der geistige Boden, der uns innere Überlebensfähigkeit sichert. Natürlich müssen wir die Kultur fördern, und das war auch die Diskussion in der Intendantenrunde, die wir mit dem Kultursenator in der Pandemiezeit hatten, dass natürlich auch die kleinen und freien Theater, die Clubs und diese ganzen Auftritts- und Kultureinrichtungen und Auftrittsorte, dass die auch geschützt und unterstützt werden. Das ist wahnsinnig wichtig.
Das Renaissance-Theater pflegt einen feinen, internationalen und bürgerlichen Ton. Wollen Sie nicht mal die Stadt anzünden, jetzt, wo Castorf in Rente geschickt wurde?
(Lacht). Wie heißt es so schön: Für Wunder muss man beten, für Veränderung muss man arbeiten. Genau das ist unser Ziel und genau das ist, was wir tun. Und insofern haben wir mit unserem „König Lear“ in der Übersetzung und Bearbeitung von Thomas Melle ja auch schon den ersten Schritt gemacht. Das ist schon ein wenig anders als das, was wir bisher getan haben.
Was wird der Kracher in der kommenden Spielzeit?
„König Lear“ wird ein Kracher, dann haben wir ein wunderbares Stück mit Tina Engel: „Das Jagdgewehr“ von Yasushi Inoue. „Noch einen Augenblick“ ist eine wunderbare kleine französische Komödie von Fabrice Roger-Lacan. Grundsätzlich gibt es vier Grundfeste, auf denen ich versuche zu arbeiten: Die eine ist, dass wir moderne Autoren, zeitaktuelle bezugnehmende Stücke spielen, möglichst als Erst– oder Uraufführung. Dann gibt es den Namen unseres Hauses, Renaissance-Theater, den ich zum Anlass genommen habe, zu versuchen, pro Spielzeit, dieses Renaissance–Thema zum Thema eines Stückes zu machen. „König Lear“ ist eine Inszenierung, die dieses Versprechen einlöst. Das dritte Standbein ist das Musikalische, keine Musicals, wir wollen ja nicht in Konkurrenz zu Musicaltheatern treten. Aber musikalische Produktionen möchten wir auch weiterhin machen. Und das vierte Standbein ist Berlin. Und weil wir im nächsten Jahr 100 Jahre alt werden, wollen wir Berlin in all seinen Schattierungen in unsere Stücke einbauen. Das ist jetzt schon in einer kleinen Reihe geschehen, die wir von und mit Maria Hartmann machen. Die heißt „Berliner Porträt-Galerie“, da beschäftigt sich Maria Hartmann in jeder Folge mit einer Berliner Persönlichkeit. Zum Beispiel Elisabeth Bergner, Theo Lingen oder Heinrich George – alles Schauspieler und Künstler, die mit Berlin, aber auch speziell mit dem Renaissance–Theater und der Geschichte des Hauses zu tun haben. Ein wunderbares Format, das wir gerne weiterverfolgen, es gibt schon die ersten Folgen im Internet zu sehen, ein paar hat es auch schon im Theater gegeben, und das wird ab jetzt kontinuierlich weiterlaufen.
Wie neidisch sind Sie, dass Katharina Thalbach den „Orientexpress“ in der Komödie macht?
Nun sie spielt ja auch bei mir im „Lear“ mit. Sie ist eine meiner ältesten Freundinnen, ich habe schon in ihrer allerersten Inszenierung gespielt, sie hat ja auch bei mir in „Der nackte Wahnsinn“ am Renaissance–Theater gespielt, und unsere Zusammenarbeit ist mit Sicherheit noch nicht zu Ende.
Also müssen Sie keine Angst vor der Komödie haben?
Nein, das steht nicht in Konkurrenz. Ich halte auch diese Konkurrenz nur bedingt für interessant, wenn ich ehrlich bin. Natürlich freue ich mich, wenn die Leute zu uns kommen, das ist doch gar keine Frage, aber ich wünsche allen, von Herrn Reese bis Herrn Woelffer, dass sie ihre Häuser ebenso vollkriegen.
Kennen Sie so was überhaupt – einen Neidreflex?
So eine Art Beißattacke? Ja … das gibt es schon. Ich bin aber auch Bewunderer. Ich kann schon jemanden bewundern, wo ich sage: Verdammte Hacke, toll! Ich freue mich auch irre, wenn ich im Theater sitze und was sehe, was mir gefällt. Natürlich freue ich mich am meisten, wenn das bei mir im Haus ist, aber ich kann das auch woanders genießen.
Sind Sie eigentlich ein guter Chef?
Vielleicht ist es noch zu früh, das zu sagen. Jedenfalls gebe ich mir redlich Mühe und ich versuche ein guter Chef zu sein. Ich bin aber auch jemand, der Selbstständigkeit fördert und fordert. Und das ist mir wichtig. Sicher auch, weil ich nicht nur Intendant, sondern auch Schauspieler und Regisseur bin. Man muss delegieren können.
Wir hatten das gerade beim Fußball: Was würden Sie machen, wenn einer Ihrer Schauspieler zur nächsten Premiere mit Regenbogenbinde aufläuft?
Gar nichts. Wunderbar. Als Regisseur sage ich immer: Passt auf, Kinder, es gibt einen Tag, an dem übergebe ich euch komplett die Verantwortung. Das heißt nicht, dass ich mir nicht nach fünf Vorstellungen auch die Inszenierung noch mal ansehe und dann auch noch mal eine Kritik mache, aber da geht es mehr um die Frage: Hat man jetzt was vollkommen verändert? Ich habe am Tag, als die Diskussion über die Regenbogenbinde losging, sofort hier im Theater gesagt: Kinder, ich möchte gern die Regenbogenfarbe auf der Webseite haben, und so gibt es jetzt eine kleine Regenbogenfarbe neben unserem Renaissance-Theater-Logo. Das war unsere direkte Antwort.
Karten für die kommenden Inszenierungen gibt es unter www.renaissance-theater.de