Der Filmregisseur, Musiker und bildende Künstler David Lynch.
Der Filmregisseur, Musiker und bildende Künstler David Lynch. Foto: imago stock & people/Armando Gallo

Tag für Tag schaut David Lynch auf seinem YouTube- und Instagram-Kanal vom Desktop und verkündet den Wettbericht. Emotionslos wie ein Nachrichtensprecher gibt er die Temperaturen in Fahrenheit und Celsius durch, berichtet, wenn der Himmel bei ihm in Kalifornien Wolken trägt und der Wind sich regt. David Lynch, der am Mittwoch 75 Jahre alt wird, gehört zu den großen Filmregisseuren der Gegenwart. Sein Wetterbericht hat mindestens eine tiefere Ebene.

Seit Mai 2020 positionierte er sich anfangs für die Aufnahmen so in einem Raum, dass Gerätschaften zu sehen waren: ein uraltes Radio, ein Telefonapparat, ein Schraubstock. Aus seiner Tasse dampft es nur manchmal. Mit „Twin Peaks“, „Wild at Heart“ und „Mulholland Drive“ lehrte Lynch die Zuschauer, auf Zeichen zu achten. In den Clips ändert er nur kleine Dinge – setzt eine Sonnenbrille auf, hält ein Schraubglas in der Hand.

In Kalifornien regnet es ja angeblich nie, die Wetterberichte klingen sehr ähnlich. So wie für die meisten Menschen sich die Tage in der Corona-Pandemie gleichen. Doch fallen gelegentlich Anspielungen auf Ereignisse. Am deutlichsten am 3. Juni: David Lynch verlässt seinen Stuhl. Die Kamera bleibt fast eine Minute auf ein Transparent mit der Aufschrift „Black Lives Matter“ gerichtet. Das war, als der Tod George Floyds durch Polizeigewalt publik wurde.

Ab Herbst ist der Bildausschnitt enger, man sieht nur noch den Regisseur selbst und ein Stück Fenster. David Lynch ist eingeschlossen im dunklen Raum, eine Allegorie auf die darniederliegende Kultur. „Heute denke ich an ...“, fügt er kurz in den Wetterbericht ein. Das kann ein Film sein oder ein Musikstück.

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Am 7. Januar, dem Morgen nach dem Angriff auf das Kapitol in Washington, führen Lynchs Gedanken zu einem Beatles-Song von George Harrison: „While my guitar gently weeps“. Während die Gitarre leise weint, denkt der Sänger im Lied an Menschen, von denen er nicht weiß, wer sie gekauft und aufgehetzt hat: „I don’t know how someone controlled you/ They bought and sold you“. David Lynch sagt das nicht, doch führt er seine Zuschauer dahin.

Stets verabschiedet er sich mit einem Gruß für einen schönen Tag: „Everyone, have a great day!“ In seine Geburtstagswoche fällt ein großes Ereignis. An welchen Song wird er bei Bidens Amtsantritt denken?