Im KURIER-Interview

Albrecht Schuch: „Ich will nicht darüber nachdenken, was am besten ankommt und was nicht“

In „15 Jahre“ spielt Albrecht Schuch an der Seite von Hannah Herzsprung den todkranken Popstar Gimmiemore. Der Berliner KURIER hat ihn zum Interview getroffen.

Author - Julia Nothacker
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Albrecht Schuch hat als Schauspieler bereits zahlreiche Preise gewonnen.
Albrecht Schuch hat als Schauspieler bereits zahlreiche Preise gewonnen.Sven Simon/Imago

Blonde Haare, blaue Augen, ein Glitzeranzug, dazu ein kitschiger Lovesong, eine typische Boygroup-Geste, kreischende Teenies – Albrecht Schuch (38) wäre der perfekte Popstar, der mit einem tiefen Blick in die Kamera tausende Mädchenherzen erobert. Doch Albrecht Schuch würde die Rolle des Gimmiemore im Film „15 Jahre“ (seit 11. Januar in den Kinos) nicht spielen, wenn das schon alles wäre, was den Charakter ausmacht.

„15 Jahre“  ist die Fortsetzung des Erfolgsfilms „4 Minuten“ aus dem Jahr 2006 mit Hannah Herzsprung (42) als rebellische Knast-Insassin und Klaviervirtuosin Jenny. Gimmiemore – Jennys Ex-Freund, der für ihre Verurteilung verantwortlich ist – führt mittlerweile ein Leben als Sänger und Castingshow-Gast, doch hinter der Fassade des schillernden Popstars verbirgt Gimmiemore nicht nur eine düstere Vergangenheit, sondern auch eine tödliche Krankheit.

Dieser Facettenreichtum ist es, der Albrecht Schuch seine Rollen aussuchen lässt und den er überragend zu verkörpern weiß. Der ihm bereits vier Deutsche Filmpreise, den Deutschen Fernsehpreis und die Goldene Kamera einbrachte.

Ein Gespräch über das oberflächliche, aber reizvolle Pop-Business und die Faszination von Künstlichkeit.

Albrecht Schuch als Popstar Gimmiemore in „15 Jahre“

Berliner KURIER: Was hat Sie dazu bewogen, bei „15 Jahre“ dabei sein zu wollen?

Albrecht Schuch: Allein die Idee, „4 Minuten“ weiterzuerzählen, fand ich großartig. Ich habe den Film damals zweimal im Kino gesehen. Hannah und ich kennen uns jetzt schon eine Weile, wir haben einmal miteinander gearbeitet, sind in derselben Agentur und verstehen uns sehr gut. Außerdem hat mich der Regisseur Chris Kraus mit seiner Verrücktheit und Andersartigkeit sehr interessiert. Wie er Widersprüche zulässt, aufzeigt, und politisch unkorrekt ist, ohne bösartig zu sein. Unsere Gesellschaft hat ja oft Angst vor Humor und vor politischer Unkorrektheit. Ich hatte große Lust, den Gimmiemore zu spielen – diesen Narzissten, der bald stirbt und noch mal versucht, auf den letzten Metern ein guter Mensch zu werden.

Die Hauptdarsteller Albrecht Schuch, Hannah Herzsprung und Hassan Akkouch bei der Premiere von „15 Jahre“ in Berlin.
Die Hauptdarsteller Albrecht Schuch, Hannah Herzsprung und Hassan Akkouch bei der Premiere von „15 Jahre“ in Berlin.Wild Bunch Germany

Was genau hat Sie an der Rolle des Gimmiemore gereizt?

Gimmiemore war früher ein Punk, ein Systemkritiker und hat auf alles geschissen, und plötzlich lässt er sich in so ein Format à la Dieter Bohlen reinpressen. In eine totale Pop-Maschinerie, in der es schwer ist, Persönlichkeiten zu finden, wirkliche Charakterstärken auszumachen und nicht mehr die ganze Zeit geblendet zu werden. Ich fand dieses extrem Künstliche sehr faszinierend. In diesen Momenten der Künstlichkeit ist Gimmiemore jemand, der nichts Eigenes mehr an sich hat. Wir sehen nur noch jemanden, der versucht, entgegen seines gesundheitlichen Zustands Herr der Lage zu bleiben, die Mauer aufrechtzuerhalten, mithilfe der Perücke und dem Kostüm.

Wie weit entfernt ist diese Künstlichkeit von Ihnen als Person?

Auch meine Branche hat viel Künstlichkeit. Ich muss ja genauso aufpassen, dass ich nicht bestimmten Sehgewohnheiten verfalle. Wie man am besten aussieht, wenn man fotografiert wird, in welchem Licht und so weiter. Ich kann mich dieser gesellschaftlichen Vorstellung entweder entziehen oder aber sie bewusst annehmen, weil ich gerade Bock darauf habe. Aber dann hat das natürlich auch immer eine Auswirkung auf mich. Wenn ich über den roten Teppich gehe, wenn ich das Spiel mitspiele, im Mittelpunkt zu stehen. Das sind herausfordernde, oberflächliche Momente.

Waren diese Szenen die größte Herausforderung für Sie?

Nein, die größte Herausforderung war für mich, mit einem drei Monate alten Baby, das auf der Gitarre liegt, zu spielen und zu singen. Die Szene wurde in einem durchgedreht, ohne Schnitt, damit man diese Intimität nicht verlässt. Wir haben es dreimal gemacht und dann war das Ding im Kasten, aber die Monate davor … Puh. Diese Szene war das Anstrengendste für mich. Danach habe ich gefühlt zwei Tage durchgeschlafen.

Jenny (Hannah Herzsprung) und Gimmiemore (Albrecht Schuch) verbindet eine gemeinsame Vergangenheit
Jenny (Hannah Herzsprung) und Gimmiemore (Albrecht Schuch) verbindet eine gemeinsame VergangenheitWild Bunch Germany/Julia Terjung

Warum genau war das so anstrengend?

Das Baby ist so zerbrechlich und dann wird das auf die Gitarre gelegt und ich soll darauf scheinbar ganz lässig spielen, das hat mich echt Körner gekostet. Ich hatte Angst, dass dem Kind was passiert, also musste ich mit meiner Angst so ins Lot kommen, dass ich die Kontrolle über die Situation habe und dann auch noch spielen kann. Dieser Prozess dauert ewig. Das war aber auch schon bei „Systemsprenger“ so. Als ich da dieses kleine Baby auf dem Arm hatte, fiel es mir in dem Moment sehr schwer, die Rolle zu verteidigen. Da kommt der Onkel in mir durch, der jetzt so viele Nichten und Neffen hat. Ich habe Erfahrungen mit Kindern, ich habe ja auch mal im Kindergarten gearbeitet. Aber ich bin selbst noch nicht Vater, dadurch habe ich dieses tiefgehende Verständnis im Umgang noch nicht.

Die Faszination Pop und die Herausforderung Social Media

Sie hatten für die Rolle auch Gesangsunterricht, richtig?

Ja, ich hatte eine Gesangslehrerin, die sonst die Sänger und Sängerinnen bei „The Voice of Germany“ begleitet. Singen macht einfach glücklich, das habe ich ganz vergessen.

Hätten Sie sich damals auch vorstellen können, in eine Castingshow zu gehen?

Für mich war in der zehnten Klasse klar, dass ich schaue, wie weit ich mit der Schauspielerei komme. Der klassische Einstieg geht nicht über Castingshows. Aber wenn ich hätte Sänger werden wollen, hätte ich das vielleicht auch in Betracht gezogen, wenn es nicht anders möglich gewesen wäre.

Es ist eine krasse Herausforderung, auf diese Art und Weise im Rampenlicht zu stehen und dieses Popuniversum zu betreten. Sich selbst dabei in seiner Persönlichkeit zu verteidigen und sich nicht zu sehr von dem allen beeinflussen zu lassen. Dagegen hätte ich mich wahrscheinlich gewehrt. Das kann ich auf einzelnen Veranstaltungen mitmachen, aber länger auch nicht. Dagegen sträubt sich alles in mir. Und trotzdem gucke ich mir das auch immer mal wieder gerne an. Pop reißt ja trotzdem mit, mich selber auch. Ich möchte zum Beispiel unbedingt zum nächsten Konzert von Beyoncé und ich liebe Adele, David Bowie sowieso. Ich empfinde es generell als etwas Schönes, wenn Menschen zusammenkommen und sie ein Gefühl vereint. Da schreien Hunderttausende einen Song mit, das verbindet. Und bei den ganzen einzelnen Herausforderungen, die wir alle haben, kann es davon nicht genug geben. Von daher, her mit dem Pop!

Gimmiemore (Albrecht Schuch) ist ein international gefeierter Star und Gastgeber einer Castingshow.
Gimmiemore (Albrecht Schuch) ist ein international gefeierter Star und Gastgeber einer Castingshow.Wild Bunch Germany

Gimmiemore ist todkrank. Haben Sie sich als Vorbereitung näher mit dem Gedanken beschäftigt, bald sterben zu müssen?

Ich glaube, ich beschäftige mich immer mal wieder damit, allein dadurch, dass der Tod immer wieder im nahen Umfeld eine Rolle spielt und natürlich auch durch die Berufe meiner Eltern eine Rolle gespielt hat. Ich gehe gerne auf Friedhöfe, da stehen viele alte Bäume und es gibt Natur in der Stadt, die man sonst eher auf dem Land findet. Ich finde den Unterschied wahnsinnig spannend, wie wir hier in Deutschland und wie die Menschen in Mexiko auf den Friedhof gehen. Dort, wo das Totenfest über mehrere Tage gefeiert wird. Da stellt sich die Frage, wie darf Trauern aussehen? Darf es dafür überhaupt Regeln geben? Wer sagt, dass es so sein muss wie in Deutschland?

Ihre Eltern sind beide Ärzte. Kam diese Laufbahn auch für Sie mal infrage?

Die Medizin kam schon infrage, zumindest, wenn es mit der Schauspielerei nicht geklappt hätte. Meine Idee war, wenn nicht die Schauspielerei, hätte ich es mit Regie versucht, und wenn das auch nicht funktioniert hätte, hätte ich angefangen, Psychologie zu studieren. Ein paar Freunde haben gerade angefangen, Psychologie zu studieren. So kann ich zumindest aus Gesprächen mit ihnen was mitnehmen. Das kann ja auch für den Zugang zu einer Rolle ganz hilfreich sein.

Sie haben zwar einen Instagram-Account, besonders aktiv sind Sie dort aber nicht. Warum?

Es sträubt sich etwas in mir, darüber nachzudenken, was am besten ankommt und was nicht. Irgendwann nimmt das einen Zeitraum in Anspruch, wo der künstlerische Inhalt auf der Strecke bleibt und es zu selbstreferenziell wird. Es geht so sehr darum, seine eigene Marke zu kreieren oder zu verbessern. Wir sind in einer totalen Kapitalisierung der Kunst angekommen. Ich glaube, das ist nicht gesund, weil es einfach so unnatürlich ist. Wenn man einmal in diesem Becken ist … Ich habe das Gefühl, viele Leute denken, sie könnten das steuern. Und selbst, wenn sie vielleicht sogar wirklich diesen einen Kniff herausgefunden haben, wird es immer schlimmer und trauriger. Irgendwann verliert man sich darin und dann steht man da und macht vier Stunden Instagram und investiert nur vier Minuten für Familie und Freunde. Manche Leute können das, aber ich kann das nicht. Ich sehe das bei so vielen Kollegen, die sagen: „Es macht mich so traurig, es macht mich so einsam. Ich wünschte, ich würde es nicht machen. Ich wünschte, ich müsste es nicht machen.“ Aber muss man das wirklich machen? Ich bin mir da nicht so sicher. Viele mögen diese vermeintlich oberflächlichen Themen ganz gerne. Ich mag auch manchmal Oberflächliches. Aber das ist immer eine Frage der Balance. ■