Das Handy liegt neben dem Kopfkissen: Wer so schläft, braucht sich über Schlafstörungen nicht wundern.
Das Handy liegt neben dem Kopfkissen: Wer so schläft, braucht sich über Schlafstörungen nicht wundern. IMAGO/Westend61

Haben Sie sich heute Morgen so richtig fit und ausgeschlafen gefühlt? Nicht? Damit sind Sie nicht allein! 20 Prozent der deutschen Bevölkerung geben an, häufig unter unerholsamem Schlaf zu leiden. Typische Beschwerden sind morgendliche Zerschlagenheit sowie Müdigkeit und Konzentrationsstörungen. Dr. Dieter Kunz, Leiter der Klinik für Schlaf- und Chronomedizin im St. Hedwig-Krankenhaus erklärt, warum das so ist und was man dagegen tun kann.

Was unterscheidet gesunden von ungesundem Schlaf?

Es gibt zwei Arten von Störungen, die jemanden dazu bringen sollten, zum Schlafmediziner zu gehen. Zum einen sind das motorische Probleme während des Schlafes. Wer mit 50, 60, 70 Jahren anfängt im Schlaf zu reden, zu treten, zu schreien, zu gestikulieren, der sollte unbedingt zu einem Arzt gehen. Das könnten Vorboten anderer Krankheiten sein und man kann mit frühzeitiger Therapie Schlimmeres verhindern. Die zweite Gruppe sind Patienten mit chronisch unerholsamem Schlaf. Diejenigen, die Durchschlafstörungen haben und am nächsten Tag nicht mehr so funktionieren, wie sie sollten.

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Studien belegen, dass wir zunehmend unter Schlafstörungen leiden. Sehen Sie das auch so?

In der westlichen Welt haben zehn Prozent der Normalbevölkerung chronisch unerholsamen Schlaf. Mein Eindruck ist nicht, dass Schlafstörungen zunehmen. Weit verbreitet sind sie aber schon. Ich denke, dass Schlafstörungen das letzte vergessene Fach der Medizin sind. Schlafstörungen sind in der Tat weit verbreitet, insbesondere der unerholsame Schlaf. Er wird in unserer Gesellschaft aber nicht ernst genommen. Wir wissen seit zwanzig oder dreißig Jahren, dass der beste Vorhersager für Depressionen chronisch gestörter Schlaf ist. Warum kümmert sich dann keiner darum?

Wie meinen Sie das?

Ich denke nur an Burn-out. Wenn Sie eine Nacht schlecht schlafen, müssen Sie am nächsten Tag doppelt so hochdrehen, um die gleiche Leistung zu bringen. Das heißt, Sie sind gestresst, obwohl Sie gar nicht mehr Leistung bringen, einfach weil sie nicht so leistungsfähig sind. Dann kommen Sie am Abend nicht runter und schlafen in der Nacht schlecht. Und weil Sie schlecht schlafen, sind sie am nächsten Tag wieder nicht leistungsfähig und müssen noch höher drehen. Das kann man jedem Kleinkind erklären, aber in der Wissenschaft und der Arbeitsmedizin geht es unter. Ich verstehe es nicht. Zudem ist die Hemmschwelle groß, zum Arzt zu gehen, wenn man schlecht schläft.

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Wer beim Weckerklingeln nicht ausgeschlafen ist, bei dem stimmt etwas nicht mit dem Schlafen. Wann Schlafstörungen ein Fall für den Arzt sind, verrät der Experte im Interview.
Wer beim Weckerklingeln nicht ausgeschlafen ist, bei dem stimmt etwas nicht mit dem Schlafen. Wann Schlafstörungen ein Fall für den Arzt sind, verrät der Experte im Interview. IMAGO/McPHOTO

Warum gehen Menschen mit Schlafstörungen nicht zum Arzt?

Schlafstörungen kommen so häufig vor, dass jeder glaubt, zu wissen, wo es herkommt. Jeder schläft jede Nacht und ist deshalb auch für sich selber Experte. Das ist gefährlich. Außerdem gibt es in Deutschland keine gesetzliche Grundlage der Vergütung für Diagnostik und Therapie von schlafbezogenen Störungen des Gehirns. Es gibt hierzulande 350 Schlaflabore. Und 348 verdienen ihr Geld mit Schnarchen und Atemaussetzern. Das wird finanziert. Für das, was im Gehirn stattfindet, ist kein Geld da. Nur zwei Kliniken sind auf rein psychosomatische Schlafstörungen spezialisiert. Eine davon ist in Berlin das St. Hedwig-Krankenhaus. Ich kann Ihnen sagen, das ist nicht einfach. Mein Schreibtisch ist voll mit Krankengeschichten, bei denen sich die Krankenkassen weigern, die Kosten im Nachhinein zu übernehmen.

Jeder schläft jede Nacht und ist deshalb auch für sich selber Experte. Das ist gefährlich.

Dr. Dieter Kunz, Leiter der Klinik für Schlaf- und Chronomedizin im St. Hedwig-Krankenhaus

Wann sollten Patienten mit Schlafstörungen zu Ihnen kommen?

Wenn der Patient keinen Grund sieht, warum er morgens nicht ausgeschlafen ist, sollte er zum Arzt gehen.

Welchen Patienten mit Schlafstörungen können Sie helfen?

Jemand, der kommt und sagt: Mein Leben ist in Ordnung, ich habe mich durchchecken lassen, ich habe wirklich keine Depression, ich bin glücklich, es ist alles schön, aber ich kann nicht schlafen und bin immer müde und nachmittags breche ich auseinander. Das sind die Patienten, die wirklich zu uns kommen sollten.

Kann man guten Schlaf lernen?

Nicht so einfach, wie man Vokabeln lernt. Man muss verstehen, wie Schlaf funktioniert. Dann kann man eine Menge erreichen. Zum Beispiel durch Weglassen von Dingen, die den Schlaf stören. Man kann auch schlaffördernde Maßnahmen ergreifen. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Bei vielen Patienten finden wir im Schlaflabor Dinge, die Patienten nicht erzählen können. Warum nicht? Weil sie nachts schlafen und nicht mitbekommen, was diesen Schlaf so unerholsam macht.

Was passiert noch in der Nacht?

Man lernt Vokabeln wirklich im Schlaf. Auch der Metabolismus läuft nachts ab. Warum gehen wir nicht abends auf die Toilette, sondern morgens nach dem Aufstehen? Weil nachts die Nahrung dort eingebaut wird, wo sie gebraucht wird. Nachts findet die Regeneration des Nervensystems statt, da kommt das Immunsystem in Gang. Tagsüber kämpfen wir mit einem Löwen, da sind wir nach außen gerichtet. Nachts wird das alles wieder aufgeräumt. Das ist ein maximal aktiver Zustand. Wenn das nachts nicht stattfindet, bekommen Sie Störungen in jedem Bericht der Medizin. Wenn Sie schlecht schlafen, bekommen Sie sogar schneller einen Schnupfen.

Schläft man anders, wenn man intensiv träumt?

Jeder träumt jede Nacht wild. Auch Sie haben heute Nacht mit der CIA gekämpft. Das bekommen Sie nur nicht mit. Wenn das gesamte Gehirn im REM-Schlaf ist, realisieren Sie es nicht. Nur wenn ein Teil des Gehirns wach ist, kann man sich später erinnern. Träume sind da und sie sind nichts Besonderes. Aber wer Träume realisiert, hat einen qualitativ beeinträchtigen Schlaf. Spannend wird es, wenn man den Traum mitmacht, wenn man spricht oder ähnliches. Spätestens dann sollte man sich beim Arzt vorstellen.

Wenn man sich also nicht an Träume erinnert, ist das ein Zeichen für guten Schlaf?

Es ist das beste Zeichen!