Die meisten Menschen benötigen zwischen sechs und acht Stunden Schlaf.
Die meisten Menschen benötigen zwischen sechs und acht Stunden Schlaf. Foto: imago images//imagebroker

Schlechten Schlaf hat jeder mal - doch wer wochenlang weniger als sechs bis acht Stunden pro Nacht schläft, hat ein Problem. Bis zu 15 Prozent der Deutschen sollen von Schlafproblemen betroffen sein. Das kann zu schweren gesundheitlichen Folgen führen. Im Interview erklärt Schlafforscher Hans-Günter Weeß, wie sich Schlafmangel lindern lässt.

Herr Weeß, wieso ist guter Schlaf denn so wichtig?

Hans-Günter Weeß: Er ist das wichtigste Regenerations- und Reparaturprogramm, das der Mensch hat. Tiefer und fester Schlaf ist die beste Medizin, gerade auch in Zeiten von Corona, denn er stärkt das Immunsystem. Wenn wir schlafen, wird das Wachstumshormon ausgeschüttet, das wir für Zellteilung und –neubildung benötigen. Außerdem ist Schlaf ein wahrer Gedächtnisbooster. Neue Informationen werden vertieft abgespeichert.

Was passiert, wenn wir zu wenig schlafen?

Dann steigen die Gesundheitsrisiken für Herzinfarkt und Schlaganfall, für Stoffwechselerkrankungen und Übergewicht. Auch das Risiko für psychische Störungen, wie Angststörungen oder Depressionen, wird größer.

Die meisten Menschen benötigen zwischen sechs und acht Stunden Schlaf. Viele schaffen das nicht. Wann ist eine Schlafstörung behandlungsbedürftig?

Nehmen wir die klassische Ein- und Durchschlafstörung, da gibt es eine Faustregel: Nach vier Wochen, in denen man an mindestens drei Tagen so schlecht geschlafen hat, dass man sich am Folgetag beeinträchtigt gefühlt hat, sollte man den Hausarzt aufsuchen.

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Zur Person

Hans-Günter Weeß ist Psychotherapeut und Leiter des Schlafzentrums am Pfalzklinikum in Klingenmünster und betreut dort eines der größten Schlaflabore deutschlandweit.

Er ist Vorstandsmitglied der deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin sowie Bestsellerautor (z.B:. „Die schlaflose Gesellschaft"/2016 und "Schlaf wirkt Wunder"/2018).

Um gut zu schlafen, empfiehlt er eine feste Abendroutine - und: "Medienhygiene: Kein Smartphone oder PC mindestens eine Stunde, bevor man das Licht löscht.“

Wie viele Menschen sind in Deutschland von chronischen Schlafstörungen betroffen?

Es gibt zirka 80 verschiedene Schlafstörungen, das macht eine verlässliche Aussage nicht leicht. Zu den Top drei gibt es aber solide Daten: Von der chronischen Insomnie, der Ein- und Durchschlafstörung, sind sechs Prozent der Bevölkerung betroffen. Zwischen zwei und vier Prozent leiden an einer schlafbezogenen Atmungsstörung, auch krankhaftes Schnarchen genannt. Und ein bis zwei Prozent leiden am sogenannten Restless-Leg-Syndrom mit Missempfindungen in den Beinen, die nur durch Bewegung besser werden.

Damit wären wir schon bei etwa zehn Prozent der Bevölkerung.

Rechnet man noch die selteneren Störungen dazu, Schlafwandeln oder Narkolepsie - eine Störung, bei der Menschen in jeder denkbaren Situation einschlafen können -, kommen wir auf einen Schätzwert von bis zu 15 Prozent.

Was sagt es über unser Gesundheitssystem, wenn fast fünf Millionen Menschen an Ein- und Durchschlafstörungen leiden?

Ich stelle eine hohe Chronifizierungsneigung fest: 70 Prozent leiden länger als ein Jahr, 50 Prozent länger als drei Jahre an Insomnie – und über 20 Prozent sogar länger als zehn Jahre. Das müsste nicht sein.

Warum ist es trotzdem so?

Ein Großteil der Patienten wird sofort mit Schlafmitteln behandelt, die zur Chronifizierung beitragen und bei längerem Einsatz zu Gewöhnung führen. Eine Abhängigkeit auf Rezept, die zwischen ein und zwei Millionen Menschen in Deutschland betrifft. Viel besser helfen würde eine kognitive Verhaltenstherapie - aber dafür fehlen Angebote - und auch unter der Ärzteschaft die Kenntnis, dass diese Therapien existieren.

Ein bis zwei Millionen Schlafmittel-Abhängige: Haben wir es mit einer versteckten Epidemie zu tun?

So weit würde ich nicht gehen. Aber es ist kein guter Zustand. Schlafmittel sind im eigentlichen Sinne nichts anderes als Psychopharmaka. Sie unterstützen beim Abschalten und führen ihn in die schlafförderliche Entspannung, was ihm ohne medikamentöse Hilfe nicht mehr selbst gelingt.

Und warum die kognitive Therapie?

Verschiedene selbstwirksame Techniken helfen, den Patienten wieder zu seiner eigenen Schlaftablette zu machen – und so den chemischen Hammer zu ersetzen. Denn eines muss klar sein: Im chronischen Gebrauch beeinträchtigen Schlafmittel die Qualität des Schlafes und unterdrücken den Tiefschlaf.

Sie propagieren etwa den Gedanken-Stopp. Was hat es damit auf sich?

Die Patienten werden angeleitet, zu prüfen, ob die Gedanken, die ihnen in der Bettsituation kommen, von elementarer Bedeutung sind. Mittels eines dreistufigen Bewertungssystems: Muss das Problem sofort bearbeitet werden? Wenn ja, dann außerhalb des Schlafzimmers. Ist das Problem mittelwichtig? Wenn ja, wird es für morgen notiert. Ist das Problem nicht so wichtig? Dann kann es beiseite geschoben werden. Dadurch lernen sie, dass es kaum extrem dringliche Probleme gibt, die uns den Schlaf rauben sollten.

Wie funktioniert die sogenannte Bettzeitrestriktion?

Das ist eine Methode aus der Verhaltenstherapie. Wir versuchen, den Schlafdruck zu erhöhen, dafür lassen wir unsere Patienten weniger schlafen. Wenn sie dann ins Bett gehen, sind sie in der Regel so müde, dass sie sofort einschlafen. Das wirkt sich positiv auf ihr Schlafselbstbewusstsein aus.

Es geht also darum, den Teufelskreis aus unbedingt einschlafen zu wollen und dann nicht einschlafen zu können, zu durchbrechen?

Genau. Je mehr man schlafen möchte, desto wacher wird man. Die Grundidee aller nicht-medikamentösen Maßnahmen ist dieselbe: Entspannung ist der Königsweg zum Schlaf.

Und ist der Schlaf vor Mitternacht wirklich besonders wertvoll?

Nein. Es ist nur wichtig, dass die persönlichen Schlafzeiten mit dem eigenen chronobiologischen Typus übereinstimmen. Wenn Sie eine Eule sind, um 2 Uhr ins Bett gehen und um 9 Uhr ausgeschlafen aufstehen, ist das in Ordnung. Einzig von Bedeutung ist, dass wir weitestgehend bei Dunkelheit schlafen: Am Tage haben wir weniger vom Schlafbotenstoff Melatonin, das Wachhormon Cortisol ist von hoher Konzentration und die Körperkerntemperatur steigt – alles physiologisch ungünstige Bedingungen für einen tiefen und festen Schlaf.

Welche neuen Erkenntnisse liefert die Schlafforschung?

Wir erkennen immer stärker den Zusammenhang zwischen Alzheimer und chronischer Schlafstörung. Während wir tagsüber denken, entstehen Abfallproteine auf Zellebene im Hirn. Sie gelangen in die Zellzwischenräume und werden über das glymphatische System nachts entsorgt. Schläft man weniger und schlechter, entstehen Rückstände, die verklumpen und zu Amyloid-Plaques führen. Diese lassen Alzheimer entstehen. Das ist erst seit zehn Jahren bekannt.

Welche Maßnahmen würden Sie als Somnologe der Politik empfehlen?

Ein Wunschkonzert wäre toll! Ich würde sofort Schichtarbeit verbieten, wo sie nicht notwendig ist. Die Schule würde ab der Pubertät später beginnen – denn bei Jugendlichen verschiebt sich der Schlaf-Wach-Rhythmus bis zu drei Stunden nach hinten. Außerdem brauchen wir flexible Arbeitszeiten: Die Lerche darf früher zur Arbeit kommen und dann auch früher gehen, die Eule später. Schließlich haben Arbeitgeber Anspruch auf unsere beste Zeit. Keine Nachtsitzungen für Politiker mehr: Im Zustand der Übermüdung gehen unsere ethisch-moralischen Grundsätze verloren. Da kommen keine guten Lösungen zustande! Und zuletzt: Die Schlafmedizin sollte viel mehr finanzielle Ressourcen bekommen, Schlaf als Thema würde im Medizin- und Psychologiestudium fest implementiert. Auch weil das noch nicht der Fall ist, erhalten viele Menschen nicht die optimale Behandlung.

Das Gespräch führte Philipp Hauner.