Zwei tote Landarbeiter in Polen: Alles deutet auf den Absturz einer ukrainischen Luftabwehr-Rakete hin
Der Verdacht, dass die Russen das Gebiet des Nato-Staats Polen gezielt beschossen haben, ist vom Tisch. Es war offenbar ein Unfall.

Der Rauch ist verzogen, die Toten sind geborgen: Der Kraftfahrer Bogdan C. (60) und der Lagerarbeiter Bogusław W. (62) starben, als am Dienstag um 15.40 Uhr eine Rakete beim ostpolnischen Dorf Przewodowa einschlug. Noch ist nicht endgültig geklärt, wer das tödliche Geschoss abgefeuert hat. Es deutet aber immer mehr darauf hin, dass es eine ukrainische S-300-Luftabwehrrakete aus sowjetischer Produktion war, die im Kampf gegen einen russischen Hagel von Raketen und Marschflugkörpern abstürzte.

Bogdan C. hatte gerade seinen Traktor mit einem mit Mais gefüllten Anhänger auf die Waage einer Getreidetrocknungsanlage gefahren, als der Tod von oben kam. Das Dorf, wenige Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, versank in Trauer und Angst, berichten polnische Medien.
In der Welt der Politik brach dagegen Aktivität aus, weil der Verdacht bestand, dass eine russische Rakete in einem Nato-Land eingeschlagen war. Die polnische Regierung trat zusammen. Aus Russland wurde schnell der Vorwurf einer Provokation laut, Moskau wies den Verdacht zurück, Polen beschossen zu haben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wurde nachts um 3 Uhr auf Bali aus dem Bett geholt, wo er am G20-Gipfel teilnahm.
Joe Biden hatte schnell gute Informationen über die Rakete
Es wurden viele Telefonate geführt. Doch die Aufregung blieb begrenzt. Denn am Morgen Ortszeit sagte US-Präsident Joe Biden bei einer Krisensitzung auf Bali, dass die Rakete wohl eine ukrainische S-300 gewesen sei und kein russisches Geschoss, wie es sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj in Kiew schnell behauptet hatte. Die Ukraine sicherte inzwischen zu, die polnischen Ermittler zu unterstützen.

Polens Präsident Andrzej Duda hielt den Ball flach: „Absolut nichts deutet darauf hin, dass es sich um einen absichtlichen Angriff auf Polen handelte.“ Regierungschef Mateusz Morawiecki kassierte daraufhin vorläufig den Plan, über den Artikel 4 des Nato-Vertrags eine Beratung der 30 Mitgliedsstaaten einzuberufen.
Was im Nato-Vertrag steht
Artikel 4: Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist.
Artikel 5: Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen (...) der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.
„Partei“ steht hier für die Mitgliedsländer. Artikel 5 ist zwar etwas verwickelt formuliert, bedeutet aber im Kern, dass die 30 Mitgliedsländer angegriffenen Nato-Partnern beistehen müssen. Wie, können sie selbst entscheiden. Sie müssen nicht zu den Waffen rufen.
Vor jedem bewaffneten Angriff und allen daraufhin getroffenen Gegenmaßnahmen ist unverzüglich dem Sicherheitsrat Mitteilung zu machen. Die Maßnahmen sind einzustellen, sobald der Sicherheitsrat diejenigen Schritte unternommen hat, die notwendig sind, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und zu erhalten.
Nato: Am Ende ist Russland für die Toten verantwortlich
Auch die Nato geht von einer ukrainischen Rakete aus, die gegen russische Marschflugkörper eingesetzt worden sei, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch. Für ihn ist die Verantwortung geklärt: „Das ist nicht die Schuld der Ukraine!“ Sondern Russlands, da es seinen Krieg fortsetze.
Mehr als 90 Raketen, Marschflugkörper und Drohnen hatte Russland am Dienstag auf eine Reihe von Städten der Ukraine abgefeuert, angeblich, um „das militärische Kommandosystem der Ukraine und die damit verbundenen Energie-Anlagen“ zu treffen. Dunkel wurde es aber laut Selenskyj in den Wohnungen von zehn Millionen Ukrainern, obwohl die meisten Geschosse abgefangen wurden.