Zahnärzte werden bissig: Lauterbach spart den Bürgern die Zähne weg!
Zahnmediziner wenden sich gegen die Deckelung der Ausgaben für die Parodontose-Behandlung zu Lasten der Patienten.

„Die Zahl der Deutschen, die ähnlich zahnlos wie manche Eishockeyspieler aussehen, wird wachsen.“
Das fürchtet die Zahnärztin Barbara Plaster (49), Vize-Chefin der Berliner Zahnärztekammer. Sie führt das auf eine geplante Sparmaßnahme des Bundes zurück. Der wolle bei der Parodontose-Behandlung sparen, die erst 2021 als Kassenleistung eingeführt worden war. Was an Zahnverlust bei den Eishockey-Cracks durch Puck, Schläger oder Bande als Teil des Sports weitgehend klaglos hingenommen wird, geht bei der medizinisch korrekt Parodontitis genannten Krankheit mit einer möglicherweise lebenslang anhaltenden Behandlung einher.
In aller Kürze: Bakterien setzen sich im Zahnbelag fest, wandern zwischen Zahn und Zahnfleisch, greifen den Kieferknochen an. Der Zahn wird locker, kann ausfallen. Jeder zweite Erwachsene in Deutschland leidet laut Zahnärztekammer unter einer behandlungsbedürftigen Parodontose.
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Seit 2021 kommen die Krankenkassen für die Parodontose-Behandlung auf. „Was aber jetzt geschieht, hat bundesweit zu Protesten der Kollegen geführt“, sagt Barbara Plaster.
Zahnärzte: Das Ministerium hat seine Spar-Ideen nicht zu Ende gedacht
Denn, so argumentieren Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung (KZBV), habe das Gesundheitsministerium von Karl Lauterbach (SPD) in seinem vorgesehenen GKV-Finanzstabilisierungsgesetz Folgendes vergessen zu bedenken: Mit der Einführung der Kassenleistung für die Parodontose-Behandlung müsse sie auch durchgezogen werden, was in den Folgejahren mit den wiederkehrenden Behandlungen automatisch steigende Kosten nach sich ziehe.
Barbara Plaster: „Werden die Ausgaben für die Behandlungen begrenzt – man nennt das budgetiert -wird es dazu kommen, dass gesetzlich versicherte Patienten lange auf Termine warten müssen. Wenn sie überhaupt einen bekommen können. Sie werden leiden, obwohl sie ihre Kassenbeiträge voll bezahlen.“
Das werde am Ende teurer für die Kassen, wenn Gebisse schweren Schaden nehmen, sagt die Ärztin. So schwer, dass an den letzten verbliebenen Wackel-Zähnen nicht einmal mehr eine Prothese befestigt werden kann: „Diese Patienten kauen dann auf dem Kiefer.“
Außerdem stehe Parodontose im Zusammenhang unter anderem mit Herzkrankheiten und gefährde Schwangere.
Die seit Jahrzehnten andauernden Bemühungen der Zahnärzte, ihre Patienten zu guter Zahnpflege und Vorbeugung zu bewegen, würden konterkariert. Plaster zitiert aus einer Stellungnahme von KZBV und BZÄK zum Gesetz: „Seit 1980 ist der Anteil der Kosten für die zahnärztliche Versorgung von 15 auf unter 7 Prozent der Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für ärztliche Leistungen gesunken.“
Im Gesundheitsministerium sieht man die Situation naturgemäß anders. 2023 und 2024 sehe das Gesetz lediglich eine Obergrenze für den Anstieg der Honorare der Kassenzahnärzte vor. Damit würden nach Berechnungen des
Ministeriums voraussichtlich Einsparungen für die gesetzliche Krankenversicherung in Höhe von 120 Millionen Euro im Jahr 2023 und 340 Millionen Euro im darauf folgenden Jahr erzielt.
Einsparungen bei der Parodontose-Behandlung – also eine Kürzung – sehe der Gesetzentwurf nicht vor.

Gesundheitsministerium spricht von verlangsamtem Ausgaben-Anstieg
Im ersten Quartal 2022 seien die Ausgaben für Parodontose-Behandlungen gegenüber dem Vorjahresquartal um rund 85 Millionen Euro gestiegen – wegen der genannten Leistungsausweitungen von 2021.
Für das gesamte Jahr 2022 rechnet der Schätzerkreis der gesetzlichen Kassen mit Mehrausgaben für die Parodontose-Behandlungen in Höhe von rund 560 Millionen Euro.
Dieser „starke Sockel“ bleibe erhalten und werde weiter ausgebaut, heißt es aus dem Ministerium. Der Anstieg der Ausgaben werde 2023 und 2024 für zahnärztliche Leistungen und damit auch für die Parodontose-Behandlung lediglich übergangsweise etwas verlangsamt.
Hoffnung auf Spar-Kehrtwende auf den letzten Metern
Barbara Plaster hofft, dass sich Bundestag und Bundesrat bei der nächsten Entscheidungsrunde am Freitag noch zu Änderungen des Gesetzentwurfs bewegen lassen. Offiziell höre man nichts, allenfalls zarte Andeutungen, dass die Parodontose-Therapie aus dem Sparprogramm doch noch herausgenommen werden könnte.
Über Ursachen, Folgen und Behandlungswege von Parodontose informiert die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung umfangreich auf ihrer Internetseite https://www.kzbv.de/behandlung-der-parodontitis.97.de.html
Mit dem Online-Selbsttest auf www.paro-check.de kann jede und jeder feststellen, wie hoch das persönliche Parodontitis-Risiko ist.
Von der Internetsuche nach Fotos von durch Parodontose geschädigten Mündern rät der KURIER ab. Nicht sehr schön, um es milde auszudrücken.