Wolfgang Schäuble: 80 Jahre, etwas leiser, aber keine Rede von „Isch over“ bei Deutschlands dienstältestem Abgeordneten
Wolfgang Schäuble wird am Sonntag 80 Jahre alt, und im Dezember wird der CDU-Politiker 50 Jahre lang Bundestagsabgeordneter sein

Nix ist mit„ Isch over“, wie es im ulkigen südwestdeutschen Denglisch von Wolfgang Schäuble klingt: Niemand erwartet, dass er am Sonntag bei seinem 80. Geburtstag verkünden wird, sich aus der Politik zurückzuziehen. Auch dann nicht, wenn er im Dezember als dienstältester Bundestagsabgeordneter seit einem halben Jahrhundert ununterbrochen für die CDU im Parlament sitzen wird.
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Immerhin hatten ihn die Bürger im September 2021 im badischen Offenburg wieder direkt als ihren Wahlkreiskandidaten nach Berlin geschickt. Da sei es mit seinem Pflichtgefühl kaum zu vereinbaren, einfach die Segel zu streichen. Er kann und will nicht aufhören, das wissen auch seine Frau Ingeborg und vier erwachsenen Kinder nur zu gut. Zu sagen gäbe es angesichts der Krisen viel. Doch in der Öffentlichkeit und als Redner macht sich Schäuble rar.
Schäuble will kein besserwisserischer Alter sein
Mit einer Rede hatte er sich am 26. Oktober vom Amt des Bundestagspräsidenten verabschiedet und vermeidet es jetzt, als nunmehr einfacher Abgeordneter ungefragt Ratschläge zu erteilen. Er „kann die Alten nicht leiden, die sich ständig einmischen“, sagte er kürzlich in einem Interview. Mancher im Parlament vermisst den Redner Schäuble: gewitzt, geistreich, mal sehr direkt, mal mit nebulösen Andeutungen, manchmal auch gemein.
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Als „graue Eminenz“ der CDU hatte er immer wieder die Strippen gezogen, sein letzter Einsatz ging aber daneben. Schäuble wollte Armin Laschet (CDU) und nicht Markus Söder (CSU) als Kanzlerkandidaten der Union. Und das ging bekanntermaßen schief.

Vor vollem Einsatz schreckte Schäuble eigentlich nie zurück, auch nicht, nachdem ihn ein geistig Verwirrter 1990 in den Rollstuhl geschossen hatte. Er machte weiter und hält sich mit einem handgetriebenen Bike fit.
Wolfgang Schäuble unterschrieb den Einigungsvertrag. Wochen später wurde er niedergeschossen
Der CDU-Mann gilt als leidenschaftlicher Parlamentarier. Wenn man ihn fragen würde, welcher Job ihm in seinem Politikerleben am meisten Spaß gemacht hat, dann wohl die Zeit als Unionsfraktionschef. Und seine Rolle bei der Wiedervereinigung.

Dennoch ist Schäuble eher ein Mann der Exekutive, jemand, der viel lieber regiert und Reformen aus einem Ministerium heraus anstößt. Das hat der Jurist als Kanzleramtschef so gemacht, als Innenminister (bis 1991) als Organisator der deutschen Einheit, in der Euro-Krise als Finanzminister. Schäuble diente den Regierungen Helmut Kohl und Angela Merkel (beide CDU).
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Mit Kohl kam es zum Bruch, als Schäuble im Jahr 2000 in den Turbulenzen der CDU-Spendenaffäre und nach seinen Aussagen im Bundestag doppelt stürzte: Als CDU-Parteichef (seit 1998) und als Unions-Fraktionsvorsitzender (seit 1991). Bis heute sind die Vorgänge um eine 100.000-Mark-Spende in bar, die er 1994 von einem Waffenhändler erhalten hatte, nicht wirklich geklärt.
Schäuble, in die CDU-Spendenaffäre verstrickt, verlor die Macht an Angela Merkel
Merkel übernahm den Parteivorsitz. Als sie 2005 Kanzlerin wurde, machte sie Schäuble erneut zum Innenminister, vier Jahre später zum Finanzminister.

In der Rolle als oberster Kassenwart kokettierte Schäuble auf internationalem Parkett gern damit, kein Ökonom zu sein – und häufig mit seinem badischen Englisch. Hängen geblieben ist sein Spruch aus der Griechenland-Krise: Dann „isch over“. Aber gerade in der Eurokrise zeigte sich Schäuble als harter Verhandler, der Differenzen auch mit Merkel ausfocht. Am Ende aber immer loyal war.
Nett? Ist vielleicht sein Dialekt. Schäuble konnte Mitarbeiter fertigmachen
Allerdings nicht immer auch nach unten. Vielen ist in Erinnerung, wie er 2010 als Finanzminister seinen Pressesprecher vor versammelter Journalisten-Mannschaft derartig demütigte, dass der seinen Posten aufgab. Einer seiner ehemaligen Mitarbeiter, der die extremen Anforderungen des Politikers kannte, wurde mit den Worten zitiert: „Nach Schäuble ist alles nur noch Erholung.“
Mit seinem letzten Amt des Bundestagspräsidenten – dem zweithöchsten im Staat – hatte Schäuble geliebäugelt. Er kam zum Zug, als die AfD 2017 in den Bundestag einzog und jemand gesucht wurde, der Autorität hatte und scharfzüngig genug, um den Rechtsaußen Paroli zu bieten.
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Streit müsse man führen, mahnte Schäuble denn auch in seiner Antrittsrede, es müsse aber ein Streit nach Regeln sein. Es klang wie eine Mahnung an die AfD, als er ergänzte: „Es gab in den vergangenen Monaten in unserem Land Töne der Verächtlichmachung und Erniedrigung. Das hat keinen Platz in einem zivilisierten Miteinander.“
Das Parlament als wichtigster Teil des politischen Geschäfts
Schäuble beharrte darauf, dass das Parlament auch in Krisen wie der Corona-Pandemie jederzeit handlungsfähig sein müsse. Zwar wurde die Digitalisierung vorangetrieben, so dass Ausschüsse online tagen konnten. Aber der Bundestag selbst trat stets in Präsenz zusammen.
Arm an Enttäuschungen war seine politische Karriere nicht. Kohl hatte ihn 1998 als Nachfolger im Kanzleramt im Blick, was sich mit dem Wahlsieg der SPD erledigte. Auch mit dem Bundespräsidialamt wurde es nichts. Sein größter Ärger aber: Wie schon sein Vorgänger scheiterte Schäuble mit dem Versuch einer Wahlrechtsreform, um den Bundestag zu verkleinern. Einen Trost hat er für sich und andere aber bereit: „In der Demokratie gibt es sowieso nicht die eine richtige Entscheidung, und genau damit müssen wir umgehen.“