Brach sein Studium ab: Kevin Kühnert (SPD).
Brach sein Studium ab: Kevin Kühnert (SPD). Foto:  dpa/Kay Nietfeld

Dass die FDP einen Sozialdemokraten verteidigt, passiert nicht oft. Anfang August war es so weit. „Ich bin selten mit Kevin Kühnert einer Meinung – was würde (ein) Abschluss seines Studiums daran ändern?“, schrieb FDP-Chef Christian Lindner auf Twitter. Zuvor hatte Juso-Chef Kühnert angekündigt, dass er für den Bundestag kandidieren werde. Der Hashtag #kuehnert trendete bei Twitter, Politiker und Nutzer stritten über sein abgebrochenes Studium.

Der Vorsitzende des SPD-Nachwuchses ist nicht der erste Politiker, der sein Studium nicht beendet hat. CDU-General Paul Ziemiak hat ebenso wenig einen Abschluss wie Vize-Bundestagspräsidentin Claudia Roth (Grüne). Österreichs Kanzler Sebastian Kurz hat nur einige Semester Jura studiert. Joschka Fischer (Grüne) hatte nach einer abgebrochenen Ausbildung zum Fotografen wohl nur einen Taxischein gemacht – und wurde Außenminister.

Unangenehme Fragen müssen sich die Betroffenen trotzdem gefallen lassen. Die Berliner AfD-Fraktion warf Kühnert auf Twitter vor, er habe „nichts gelernt, nichts geleistet“. 

Joschka Fischer hatte nur einen Taxischein – und wurde trotzdem Außenminister.
Joschka Fischer hatte nur einen Taxischein – und wurde trotzdem Außenminister. Foto: Imago Images/Hein Hartmann

Doch auch Spitzenpolitiker mit Ausbildung und Berufserfahrung müssen sich bisweilen rechtfertigen. Dass der damalige SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz kein Abi hat, wurde im Wahlkampf 2017 immer wieder thematisiert. Wie solle er mit der Physikerin Dr. Angela Merkel konkurrieren, lautete ein Vorwurf. Dabei war der gelernte Buchhändler Schulz langjähriger Präsident des EU-Parlaments.

„Ohne die Leistung der Universitäten infrage stellen zu wollen – in Deutschland ist der Abschluss wichtiger als das, was man kann“, sagt der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour. Als Kind einer Akademikerfamilie hat er Deutsche Philologie, Politik und Jura studiert – ohne Abschluss, wie er auf seiner Website schreibt. Andere Politiker sind weniger offensiv, erwähnen im Lebenslauf zwar ihr Studium, reagieren aber nicht auf Anfragen dazu.

Der Außenpolitiker Omid Nouripour wollte seinen Doktor machen, aber dazu kam es nie.
Der Außenpolitiker Omid Nouripour wollte seinen Doktor machen, aber dazu kam es nie. Foto: Imago Images/Christian Spicker

Auch Nouripour sagt, er sei auf den Studienabbruch nicht stolz. Er habe eine sogenannte grundständige Promotion – also ohne vorherigen Abschluss – angestrebt, eine Fragestellung gehabt und die nötige Literatur dazu gelesen. „Ich hatte am Anfang die Illusion: Ich komme nach Berlin und arbeite abends noch zwei Stunden an meiner Promotion“, sagt Nouripour. In Wahrheit sei er nach einem Arbeitstag im politischen Betrieb abends aufgedreht nach Hause gekommen und habe „erst einmal zwei Stunden gebraucht, um wieder runterzukommen“.

Anfangs habe er Selbstzweifel wegen des Studienabbruchs gehabt. „Ich muss im Nachhinein sagen, dass es in diesem Land relativ viele Leute gibt, die keinen Abschluss haben. Haben die keinen Repräsentationsanspruch?“ Vor allem Anhänger der AfD würden sein abgebrochenes Studium immer wieder thematisieren. „Aber ehrlich gesagt, spielt das im echten Leben keine Rolle“, betont Nouripour.

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz studierte einige Semester Jura, machte aber keinen Abschluss.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz studierte einige Semester Jura, machte aber keinen Abschluss. Foto: dpa/Herbert P. Oczeret

Sind Studienabbrecher also keine Versager, die auf Steuerzahlerkosten die Parlamente bevölkern? Politik-Experte Benjamin Höhne, Vize-Chef des Instituts für Parlamentarismusforschung, hält akademische Abschlüsse nicht für entscheidend. Wichtiger als der Bildungsgrad sei es, die „Ochsentour“ in der Partei absolviert zu haben. Die Parteien würden erwarten, dass sich Mitglieder über einen langen Zeitraum engagieren. Dabei lernten sie, sich zu vernetzen, Themen aufzunehmen und sie gegenüber den Wählern zu vertreten. 

Auch Studienabbrecher Kevin Kühnert bleibt nach dem Twitter-Tumult gelassen. Er sagt: „Das Tolle an der Demokratie ist, dass nicht die Vorstände von AfD, CDU oder sonst wem darüber entscheiden, wer Verantwortung in Parlamenten übernimmt, sondern Wählerinnen und Wähler.“ (mit dpa)