Wissenschaftler warnen vor Corona-Todeskurve
Die sechs größten deutschen Wissenschaftsverbünde forderten massive Maßnahmen

Die Warnungen vor einer bevorstehenden Corona-Katastrophe kommen nicht mehr nur aus dem kleinen Zirkel der Virologen und Intensivmediziner. Unter dem Schlagwort „Es ist ernst“ forderten die Präsidentinnen und Präsidenten der sechs größten Wissenschaftsverbünde Deutschlands schnelle und deutliche Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Nur so sei es zu vermeiden, dass die Zahlen der Infektionen und Covid-19-Todesfälle explodieren.
Deutsche Forschungsgemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina stellten Modellrechnungen an, was geschehen wird, wenn alles so weitergeht wie bisher.
Dann dürfte die Zahl der Infektionen im schlimmsten Fall auf weit über 110.000 Ende November steigen – pro Tag. Damit einhergehend würde die Zahl der Corona-Todesfälle in Deutschland von knapp 10.200 seit Pandemiebeginn (Stand: Mittwoch) auf über 21.000 Ende November steigen – eine steil ansteigende Todeskurve. Bei einer sofortigen Viertelung der Kontakte der Menschen könnte man diese Zahl auf unter 13.000 begrenzen, bei einer Halbierung auf etwa 14.500.
Kontrollverlust breitet sich aus
Eine ungebremste Ansteckungswelle muss nach Auffassung der Wissenschaftsverbünde aus drei Gründen verhindert werden: Einmal, weil immer mehr Gesundheitsämter nicht mehr in der Lage sind, Infektionswege nachzuvollziehen und möglicherweise Infizierte zu informieren: „Jeder infizierte Kontakt, der den Gesundheitsämtern entgeht, ist der Keim einer neuen Infektionskette, die sich der Kontrolle entzieht.“
Zum Zweiten, um die Fallzahlen zu reduzieren, ehe die Lage bei der Versorgung schwer Erkrankter in Kliniken kritisch wird. Es sei im In- und Ausland zu beobachten, dass die unkontrollierte Ausbreitung des Virus in der jungen Bevölkerung zunehmend auf die älteren Menschen übergreift. Das führe zu mehr belegten Betten, die dann nicht für Patienten mit anderen Krankheiten verfügbar sind.
Drittens müsste verhindert werden, dass das Virus aus Gegenden mit unkontrollierbar hohen Infektionszahlen in weniger befallene Gebiete übergreift.

Der Schlüssel zur Eindämmung seien die Reduzierung ungeschützter Kontakte zwischen den Menschen und die konsequente Einhaltung der AHA+L+A-Regeln: Abstand, Händewaschen, Alltagsmaske plus Lüften und Einsatz der Corona-Warn-App. Darüber hinaus müssten verschärfte, bundesweit einheitliche Regeln gelten, die schnell angeordnet werden.
Damit das auch nachhaltig wirkt, so fordern die Wissenschaftler, sei es unter anderem erforderlich, Risikogruppen wie zum Beispiel Ältere gezielt zu schützen, Verhaltensmaßregeln deutlich zu kommunizieren, auch in Schulen Masken vorzuschreiben, private Treffen vor allem in Räumen zu vermeiden und schärfere Hygienemaßnahmen durchzusetzen und zu kontrollieren.
„Das Virus verhandelt nicht“
Der Charité-Virologe Christian Drosten unterstützt das: „Dieses Virus lässt nicht mit sich verhandeln. Es erzwingt bei einer bestimmten Fallzahl einfach einen Lockdown. Wenn wir jetzt einmal auf die Bremse treten würden, dann hätte das einen ganz nachhaltigen Effekt. Das würde uns ganz viel Zeit einspielen.“
Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) erklärte, dass noch genug Intensivbetten in Deutschland frei seien. Das könne sich bald ändern. Er bittet die Bevölkerung, Kontakte zu minimieren, größeren Veranstaltungen fernzubleiben und die Teilnahme an Festen zu vermeiden: „Ohne Ihre Hilfe werden wir es nicht schaffen!“