Maria Kolesnikowa, Vertreterin des Ex-Bankchefs Babariko, dessen Kandidatur von der Wahlkommission verweigert wurde, Swetlana Tichanowskaja, Kandidatin bei der Präsidentenwahl in Belarus, und Veronika Zepkalo, Ehefrau des nicht zugelassenen Kandidaten Zepkalo
Maria Kolesnikowa, Vertreterin des Ex-Bankchefs Babariko, dessen Kandidatur von der Wahlkommission verweigert wurde, Swetlana Tichanowskaja, Kandidatin bei der Präsidentenwahl in Belarus, und Veronika Zepkalo, Ehefrau des nicht zugelassenen Kandidaten Zepkalo Foto: Sergei Grits/AP/dpa

Für den härtesten Kampf ihres Lebens hat Swetlana Tichanowskaja (37) ihre beiden Kinder sicherheitshalber ins Ausland bringen lassen. Die Fremdsprachenlehrerin ist bei der Präsidentenwahl in Belarus (Weißrussland) einzige zugelassene Kandidatin der Opposition. Eigentlich sollte ihr Mann, der Blogger Sergej Tichanowski, am 9. August gegen Dauer-Präsident Alexander Lukaschenko antreten. Doch weil er - wie viele andere - im Gefängnis sitzt, führt nun seine Frau den Widerstand. Tichanowskaja will „Europas letzten Diktator“ nach 26 Jahren aus dem Amt drängen.

Präsident Alexander Lukaschenko hat in der Corona-Krise das Vertrauen seiner Landsleute verspielt und viele Weißrussen verletzt. 
Präsident Alexander Lukaschenko hat in der Corona-Krise das Vertrauen seiner Landsleute verspielt und viele Weißrussen verletzt.  Foto: Sergei Grits/AP

In dem Land zwischen EU-Mitglied Polen und Russland demonstrieren seit Wochen Tausende für Veränderung und Freiheit. Der 65-jährige Lukaschenko hat seine wichtigsten Gegner vor der Wahl wieder einsperren lassen. Das führte zu Protesten – und Festnahmen von Hunderten Aktivisten. Doch nun vollzieht sich in der Ex-Sowjetrepublik etwas, was viele kaum noch für möglich hielten: Mit Tichanowskaja schmiedeten die Frauen der von der Wahlkommission abgelehnten Bewerber ums Präsidentenamt ein Bündnis.

Am Donnerstag startete die 37-Jährige in der Hauptstadt Minsk ihre Wahlkampftour durchs Land. Mit dabei: Maria Kolesnikowa für den inhaftierten Ex-Bankchef Viktor Babariko und Veronika Zepkalo für den Unternehmer Waleri Zepkalo. Bislang hat Lukaschenko Frauen in der Politik nie ernst genommen. Jetzt drohen sie, das von Männern geprägte System ins Wanken zu bringen.

Begeistert halten Anhänger Porträts des Frauen-Trios bei einer Kundgebung in die Höhe.
Begeistert halten Anhänger Porträts des Frauen-Trios bei einer Kundgebung in die Höhe. Foto: Sergei Grits/AP

„Es ist ein Zusammenschluss, der zwar kein Programm hat, aber eine starke Botschaft: Belarus braucht Veränderung, damit faire und freien Wahl stattfinden können“, sagt die Belarus-Expertin Maryna Rakhlei von der Denkfabrik German Marshall Fund in Berlin. „Wie einst in der DDR ist der Wille zum Wandel groß genug. Es ist ähnlich wie damals, als selbst die Elite nicht mehr so richtig merkte, was in der Gesellschaft eigentlich los ist – und plötzlich fiel die Mauer.“

Ruhig und eindringlich mit perfektem Styling ruft Tichanowskaja in einer Wahlrede im Staatsfernsehen ihre Landsleute auf, zur Wahl zu gehen und sich die Stimmen nicht durch Fälschungen stehlen zu lassen. „Stimmen Sie für mich!“ Die Mutter eines zehn Jahre alten Sohnes und einer vierjährigen Tochter verspricht, im Fall des Sieges alle politischen Gefangenen freizulassen und mit ihnen eine neue und ehrliche Präsidentenwahl anzusetzen.

Zustimmung für Lukaschenko nur bei 20 bis 25 Prozent

Tichanowskaja erinnert auch an ihren Mann, der mit seinem Internet-Videoprojekt „Ein Land zum Leben“ Missstände, große Armut und breite Unzufriedenheit aufdeckte. Nicht zuletzt hat die Bewegung um die Familie Tichonowski einen rockigen Protestsong. Der Titel: „Steny ruchnut“ („Mauern stürzen ein“). Eine Zeile daraus: „Los, zerstören wir dieses Gefängnis.“

„Wir erleben gerade eine einzigartige Politisierung in der Gesellschaft“, sagt der Minsker Analyst Artjom Schraibman. Auch Teile der Elite seien aufgewacht. Als Grund sieht er vor allem die tiefe soziale und wirtschaftliche Krise in dem von Russland abhängigen Land. „Corona hat alles verändert“, sagt Expertin Maryna Rakhlei. In der Krise habe sich Lukaschenko abfällig geäußert über jene, die an dem Virus starben. „Das hat viele Menschen tief verletzt.“ Zerstört habe er damit auch sein Bild vom Landesvater, der sich um das Wohl der Menschen kümmere.

Die tatsächliche Zustimmung für Lukaschenko sieht er noch bei zwischen 20 und 25 Prozent – also deutlich über den drei Prozent, die die Opposition dem Präsidenten gibt, aber massiv unter dem Wert von über 70 Prozent, den staatliche Umfragen nennen.