Lagebericht zu Sicherheitsbehörden

Verfassungsschutz: Rechtsextremismus bei der Polizei keine Einzelfälle

Innenminister Horst Seehofer (CSU) sieht aber kein „strukturelles Problem“ 

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Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Thomas Haldenwang (l), Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, berichten über Rechtsextremismuss in deutschen Sicherheitsbehörden.  
Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Thomas Haldenwang (l), Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, berichten über Rechtsextremismuss in deutschen Sicherheitsbehörden. Foto: Wolfgang Kumm/dpa Pool/dpa

Berlin - In den deutschen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern hat es im Zeitraum von Juli 2017 bis März diesen Jahres 377 Verdachtsfälle von Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus gegeben. Sie führten zu 365 Disziplinar- oder Strafverfahren, die noch nicht alle abgeschlossen sind. Bislang endeten diese Verfahren mit 71 Entlassungen von Beamten beziehungsweise mit Nicht-Übernahme in das Beamtenverhältnis. Dazu kommt eine kleine Zahl entlassener Angestellter.

Das steht im Lagebericht Rechtsextremismus bei den Polizeien, den Nachrichtendiensten von Bund und Ländern sowie dem Zoll. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, stellten ihn am Dienstag vor. Seehofer sieht mit den Zahlen belegt, dass es kein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus gebe, weil sie bei weniger als einem Prozent der Mitarbeiter  festgestellt worden seien. Jeder einzelne Fall sei jedoch eine Schande für die Sicherheitsbehörden.

Haldenwang sagte allerdings, die Vorgänge gingen über Einzelfälle hinaus. Er forderte die Behörden dazu auf, im Rahmen von Vorbeugung gegen, Entdeckung von und Reaktionen auf rechtsextremistische,  antisemitische oder rassistische Verdachtsfälle Erkenntnisse an sein Amt als zentrale Stelle zu melden.  

In lediglich zwei der erfassten Fälle stellte sich heraus, dass sich ein Beamter als Mitglied einer rechtsextremistischen Organisation angeschlossen hatte. Zweimal wurden Kontakte zu solchen Gruppierungen nachgewiesen. In den meisten Verdachtsfällen ging es um radikale Äußerungen oder die Nutzung entsprechender Symbole, Parolen oder Bilder in Chats oder sozialen Medien.

Von den in den Ländern gemeldeten 319 Fällen kam Berlin mit 53 auf den zweiten Platz hinter Hessen (59). 

Der Bericht, vom Bundesamt anhand einer Abfrage nach Verdächtigen und Verfahren in Bund und Ländern zusammengestellt, hat jedoch Lücken: Er umfasst die Vorfälle nicht, die in den letzten Monaten bekannt geworden waren. Darunter war eine Chat-Gruppe von über 25 Berliner Polizisten, die rassistische Parolen und Gewaltfantasien austauschten.

Ähnliche Fälle gab es in Nordrhein-Westfalen und Hessen. In Nordrhein-Westfalen wurde ein Observationsteam des Landes-Verfassungsschutzes aufgelöst, das auf Rechtsextremisten spezialisiert war. Die drei Mitglieder sollen fremdenfeindliche Videos geteilt und über Facebook Kontakte zu Rechtsextremisten gehabt haben.  

Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic hat erneut dafür geworben, bei der Polizei mehr unabhängige Ansprechpartner zu installieren, denen Beamte Hinweise zu rechtsextremistischen Vorfällen geben können, und die nicht Teil der Polizeihierarchie sind. Eine wissenschaftliche Studie zu Rechtsextremismus und Rassismus in der Polizei lehnte Seehofer bisher stets ab. Eine Haltung, die Mihalic als nicht zu verstehende „Wissenschaftsfeindlichkeit“ bezeichnet.