Ukraine-Schockrede von Russen-Außenminister Lawrow: Dutzende Länder verlassen den Saal nach irren Atom-Forderungen
Dutzende Diplomaten protestieren gegen abstruse russische Behauptungen mit einer deutlichen Protest-Aktion.

Riesen-Eklat beim Auftritt des russischen Außenministers Sergej Lawrow beim UN-Menschenrechtsrat inmitten des Ukraine-Krieges: Lawrow schockt mit neuen Forderungen und krassen Anschuldigungen. Deutschlands Botschafterin und Dutzende weitere Diplomaten verlassen den Saal.
Aus Protest gegen den russischen Krieg in der Ukraine haben Diplomaten in Genf vor der Rede des russischen Außenministers Sergej Lawrow den Saal des UN-Menschenrechtsrats verlassen. An der vorab koordinierten Aktion waren die deutsche Botschafterin Katharina Stasch sowie Dutzende weitere Delegationen beteiligt.
„Der Menschenrechtsrat darf nicht als Plattform für Desinformation missbraucht werden“, sagte Stasch anschließend. „Die grotesken Behauptungen von Außenminister Lawrow müssen als das bloßgestellt werden, was sie sind: eine zynische Verdrehung der Tatsachen.“
Wegen Sanktionen durfte Russen-Außenminister nicht fliegen: Per Video zugeschaltet
Lawrow, der per Videolink zugeschaltet war, verlas eine lange Erklärung, in der er den Angriff auf die Ukraine mit Menschenrechtsverletzungen auf ukrainischer Seite rechtfertigte. Er wollte zunächst persönlich an der Sitzung teilnehmen. Die Reise wurde dann mit Verweis auf die Sperrung des europäischen Luftraums für russische Maschinen abgesagt. Der Menschenrechtsrat hatte am Montag mit seiner regulären Frühjahrssitzung begonnen.
In seiner Rede warf Lawrow der Ukraine jahrelange Terrorisierung Angehöriger der russischen Minderheit vor. Ihre Menschenrechte seien auf vielfältige Weise verletzt worden. Der Westen habe nicht nur zugeschaut, sondern dies unterstützt. Er erwähnte mehrfach die USA, Kanada und die Europäische Union. Seit Mitte Februar seien mehr als 100 000 Menschen aus der Region Donbass nach Russland geflohen.
Die Regierung in Kiew wolle ihr Land in ein „Anti-Russland“ verwandeln, „um dem Westen zu gefallen“, sagte Lawrow nach der englischen UN-Übersetzung seiner Rede. Die westlichen Länder seien „besessen“ von Sanktionen, die Lawrow als illegal bezeichnete. Sie zielten nach seiner Darstellung auf das normale Volk ab. „Der Westen hat eindeutig die Kontrolle über sich selbst verloren, weil er seine Wut an Russland auslassen will“, sagte Lawrow laut Übersetzerin.
Lawrow wirft Ukraine Atom-Ambitionen und Bedrohung der Sicherheit vor
Der russische Außenminister Sergej Lawrow beließ es nicht bei Anschuldigungen gegen die Ukraine, sondern stellte neue Forderungen auf: In keiner der früheren Sowjetrepubliken dürfe der Westen Militärstützpunkte aufbauen. Es sei auch inakzeptabel, dass in einigen Ländern US-Atomwaffen stationiert seien. Nuklearwaffen der NATO sind derzeit in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden sowie der Türkei stationiert. Zu den früheren Sowjetrepubliken gehören unter anderem die baltischen Staaten Lettland und Litauen.
Der von Russland angegriffene Ukraine warf Lawrow vor, die internationalen Sicherheit vorgeworfen. Die Regierung in Kiew wolle eigene Atomwaffen, behauptete Lawrow am Dienstag per Videolink vor der Ständigen Abrüstungskonferenz in Genf.
Ukraine hatte Atomwaffen aus Sowjetzeiten an Russland abgebeben
Auf dem ukrainischen Territorium befänden sich noch sowjetische Nukleartechnologie und die Mittel, so bestückte Waffen abzuschießen, sagte Lawrow der englischen UN-Übersetzung zufolge. „Wir müssen auf diese reale Gefahr reagieren.“ Tatsächlich hatte die Ukraine Atomraketen aus Sowjet-Beständen nach Abschluss bilateraler Verträge an Russland abgegeben. Diese Verträge beinhalten eine Anerkennung der Grenzen und Souveränität der Ukraine durch Russland.
Lawrow verlangte weiter, dass US-Atomwaffen vom Gebiet der Nato-Partner abgezogen werden. Er betonte auch: „Wir glauben weiter, dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf.“ Die Ständige Abrüstungskonferenz ist das einzige multilaterale Abrüstungsforum der Welt.
Internationale Atombehörde sieht keine Belege für Russlands Behauptungen
Von der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA hieß es in der vergangenen Woche, sie sehe keinerlei Belege für die Behauptungen über ein mögliches Atomwaffenprogramm in der Ukraine. „Unsere Agentur hat keine Hinweise dafür gefunden, dass in der Ukraine deklariertes Nuklearmaterial aus der friedlichen Nutzung von Nuklearenergie abgezweigt wird“, teilte ein IAEA-Sprecher dem „Tagesspiegel“ mit. Die Behörde mit Sitz in Wien überwacht unter dem Dach der Vereinten Nationen die zivile Nutzung der Atomkraft und die Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags.
Lawrow sagte weiter, es müsse eine neue Spirale des Wettrüstens verhindert werden. Es dürfe keine gefährlichen Schritte im Rahmen militärischer Aufrüstung geben. Die Nato-Mitglieder ignorierten dies. Die Nato ziehe die Ukraine in den Dunstkreis der Allianz, in dem sie ihr Waffen liefere, sagte Lawrow. Er lamentierte, dass die Nato Russland keine langfristigen Sicherheitsgarantien gebe und keine weitere Ausweitung Richtung Osten ausschließe. Die Nato müsse ihre militärischen Kapazitäten auf das Gebiet zurückziehen, wo sie bei der Unterzeichnung der Nato-Russland-Grundakte 1997 waren, verlangte Lawrow.
Lawrow wollte ursprünglich persönlich nach Genf kommen. Das sei durch die Sperrung des Luftraums in der EU für russische Maschinen verhindert worden, teilte die russische Botschaft in Genf am Montag mit.