Zwei ukrainische Freiwillige bewachen einen Kontrollpunkt in Kiew.
Zwei ukrainische Freiwillige bewachen einen Kontrollpunkt in Kiew. AP/ Vadim Ghirda

Es sollte eine schnelle Operation werden. Die Ukraine schnell überrollen und eine Regierung installieren, die Moskau ergeben ist. So lautete wohl der Plan. Der ist aber gründlich daneben gegangen. Und das lässt sich selbst in Russland auch nur noch bedingt leugnen.

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Ausgebrannte Panzerwracks und Leichen in russischen Uniformen: Vier Wochen nach dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine ist Präsident Wladimir Putin von seinen Zielen weit entfernt - obwohl er rücksichtslos auf Wohnblocks und Industrieanlagen feuern lässt. Im Gegenteil: Die russischen Soldaten graben sich in ihren Stellungen ein und warten auf Nachschub für die „Z-Invasion“, deren Fahrzeuge mit dem Buchstaben gekennzeichnet sind.

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Mindestens 6000 russische Soldaten sind schon tot, sagen westliche Militärexperten. Und dies sei eine konservative Berechnung, die Zahl könne deutlich größer sein, vielleicht sogar im fünfstelligen Bereich. Dazu passt: Die kremlnahe russische Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ nannte am Wochenende online kurzzeitig die Zahl von 9861 russischen Soldaten, die inzwischen gefallen seien – was schnell korrigiert wurde.

Mehr als 200 russische Kampfpanzer haben die ukrainischen Soldaten westlichen Analysen zufolge abgeschossen, zudem 750 Schützenpanzer, Radpanzer und gepanzerte Truppentransporter der Angreifer. Die in die Ukraine eingerückten russischen Landstreitkräfte stehen nach diesen Angaben nur noch bei etwa 80 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit.

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Ein völlig zerstörter russischer T-72-Kampfpanzer nahe Kiew.
Ein völlig zerstörter russischer T-72-Kampfpanzer nahe Kiew. dpa/Alex Chan Tsz Yuk

„Krieg wird weder leicht noch schnell enden“

„Dieser Krieg wird weder leicht noch schnell enden“, sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, vor einer Reise Bidens nach Europa. „Es werden harte Tage auf die Ukraine zukommen, am härtesten für die ukrainischen Truppen an der Front und für die Zivilbevölkerung unter russischem Beschuss.“

Dies gilt teils auch, weil die russischen Soldaten nicht vorankommen. Hat sich Moskau mit dem stockenden Verlauf des Angriffs als Militärmacht selbst entzaubert?

Noch zu Beginn des vergangenen Jahres hat die polnische Armee in einer Übung einen russischen Angriff auf den eigenen Staat simuliert. Bei der Stabsübung „Zima 2020“ (Winter 2020) wurde mit Beteiligung Tausender polnischer Offiziere eine großangelegte Offensive russischer Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und aus der Luft durchgespielt. Das schockierende Ergebnis: Nach 4 bis 5 Tagen war Warschau eingekesselt, große Gebiete Polens waren in russischer Hand und der Angreifer auf dem Weg weiter in Richtung deutscher Grenze.

Trümmer liegen auf einer Straße in Kiew.
Trümmer liegen auf einer Straße in Kiew. dpa/Mohammad Javad Abjoushak

Ukrainer kämpfen aus dem Hinterhalt

Der Militärexperte Michael Karl, der sich als Forscher der Bundeswehr-Denkfabrik GIDS mit Russland und Osteuropa befasst, geht davon aus, dass sich die technische Modernisierung der russischen Streitkräfte seit Wladimir Putin deutlich verbessert hat. „Aber was die Art der Kriegführung angeht, da hat sich nicht viel geändert. Angegriffen wird in Wellen.“

Die Ukrainer entzögen sich allerdings dem sogenannten Begegnungsgefecht. Damit sind Situationen gemeint, in denen Truppen überraschend auf den Feind treffen und sofort den Kampf aufnehmen. Die Ukrainer bekämpften den russischen Feind dagegen unter anderem aus dem Hinterhalt, so Karl. Die russischen Truppen würden ähnlich wie einst in Grosny von allen Seiten aufgerieben.

Sorge macht international und in Deutschland das russische Atomwaffenpotenzial. „Wenn Russland nicht zumindest den symbolischen Sieg mit der Einnahme der Hauptstadt Kiew erringen kann, könnte es auf territorial begrenzte atomare Gefechtsfeldwaffen zurückgreifen“, sagt Karl dazu. „Damit sind an dieser Stelle nicht Interkontinentalraketen gemeint, sondern taktische Atomwaffen.“

Russland hat Wehrhaftigkeit der Ukraine falsch eingeschätzt

Fest steht, dass Russland die Wehrhaftigkeit der Ukraine falsch eingeschätzt hat. Experten aus Nato-Staaten und auch deutsche Militärfachleute waren über Jahre als Berater in der Ukraine, nachdem die ukrainischen Streitkräfte im Jahr 2014 während der russischen Annexion der Krim im Grunde genommen nicht einsatzfähig waren.

„Diese Armee hätte damals ohne westliche Unterstützung diese Phase vermutlich nicht überstanden“, heißt es aus informierten Kreisen des Bundesverteidigungsministeriums. Sehr ernsthaft und gegen interne Widerstände sei ein Wechsel der Unternehmenskultur betrieben worden - „weg vom Sowjet-Denken“, hin zu westlichen Verfahren.

Gräber vor einem Wohnhaus in Mariupol.
Gräber vor einem Wohnhaus in Mariupol. Imago/Mikhail Tereshchenko

„Am Anfang galt eine sozialistische Sitzordnung: An einem langen Tisch, sich gegenüber sitzend, dazwischen Blumen, Geranien, was immer es war“, wird erklärt. Ganze Gruppen von 15 oder 20 Ukrainern hätten vor allem geschwiegen. „Der Chef hat gesprochen. Und danach hat keiner mehr geredet. Sozialistische Sitzordnung. Gleiches Prinzip.“

Alte Schule mit Gehorsam ohne Widerspruch

So stehen sich an den Fronten nun auch militärische Systeme gegenüber. Auf russischer Seite alte Schule mit Gehorsam ohne Widerspruch, einer Mangelwirtschaft und dem Prinzip „Arschtritt“.

Auf der ukrainischen Seite sind eine stärkere Integration der Streitkräfte in die eigene Bevölkerung und – vor allem – die hohe Motivation ein Riesenvorteil. 200.000 Soldaten zählt die reguläre ukrainische Armee, vielleicht 200.000 weitere Männer und Frauen in der territorialen Verteidigung aus Freiwilligen.

Nach einem Monat ist der Kampf in einen Stellungskrieg übergegangen. Kiew geht davon aus, dass die russischen Truppen Reserven heranziehen und sich für neue Offensivbemühungen umgruppieren. Schwerpunkt der Kämpfe mit Veränderungen der Frontlinie bleibt der ostukrainische Donbass. Nur unter starkem Einsatz von Luftwaffe und Artillerie konnten russische Truppen kleinere Geländegewinne verzeichnen.

„Die Ukrainer wissen, wofür sie kämpfen - die Russen nicht“

Hart umkämpft bleibt die Hafenstadt Mariupol. Nach Angaben der Donezker Separatisten wurde nach drei Wochen kompletter Einschließung erst etwa die Hälfte der Stadt unter russische Kontrolle gebracht. Selbst Separatistenchef Denis Puschilin zeigt sich skeptisch hinsichtlich schneller Fortschritte. Zu gut haben sich die ukrainischen Verteidiger von Nationalgarde und Marineinfanteristen in der Stadt festgesetzt. Die komplette Eroberung der Stahlkocherstadt wäre dabei ein wichtiger symbolischer Erfolg für Russland und die Separatisten.

Im ukrainischen Hinterland werden zunehmend Depots und Verkehrsknotenpunkte mit Luft-Boden-Raketen angegriffen. Mehrere Angriffe wurden zudem mit Raketen von Schiffen aus dem Schwarzen Meer gestartet. Neben der Störung des Nachschubs durch Zerstörung von Treibstofflagern, Munitionsvorräten und Wegen scheint dabei auch die Zermürbung des Gegners ein Ziel.

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Eine Prognose ist schwer. Der US-Stratege Eliot Cohen rechnet mit einer russischen Niederlage im Ukraine-Krieg. „Die Russen haben das Gros ihrer einsatzfähigen konventionellen Streitkräfte mobilisiert, und sie erleiden hohe Verluste“, sagte er dem „Handelsblatt“. Dafür sei vor allem die hohe Moral der ukrainischen Streitkräfte verantwortlich: „Die Ukrainer wissen, wofür sie kämpfen - die Russen nicht.“