Ukraine-Krieg: Angst vor einem neuen Tschernobyl! Behörde sieht „sehr reale Gefahr einer nuklearen Katastrophe“
Russisches Oppositions-Portal wirft Russland vor, das besetzte ukrainische AKW Saporischschja zu verminen

Viele haben das Entsetzen noch im Kopf, als das sowjetische Atomkraftwerk Tschernobyl in der heutigen Ukraine 1986 in die Luft flog und eine Wolke von Radioaktivität über Europa zog. Jetzt braut sich ähnliches Unheil zusammen: Das ukrainische AKW Saporischschja liegt nahe der russisch-ukrainischen Front und wurde beschossen. Ende vergangener Woche brach ein Feuer aus, ein Block musste abgeschaltet werden.
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Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA, Wien) teilte mit, der Beschuss „unterstreicht die sehr reale Gefahr einer nuklearen Katastrophe, die die öffentliche Gesundheit und die Umwelt in der Ukraine und darüber hinaus bedrohen könnte“, sagte IAEA-Chef Rafael Grossi.
Atomkraftwerk als Schutzschild der russischen Artillerie?
Die Anlage, in der es schon kurz nach Kriegsbeginn gebrannt hatte, ist von russischen Truppen besetzt. Betrieben wird sie unter ihrem Kommando von der ukrainischen Belegschaft. Die Ukraine wirft den Russen vor, Geschütze am Atomkraftwerk aufgestellt zu haben und von dort aus zu schießen, in der Erwartung, dass die ukrainische Armee nicht zurück feuert aus Angst, einen der sechs Reaktorblöcke zu treffen. Die Ukraine erklärte, die Russen selbst hätten mit einer Rakete das Feuer verursacht.

„Das AKW arbeitet mit dem Risiko einer Verletzung der Normen für Strahlen- und Brandschutz“, verbreitete die staatliche ukrainische Atombehörde Enerhoatom. „Es bleibt das Risiko, dass Wasserstoff austritt und sich radioaktive Teilchen verteilen, auch die Brandgefahr ist hoch.“
Stress des Bedienungspersonals, hinter dem feindliche Soldaten stehen, gefährdet die Sicherheit des Atomkraftwerks
IAEA-Chef Grossi hatte auch gefordert, dass die russischen Soldaten keinen Druck auf das Personal ausüben dürfen. Denn mit dem Dauerstress steigt aus Sicht der IAEA auch das Risiko für Bedienungsfehler, die die Sicherheit des AKW gefährden könnten.
Der Risikoforscher Nikolaus Müllner von der Universität für Bodenkultur in Wien erklärte: „Grundsätzlich sind militärische Angriffe nicht Teil des Designs von Kernkraftwerken.“ Sie seien so gebaut, dass sie Naturkatastrophen, Flugzeugabstürzen oder Terrorattacken standhalten können. Schutz gegen gezielte militärische Zerstörung sei kaum möglich.
Der Wissenschaftler, der derzeit die Gefahren für ukrainische Kernkraftwerke untersucht, geht allerdings davon aus, dass ein versehentlicher Beschuss mit „üblichen“ Waffen, wie er wahrscheinlich in Saporischschja stattgefunden hat, noch zu keinen fatalen Schäden am Reaktor-Schutzbehälter führt.
Beim Ausfall der Stromversorgung bleiben nur 15 Stunden bis zum Atomunfall
Die Zerstörung der externen Stromversorgung der Anlage könnte laut Müllner jedoch im schlimmsten Fall zu einer Kernschmelze führen. Falls die Notfallgeneratoren vor Ort intakt bleiben, lassen sich die Reaktoren noch einige Tage weiterkühlen. Wenn auch diese Aggregate oder die Dieselvorräte für ihren Betrieb zerstört werden, bleiben laut Müllner maximal 15 Stunden bis zum Atomunfall.
Eine weitere Gefahr drohe durch Beschädigung von Dampfleitungen. Auch in diesem Fall sei das Kühlsystem in Gefahr. Die IAEA warnt außerdem davor, dass Sicherheitssysteme des Kraftwerks zerstört werden könnten und dass Einsatzpläne für den Fall eines Atomunfalls im Gefecht nicht mehr greifen. Seit dem Beschuss sind in Saporischschja bereits einige Strahlenmessgeräte defekt.
EU fordert Zugang internationaler Atom-Experten ins Kraftwerk
Der Vorwurf, Europas größtes AKW als Schutzschild zu missbrauchen, wurde von der Europäischen Union übernommen: „Die EU verurteilt Russlands militärische Aktivitäten rund um das Nuklearkraftwerk Saporischschja. Das ist ein ernster und unverantwortlicher Bruch atomarer Sicherheitsregeln und ein weiteres Beispiel für Russlands Nichtbeachtung internationaler Normen“, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Er forderte Zugang für die IAEA-Spezialisten.
Jewhenij Zymbaljuk, ukrainischer Botschafter bei der Atombehörde, warnte vor einer riesigen Katastrophe, falls es einen Atomunfall gebe: „Was dann im Radius von 40 oder 50 Kilometern um das Kraftwerk passieren würde, wäre mit Tschernobyl und Fukushima absolut nicht vergleichbar.“ Ganz Europa werde schwere Konsequenzen zu tragen haben
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Das oppositionelle russische Internetportal The Insider berichtet, es gebe Hinweise, dass die russischen Truppen das AKW oder seine unmittelbare Umgebung verminen.