Ukraine-Botschafter Melnyk nennt Scholz „beleidigte Leberwurst“
Bundeskanzler will, dass „Russland den Krieg nicht gewinnt und die Ukraine ihn nicht verliert“.

Ohne den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk wäre es etwas langweiliger in der deutschen Politik. Kaum hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Abend im ZDF-Interview verkündet, er werde einstweilen nicht nach Kiew reisen, wurde er von Melnyk als „beleidigte Leberwurst“ betitelt. Statt Scholz machte sich Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) nach Kiew auf.
Der Kanzler hatte die Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor drei Wochen als Hinderungsgrund für eine eigene Reise genannt. Die ukrainische Staatsführung hatte Steinmeier, dem sie große Russland-Nähe vorwirft, nicht in Kiew sehen wollen. Er sollte eigentlich mit den Staatschefs von Polen, Estland, Lettland und Litauen reisen.
Scholz sagte dazu im ZDF: „Es kann nicht funktionieren, dass man von einem Land, das so viel militärische Hilfe, so viel finanzielle Hilfe leistet, das gebraucht wird, wenn es um die Sicherheitsgarantien geht, die für die Zeit der Ukraine in der Zukunft wichtig sind, dass man dann sagt, der Präsident kann aber nicht kommen.“
Panzer ohne Munition?
Diese Haltung der beleidigten Leberwurst sei nicht staatsmännisch, befand Melnyk und teilte mit, sein Präsident Wolodymyr Selenskyj würde sich weiterhin freuen, Scholz in Kiew empfangen zu dürfen. Er fügte aber hinzu: „Worauf sich die Ukraine viel mehr als auf alle symbolischen Besuche freuen würde, ist, dass die Ampel-Regierung den Antrag des Bundestages über die Lieferung von schweren Waffen zügig umsetzen wird und die bisherigen Zusagen erfüllt.“ Er kritisierte, dass für die versprochenen Gepard-Flugabwehrpanzer noch immer keine Munition gefunden worden sei.

Damit relativierte er Scholz' Argumentation, man habe der Ukraine mitnichten zögerlich mit militärischer Ausrüstung geholfen. Der Kanzler begründete jedoch, warum er alle Entscheidungen gründlich abwäge und sich nicht treiben lasse. Er fürchtet unkalkulierbare Reaktionen Russlands, falls es den Krieg auch wegen deutscher Hilfe für die Ukraine verliere. Deshalb formuliert Scholz: „Russland darf nicht gewinnen und die Ukraine darf nicht verlieren.“
Der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), hat Scholz' vorläufige Reiseabsage kritisiert: „Was sollen die Ukrainer jetzt machen? Sollen sie um Entschuldigung bitten, dass sie den Bundespräsidenten nicht eingeladen haben?“ Die Ukrainer seien in einem Überlebenskampf. „Deswegen jetzt auch mal runterschlucken, wenn einmal eine Entscheidung gefällt worden ist, von der ja auch eingeräumt worden ist, dass sie nicht perfekt war, und Solidarität zeigen.“ Er habe zwar Verständnis dafür, dass der Bundespräsident eine besondere Rolle habe, aber: „Die Ukrainer bezahlen derzeit die Fehler, die gemacht wurden in den vergangenen Jahren.“
Nun reist Merz nach Kiew, wurde noch am Dienstag dort erwartet. Er werde den Ministerpräsidenten Denys Schmyhal und Bürgermeister Vitali Klitschko treffen, hieß es dort. Außerdem stehen Gespräche mit Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk und Oppositionspolitikern auf seinem Programm, wie dpa aus ukrainischen Regierungskreisen erfuhr. Ein Treffen mit Selenskyj ist danach zunächst nicht geplant. Scholz sagte zu Merz' Plänen: „Ich billige das.“
Merz meldete sich am Dienstagvormittag per Twitter aus dem Zug nach Kiew.
Wenige Stunden später besuchte er bereits Irpin, ein beim russischen Angriff verwüsteter Vorort von Kiew.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kündigte gleichfalls eine – noch nicht terminierte – Reise nach Kiew an.
Zwerg Estland lieferte mehr als der Riese Deutschland an die Ukraine
In den ersten acht Kriegswochen hat die Bundesregierung Waffen und andere Rüstungsgüter im Wert von mindestens 191,9 Millionen Euro in die Ukraine geliefert, teilte das Wirtschaftsministerium auf Anfrage der Linken mit. Vom ersten Kriegstag, dem 24. Februar, bis zum 19. April billigte die Regierung demnach die Lieferung von Kriegswaffen für 120,5 Millionen Euro und für sonstige Rüstungsgüter im Wert von 71,4 Millionen Euro.
Zum Vergleich: Die USA haben der Ukraine seit Kriegsbeginn Waffen und Munition im Wert von mehr als 3,7 Milliarden US-Dollar (rund 3,5 Milliarden Euro) zugesagt oder bereits geliefert. Der winzige EU-Staat Estland (1,3 Millionen Einwohner) hat nach Regierungsangaben bisher Militärhilfe im Wert von mehr als 220 Millionen Euro für die Ukraine geleistet.
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Die Bundesregierung hatte sich zwei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine dafür entschieden, Waffen in das Kriegsgebiet zu liefern. Nach Angaben aus ukrainischen Regierungskreisen kamen bis zum 21. April gut 2500 Luftabwehrraketen, 900 Panzerfäuste mit 3000 Schuss Munition, 100 Maschinengewehre und 15 Bunkerfäuste mit 50 Raketen in der Ukraine an. Hinzu kommen 100.000 Handgranaten, 2000 Minen, rund 5300 Sprengladungen sowie mehr als 16 Millionen Schuss Munition verschiedener Kaliber für Handfeuerwaffen vom Sturmgewehr bis zum MG.
Einen Tag nach dem russischen Angriff vom 24. Februar gingen außerdem die 5000 Helme auf die Reise in die Ukraine, die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) unter heftigem Spott vorher zugesagt hatte.
In der vergangenen Woche genehmigte die Bundesregierung die Ausfuhr der 50 ausgemusterten Gepard-Flugabwehrpanzer, und damit erstmals den Export schwerer Waffen direkt aus Deutschland. Im Gespräch ist auch die Lieferung von Panzerhaubitzen aus Bundeswehrbeständen. Dabei handelt es sich um selbstfahrende, weittragende Artilleriegeschütze.
Kabinett in Klausur zur Ukraine-Krise
Am heutigen Dienstag kommt das Bundeskabinett zu einer zweitägigen Klausur auf Schloss Meseberg nördlich von Berlin zusammen. Als Gäste trafen die Regierungschefinnen Schwedens und Finnlands ein, Magdalena Andersson und Sanna Marin. Beide Länder erwägen im Zuge der russischen Aggression einen Nato-Beitritt.

Zudem soll es bei den Regierungsberatungen um die Folgen des aktuellen Umbruchs für die Wirtschaft gehen. Dazu werden Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, und Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, zu Gast sein.
Breite Kritik an Melnyks Leberwurst-Äußerung
Die Leberwurst-Affäre hatte unterdessen Fahrt aufgenommen: Parteiübergreifend verurteilten Politiker die Äußerung Melnyks. „Olaf Scholz ist keine Wurst, er ist der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland“, sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki. „Dies gilt es zu respektieren.“
Johann Wadephul (CDU), Vize-Chef der Unionsfraktion: „Der Ton ist unangemessen. Auch in einer Sondersituation sollten sich diplomatische Repräsentanten gegenüber Regierungsvertretern angemessen verhalten.“
Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, versuchte sich mit Brückenbau: „Vielleicht, lieber Herr Melnyk, entschuldigt man sich einfach mal beim Präsidenten und lädt dann den Kanzler höflich ein zu kommen.“
Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) befand Melnyks Worte als „befremdlich“: „Wenn unser Bundespräsident auf diese Weise behandelt wird, darf ein Kanzler nicht in das Land reisen und so tun als wäre nichts passiert.“
Der AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla sagte: „Solche Provokationen und Beleidigungen von Verfassungsorganen sind nicht tatenlos hinzunehmen. Die Bundesregierung muss sofort Botschafter Melnyk einbestellen.“