Bei ihrer Protestaktion merkte Marina Owsjannikowa zuerst nicht, dass ihr Plakat vom Kopf der Moderatorin teilweise verdeckt war.
Bei ihrer Protestaktion merkte Marina Owsjannikowa zuerst nicht, dass ihr Plakat vom Kopf der Moderatorin teilweise verdeckt war. IMAGO/Italy Photo Press

Binnen Sekunden wurde Marina Owsjannikowa weltbekannt. Doch das hilft der Frau, die im russischen Fernsehen gegen den Ukraine-Krieg demonstrierte, offenkundig nichts: Seit ihrer Festnahme am Montagabend gab es zunächst keinen Kontakt mehr zu der Redakteurin des Staatsfernsehens.  Erst am Dienstagnachmittag veröffentlichte der russische Journalist Alexej Wenediktow in seinem Telegram-Kanal ein Foto von Owsjannikowa mit ihrem Anwalt Anton Gaschinski in einem Gerichtsgebäude. Ihr Auftritt war nicht die einzige Protestaktion in Russland gegen den Krieg, seit dessen Beginn schon mehr als 14.000 Menschen festgenommen worden sein sollen.

Das Foto wurde von der Oppositionspolitikerin Lyubow Sobol weiterverbreitet:

Einer zentralen Figur des Widerstands gegen Wladimir Putin, dem inhaftierten Alexej Nawalny, droht unterdessen jetzt in einem weiteren Schauprozess eine lange Haftstrafe.

Alexej Nawalny wurde im Dezember 2021 per Video dem neuen Schauprozess zugeschaltet. Er war im Februar 2021 zu zweieinhalb Jahren Straflager verurteilt worden.
Alexej Nawalny wurde im Dezember 2021 per Video dem neuen Schauprozess zugeschaltet. Er war im Februar 2021 zu zweieinhalb Jahren Straflager verurteilt worden. Meduza/AP/Evgeny Feldman

Owsjannikowa war während der abendlichen Hauptnachrichtensendung „Wremja“ mit einem handgeschriebenen Plakat hinter die Moderatorin getreten. Auf Englisch stand oben „Kein Krieg“ und unten „Russen gegen den Krieg“, dazwischen auf Russisch „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen“. Sie rief außerdem mehrfach „Nein zum Krieg“, ehe die Regie einen Filmbeitrag einblendete.

In Staatsmedien ist es untersagt, von „Krieg“ zu sprechen. Die russische Staatsführung nennt das Vorgehen eine „militärische Spezial-Operation“. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der jüdische Wurzeln hat, bedankte sich bei Owsjannikowa.

Die Redakteurin wurde festgenommen. Allerdings war bereits ein Video-Statement online, in dem sie Putins Krieg als Verbrechen bezeichnet und sich schäme, über den Sender Kreml-Propaganda verbreitet und zugelassen zu haben, „dass Russen in Zombies verwandelt wurden“. Sie schließt mit den Worten, Russland könne nicht alle Demonstranten einsperren.

Russische Medien berichteten, dass die TV-Mitarbeiterin wegen der Organisation einer nicht erlaubten öffentlichen Aktion belangt werde. Ihr Anwalt wies darauf hin, dass Owsjannikowa als Mutter von Kindern im Alter von 11 und 17 Jahren nicht zu einer Arreststrafe verurteilt werden dürfe.

Ein Gericht in Moskau verurteilte sie dann noch am Dienstag zur Zahlung von 30.000 Rubel (rund 250 Euro), wie eine AFP-Reporterin aus dem Gerichtssaal berichtete. Nach Angaben ihres Anwalts drohen ihr aber weiterhin ein Strafverfahren und eine lange Haftstrafe. Owsjannikowa, die nach ihrer Protestaktion am Montag festgenommen worden war, bekannte sich bei der Anhörung nicht schuldig. „Ich erkenne meine Schuld nicht an“, sagte Owsjannikowa im Gerichtssaal. „Ich bin überzeugt, dass Russland ein Verbrechen begeht“, sagte sie weiter.

Kreml-Sprecher Peskow beleidigt Journalistin

Während der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Owsjannikowa dankte, kritisiert der Kreml ihre Aktion gleichzeitig herablassend und beleidigend. „Was dieses Mädchen angeht, das ist Rowdytum“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag der Agentur Interfax zufolge - das „Mädchen“ ist laut ihrem Facebook-Auftritt 44 Jahre alt.

Eine Moskauerin zeigt ein Schildchen „Zwei Worte“ und fragt, ob sie wohl festgenommen würde. Eine rhetorische Frage, Sekunden später war die Polizei da.
Eine Moskauerin zeigt ein Schildchen „Zwei Worte“ und fragt, ob sie wohl festgenommen würde. Eine rhetorische Frage, Sekunden später war die Polizei da. Activatica über twitter/@jamOladyi

In sozialen Medien werden inzwischen groteske Szenen aus Russland verbreitet, wo der Machtapparat verzweifelt versucht, Proteste zu unterdrücken. Mehrmals wurden Menschen von der Polizei festgenommen, weil sie leere weiße Papiere hochhielten.

In Moskau befragte ein Reporterteam Menschen auf einem Platz: Eine Frau zeigt ihnen ein winziges Pappschild, auf dem nur „Zwei Worte“ steht, was für die zwei Worte „Kein Krieg“ steht. Festgenommen, abgeführt. Vollends irre wird es danach, als eine Frau die Reporter fragt, ob sie nur Oppositionelle befragen. Die antworten, jeder könne ihnen seine Meinung sagen, doch als die Frau anhebt, für Putins Politik zu sprechen, wird auch sie abgeführt.

Diese Frau wollte gerade Putin verteidigen – und wurde auch festgenommen.
Diese Frau wollte gerade Putin verteidigen – und wurde auch festgenommen. Acivatica über twitter/@jamOladyi

Der Eindruck jedoch, es gebe eine breite russische Ablehnung des Kriegs, trügt. Umfragen sehen eine Zwei-Drittel-Zustimmung für die Invasion, mit der angeblich ein „Nazi-Regime“ in der Ukraine beseitigt, die Ukrainer „befreit“ und ein „Völkermord“ beendet werden sollen.

Nawalny soll offenbar erst als alter Mann freikommen

Weil die Aufregung um den Krieg die Aufmerksamkeit beherrscht, bereitet Putins Machtapparat vor, den Oppositionellen Alexej Nawalny dauerhaft hinter Gittern verschwinden zu lassen. In einem neuen Prozess hat die Staatsanwaltschaft 13 Jahre Gefängnis beantragt wegen angeblichen Betrugs. Nawalnys Team sprach von einem neuen Beweis für die Justizwillkür in Russland. „Wir haben gesagt, dass Putin Nawalny für immer im Gefängnis halten will“, sagte die Sprecherin des Oppositionellen, Kira Jarmysch.