Nach der Flucht der Russen kommt ihr mörderischer Terror in der Ukraine zu Tage
Nach der Rückeroberung der Region Charkiw durch ukrainische Truppen wurden Massengräber und möglicherweise Folterkammern entdeckt

Notdürftig zusammengenagelte Kreuze im Wald zeugen von einem Massengrab: Zivilisten und ukrainische Soldaten sind dort verscharrt. Soldaten graben nach Toten, nachdem Minensucher am Werk waren. In der Stadt Isjum (Region Charkiw), die am vergangenen Sonnabend fluchtartig von russischen Truppen verlassen worden war, scheint es Blutbäder wie beispielsweise in Butscha bei Kiew oder in Mariupol gegeben zu haben.

Reporter der Nachrichtenagentur AP berichten über eine Stelle mit einer Markierung, dass dort 17 ukrainische Soldaten verscharrt wurden. Darum herum hunderte Einzelgräber mit Kreuzen. Bislang ist von rund 440 Toten die Rede, nach weiteren wird in Isjum und weiteren befreiten Landstrichen der Region gesucht.

Angst vor Minen in den Gräbern
Die Suche werde durch Minen erschwert, sagte der ukrainische Vermisstenbeauftragte Oleh Kotenko. Dennoch: „Wir setzen die Arbeit fort (...), damit die Familien die Soldaten, die für die Ukraine gestorben sind, so schnell wie möglich angemessen ehren können.“ Die meisten Menschen seien umgekommen, als die Russen die Stadt mit Kanonen beschossen. Die Bestattungsdienste hätten zum Teil nicht gewusst, wer die vielen toten Menschen seien. Deshalb stünden auf einigen Kreuzen nur Nummern.

Vize-Innenminister Jewhen Jenin sagte, in mehreren befreiten Orten habe man Beweise für Folterkammern entdeckt. Leichen hätten Spuren von Folter aufgewiesen.
Deutschland nimmt Ermittlungen wegen russischer Kriegsverbrechen auf
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gab auf Twitter bekannt, man habe Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen aufgenommen. Sie „dürfen & werden nicht ungesühnt bleiben“.
Das Untersuchungsteam des UN-Menschenrechtsbüros in Genf will Isjum so schnell wie möglich aufsuchen. Die Todesursache jedes einzelnen Verstorbenen müsse untersucht werden.
„Wir wollen, dass die Welt erfährt, (...) wozu die russische Okkupation geführt hat“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj. „Butscha, Mariupol und jetzt leider auch Isjum: Russland hinterlässt überall Tod und muss sich dafür verantworten. Die Welt muss Russland zur echten Verantwortung für diesen Krieg ziehen.“
Der Vermisstenbeauftragte Kotenko relativierte den Vergleich mit Butscha, wo von Russen getötete Zivilisten auf den Straßen lagen: „Ich möchte das nicht Butscha nennen - hier wurden die Menschen, sagen wir mal, zivilisierter beigesetzt.“
Ukrainischer Präsident: Russische Armee ist feige und unfähig
Er nannte Russland erneut als „Terrorstaat“, der mit Angriffen auf Energie-Infrastruktur und Staudämme versuche, „Feigheit und Unfähigkeit seiner Streitkräfte“ wettzumachen.

Die Ukrainer hatten die Russen bis zum vergangenen Wochenende aus der Ende März überrannten Region Charkiw vertrieben.
