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Riesen-Staudamm in der Ukraine gesprengt: +++ Überschwemmungen +++ AKW in Gefahr? +++

Der wichtige Kachowka-Staudamm im Süden der Ukraine wurde zerstört. Präsident Selenskyj macht „russische Terroristen“ dafür verantwortlich.

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Ein riesiger Staudamm wurde in der Ukraine gesprengt. Eine Katastrophe droht.
Ein riesiger Staudamm wurde in der Ukraine gesprengt. Eine Katastrophe droht.Twitter

Der Kachowka-Staudamm im Süden der Ukraine wurde in der Nacht zu Dienstag gesprengt, Wassermassen strömen aus einem gewaltigen Stausee des Flusses Dnipro, Orte flussabwärts werden evakuiert. Das ukrainische Einsatzkommando Süd teilte mit, verantwortlich seien die russischen Besatzer. Auch das Wasserkraftwerk des Damms bei Nowa Kachowka ist zerstört. Große Sorgen verursacht die Sprengung aber im Zusammenhang mit einem anderen Kraftwerk – dem von den Russen besetzten AKW Saporischschja stromaufwärts. Es bezieht sein Kühlwasser aus dem Stausee.

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Russland behauptet zwar, dass die Zerstörung des Staudammes keine Gefahr für Europas größtes Atomkraftwerk darstelle. Dem widerspricht aber die ukrainische Atomenergiebehörde Energoatom: „Wasser aus dem Kachowka-Stausee ist notwendig, damit die Anlage Strom für die Turbinenkondensatoren und Sicherheitssysteme des Kernkraftwerks erhält.“

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Ein Mann watet in Cherson über eine überflutete Straße, hält Papiere, zusammengerolltes Geld und ein Feuerzeug in der linken Hand.
Ein Mann watet in Cherson über eine überflutete Straße, hält Papiere, zusammengerolltes Geld und ein Feuerzeug in der linken Hand.Nina Lyashonok/AP

Gefahr durchs AKW ohne Kühlwasser? „Derzeit“ und „unmittelbar“ nicht

Weiter hieß es am Dienstagmorgen: „Derzeit ist das Kühlbecken der Anlage voll: Um 8 Uhr beträgt der Wasserstand 16,6 Meter, was für den Bedarf der Anlage ausreicht.“ Das Augenmerk sollte auf dem Wort „derzeit“ liegen.

Ähnlich klingt es aus Wien von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Es bestehe „keine unmittelbare Gefahr“ für das AKW. „IAEA-Experten am Atomkraftwerk Saporischschja beobachten die Situation genau“, teilte die Behörde am Dienstagmorgen mit.

Der Fischer Mykola Gurzhiy (74) von einer Insel des Dnipro-Stausees steht in seiner überfluteten Küche – vor der Sprengung des Staudamms. Es wird angenommen, dass die Russen ihn bis zum Rand volllaufen lassen haben, damit die Sprengung besonders viel Schaden anrichtet.
Der Fischer Mykola Gurzhiy (74) von einer Insel des Dnipro-Stausees steht in seiner überfluteten Küche – vor der Sprengung des Staudamms. Es wird angenommen, dass die Russen ihn bis zum Rand volllaufen lassen haben, damit die Sprengung besonders viel Schaden anrichtet.Evgeniy Maloletka/AP

Überschwemmungen könnten ukrainische Gegengriffe verhindern

Beide Kriegsparteien machten sich gegenseitig für die Sprengung verantwortlich. Es liegt aber nahe, dass es die Russen waren. Durch die Sprengung und folgende Überflutungen stromabwärts würde es für die ukrainische Armee schwer, den Fluss zu überqueren und die Russen im Süden des Dnipro anzugreifen.

Die ukrainische Armee hingegen verbreitete Zuversicht. Man verfüge über „alle notwendigen Boote und Pontonbrücken, um Wasserhindernisse zu überwinden“, hieß es in einer Mitteilung. Die russischen Truppen könnten den professionell ausgebildeten und mit neuesten Waffen ausgestatteten Ukrainern nicht standhalten.

Verzweifelt hält Tetiana ihre Hunde  Tsatsa and Chunya aus dem Wasser. Ihr Häuschen in Cherson ist überflutet, sie hat ihre Habseligkeiten hochgelegt.
Verzweifelt hält Tetiana ihre Hunde Tsatsa and Chunya aus dem Wasser. Ihr Häuschen in Cherson ist überflutet, sie hat ihre Habseligkeiten hochgelegt.Evgeniy Maloletka/AP

Ein Sabotageakt der Ukraine ist überaus unwahrscheinlich, weil sie sich damit selbst geschadet hätte. Außerdem war der Damm von Russen besetzt. Die Ukrainer hatten schon länger gewarnt, der Damm sei mit Sprengstoff vermint worden.

Die Lage des zerstörten Dnipro-Staudamms bei Nowa Kachowka. Nordöstlich davon befindet sich das AKW Saporischschja.
Die Lage des zerstörten Dnipro-Staudamms bei Nowa Kachowka. Nordöstlich davon befindet sich das AKW Saporischschja.Grafik: dpa

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief in Kiew den nationalen Sicherheitsrat ein. Militärgouverneur Olexander Prokudin erklärte, auf der nördlichen Seite des Flusses Dnipro – wo auch die von den Ukrainern befreite Gebietshauptstadt Cherson liegt – sei mit Evakuierungen begonnen worden. „Das Ausmaß der Zerstörung, die Geschwindigkeit und Menge des Wassers sowie die wahrscheinlichen Überschwemmungsgebiete werden gerade bestimmt“, erklärte er um 5.45 Uhr.

16.000 Menschen in 80 Orten in der am meisten von Überflutung bedrohten und bereits betroffenen Orten

Gegen kurz vor 9 Uhr dann die Meldung: Mehrere Dörfer seinen „vollständig oder teilweise“ überflutet. „Etwa 16.000 Menschen befinden sich in der kritischen Zone am rechten Ufer“, erklärte Prokudin. In dem Überschwemmungsgebiet liegen etwa 80 Orte.

Dieses Bild vom ukrainischen Staatsunternehmen Energoatom zeigt, wie Wassermassen durch den zerstörten Damm flussabwärts strömen.
Dieses Bild vom ukrainischen Staatsunternehmen Energoatom zeigt, wie Wassermassen durch den zerstörten Damm flussabwärts strömen.Energoatom

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Wasserkraftwerk kann nach russischen und ukrainischen Angaben nicht repariert werden

„Das Wasser ist gestiegen“, sagte auch der von Moskau eingesetzte Bürgermeister in Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, staatlichen russischen Nachrichtenagenturen zufolge. 

Was das Wasserkraftwerk angeht, sei es „offensichtlich“, dass eine Reparatur nicht möglich sei, sagte Leontjew. Die Ukrainer sind der gleichen Auffassung.

Leontjew räumte ein, dass es zu Problemen bei der Wasserversorgung auf der bereits 2014 von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim kommen könnte, die südlich von Cherson liegt. Diese wird mit Wasser aus dem Kachowka-Stausee beliefert.

In ukrainischen Medien und in sozialen Netzwerken wurden Videos geteilt, die bereits gestiegene Wasserstände um die Stadt Cherson zeigten. Außerdem wurden Aufnahmen geteilt, auf denen offenbar die ausströmenden massiven Wassermengen an der Staudammmauer in Kachowka zu sehen waren.

Dieses Satellitenbild zeigt den zerstörten Kachowka-Staudamm.
Dieses Satellitenbild zeigt den zerstörten Kachowka-Staudamm.Uncredited/Maxar Technologies/AP/dpa

Auch auf der russisch besetzten Seite des Flusses wurde der Notstand ausgerufen. Das Wasser sei bereits um zwölf Meter angestiegen, sagte Nowa Kachowkas Bürgermeister Wladimir Leontjew  im russischen Staatsfernsehen. „Die Stadt ist überflutet.“

Die Ukraine nahm die Zerstörung des Staudamms („größte menschengemachte Katastrophe seit Jahrzehnten“) zum Anlass, weitreichende politische Forderungen aufzustellen. Hunderttausende bekämen in den kommenden Jahren die negativen Folgen zu spüren, warnte der Chef des Präsidentenbüros in Kiew, Andrij Jermak.

Ukraine verlangt Ausschluss Russlands aus dem UN-Sicherheitsrat

Er bezeichnete Russland als „Terrorstaat“, der seinen Angriffskrieg auf eine neue Stufe stelle. „Heute ist Russland eine globale Bedrohung.“ Das Land müsse seinen Sitz im UN-Sicherheitsrat verlieren. Russland gehört dort zu den fünf Vetomächten.

Ein ukrainischer Beobachter verbreitete gegen Dienstagmittag einen Twitter-Thread, in dem er die Erkenntnisse eines Journalisten aus Cherson wiedergab: Anhand von verschiedenen Meldungen russischer Quellen hätten die Russen das Wasserkraftwerk gesprengt, damit das Wasser ukrainische Truppen von Dnipro-Inseln flussabwärts vertreibt, und prahlten mit ukrainischen Verlusten während der Flucht von den Inseln unter Beschuss.

Das sei am Ende aber gnadenlos schiefgegangen. Erst, als die Russen gemerkt hätten, was sie angerichtet hatten, hätten sie auf die Erklärung umgeschaltet, die Ukrainer hätten den Damm mit Himars-Raketen zerstört.