Fakten-Check
Ist Russland für die Damm-Sprengung in der Ukraine verantwortlich?
Die Ukraine beschuldigt Russland, den Kachowka-Damm gesprengt zu haben. Ist Russland für die Umweltkatastrophe verantwortlich?

Die Sprengung des Staudammes von Kachowka und die nun folgende Entleerung des dazugehörigen riesigen Stausees sind massive Umweltkatastrophen. Russland und die Ukraine machen sich gegenseitig verantwortlich.
Viele Gründe sprechen für eine Täterschaft Russlands. Dennoch will der KURIER hier einmal untersuchen, wie plausibel die Vorwürfe gegen Russland sind, den Staudamm in die Luft gesprengt zu haben.
Staudamm stand unter Kontrolle Russlands
Bis zu seiner Sprengung stand der riesige Staudamm unter Kontrolle der russischen Besatzungstruppen. „Es stand natürlich unter der Kontrolle der Russen. Sie kontrollierten dort alles“, so Mykola Kalinin, Chefingenieur von Ukrhydroenergo, dem ukrainischen Betreiber der Anlagen. Diese hatten zudem das ukrainische Personal aus der Anlage vertrieben, so dass der Ukraine treue Mitarbeiter keinen Zugang mehr hatten.
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Etwaige Sabotageakte wären dadurch ungleich schwieriger gewesen. Auch hätte die Ukraine das Material für eine Sprengung nicht zu dem strengbewachten Damm bringen können ohne von den Russen entdeckt und beschossen zu werden.
Ein russischer Soldat, der in der von Russland besetzten Stadt Nowa Kachowka stationiert ist und in einem Propagandavideo befragt wurde, äußerte sich selbst skeptisch, dass die Ukrainer den Damm sprengen könnten. „Um den Damm zu zerstören, ist ein großer Aufwand erforderlich. Ich ziehe eine solche Option nicht einmal in Betracht. Das wäre eine echte Überschwemmung für die nächstgelegenen Siedlungen“, sagte der Soldat.
Auch amerikanische Geheimdienste machen mittlerweile Russland für die Sprengung verantwortlich. Ebenso äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Bewohner wollen ungewöhnlich viel russisches Militär in der Nähe des Damms gesehen haben
Wie die taz in einem Bericht vom Dienstagabend schreibt, wollen Bewohner von Nowa Kachowka am Vorabend der Explosion einen „ungewöhnlichen Aufmarsch von russischem Militär rund um das Wasserkraftwerk und in den nahegelegenen Siedlungen“ beobachtet haben.
Sowjetische Staudämme können Nuklearexplosion überstehen
Wie der Chefingenieur von Ukrhydroenergo, dem Betreiber der ukrainischen Wasserkraftwerke, in einem Interview mit der ukrainischen Nachrichtenseite Texty angibt, ist es unmöglich, dass der Staudamm von Kachowka einfach kollabiert sei. „Das Wasserkraftwerk Kachowka wurde so konzipiert und gebaut, dass es einem Atomangriff von außen standhalten kann. Daher ist jedes Gerede darüber, dass es irgendwie von selbst zusammenbrechen könnte, sinnlos“, so Mykola Kalinin.
Für Sprengung musste Sprengstoff eingesetzt werden
In einer Einschätzung des Chefs des ukrainischen Militärgeheimdienstes vom vergangenen Oktober hieß es, dass es für Russland extrem schwierig sei, den Damm zu sprengen.
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Kyrylo Budanow sagte damals: „Um ein Bauwerk dieser Größe zu zerstören, braucht man Dutzende von Tonnen Sprengstoff, die richtig platziert werden müssen. Man kann keinen KaMAZ [ein großer Lastwagen russischer Bauart - Anm. d. Red.] irgendwo in der Nähe abstellen, das hilft nicht“, sagte Budanow.
Das bestätigt auch der Staudamm-Experte Mykola Kalinin: „Offenbar kam es zu mehreren Explosionen gleichzeitig. Höchstwahrscheinlich war der Damm selbst vermint [...] Darüber hinaus muss das Kraftwerksgebäude selbst [...] vermint gewesen sein. Was wichtig ist – von innen vermint.“
Der ukrainische Geheimdienst bekräftigte auf Nachfrage des ukrainischen Nachrichtenportals Ukrajinska Prawda am Dienstag, ob Russland die Anlage gesprengt habe. „Ja, Sprengstoff wurde verwendet.“

Ukraine warnte vor Sprengung durch Russland
Wie auch der KURIER bereits vergangenen Oktober berichtete, hatte auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor einer Sprengung des Staudamms durch Russland gewarnt.
Laut glaubwürdigen Angaben von damals hatte Russland den Damm bereits vermint, weil man mit einer Erstürmung durch ukrainische Truppen rechnete. Die Verminung passierte laut ukrainischen Geheimdienstberichten bereits im April 2022 nach der Niederlage der Russen in der Schlacht um Kyjiw. Die Ukraine eroberte dann im November im Zuge der Cherson-Offensive auch die Gebiete auf der nordwestlichen Uferseite zurück.
Auch wichtig: Bereits damals warnte Selenskyj, dass die Russen versuchen würden, die Aktion der Ukraine anzuhängen. Denn der damalige Kommandeur der Russen, Sergej Surowikin hatte zuvor behauptet, die Ukrainer planten einen Angriff mit Himars-Raketenwerfern.
Russland bereitete Vertuschung der Ursachen legal vor
Rund eine Woche vor der Sprengung verabschiedete die russische Regierung einen Erlass, nach dem Unfälle und Terroranschläge in gefährlichen Anlagen nicht zwingend untersucht werden müssten.
Die Regelung spezifizierte besonders hydraulische Anlagen und gilt einzig für die Gebiete der Ukraine, die derzeit von Russland besetzt sind und die Russland als annektiert betrachtet.

Stausee wurde zuvor extrem gefüllt
Wie mehrere ukrainische Journalisten berichten, wurde der Wasserstand des Kachowkaer Stausees vor der Sprengung extrem erhöht. Dafür wurden die Schleusen geschlossen. Er stieg bis auf 17 Meter, nachdem er zuvor extrem niedrig war. Im Normalfall liegt der Pegel in Kachowka bei 16 Metern.
Kontrolle über die Schleusen hatten die russischen Besatzungstruppen. Die Ukraine war über den Vorgang informiert, da sich in einigen Dörfern entlang des Stausees seit Mai die Wasserstände anstiegen. Anwohner mussten da schon evakuiert werden.
Laut Einschätzung der Experten hat Russland die Stauung womöglich gezielt verursacht, um bei einer Sprengung mit möglichst viel Wasser den größtmöglichen Schaden zu verursachen.
Sprengung hilft Russland vor der ukrainischen Gegenoffensive
Der Staudamm Kachowka ist eine der wenigen Querungen des Flusses Dnipro in der Region überhaupt. Bisher war er noch vergleichsweise unbeschädigt, nachdem die Antoniwka-Brücke in Cherson schon im Herbst vergangenen Jahres größtenteils zerstört wurde. Für Russland ist es günstig, wenn es möglichst keine Querungen des Flusses mehr geben kann, erklärt der Geostrategie-Experte Peter Zeihan auf Twitter. Auch vergrößert es den Abstand zwischen den beiden Armeen.
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Zudem hatte die Ukraine in den letzten Monaten auch die Inseln im Dnipro nahe der Stadt Cherson zurückerobert. Die militärische Präsenz war ein Problem für die russischen Truppen auf der anderen Seite des Dnipro. Die Ukraine probte mehrfach, ob es möglich sei, mit Booten auf die andere Seite überzusetzen. Eine Flutung der Gebiete macht eine Anlandung wesentlich schwieriger.
Die Diskussion über eine Sprengung des Damms bestand auch schon im Oktober: „Russland hat jedoch allen Grund, zu versuchen, seinen sich zurückziehenden Streitkräften Deckung zu bieten und den Fluss Dnipro zu verbreitern, den die ukrainischen Streitkräfte überqueren müssten, um ihre Gegenoffensive fortzusetzen“, schlussfolgerte das US-amerikanische Institute for the Study of War.
Russen sehen den Vorteil für die eigenen Truppen
Der Vorteil für die russischen Truppen ist indes auch den Russen selbst klar. Der russische Besatzungschef im südukrainischen Gebiet Cherson, Wladimir Saldo, sieht nach der Zerstörung des Staudamms einen militärischen Vorteil für die eigene Armee. „Aus militärischer Sicht hat sich die operativ-taktische Situation zugunsten der Streitkräfte der Russischen Föderation entwickelt“, sagte Saldo am Mittwoch im russischen Staatsfernsehen angesichts des verheerenden Hochwassers, das der Dammbruch in der Region ausgelöst hat. „Sie können nichts machen“, so seine Sicht auf die ukrainischen Truppen, die eine Gegenoffensive zur Befreiung der besetzten Gebiete planen.
Angesichts des um ein Vielfaches seiner eigentlichen Größe angeschwollenen Flusses Dnipro sagte Saldo: „Für unsere Streitkräfte hingegen öffnet sich jetzt ein Fenster: Wir werden sehen, wer und wie versuchen wird, die Wasseroberfläche zu überqueren.“

Russland kann auch ohne Kanal für Krim auskommen
Ein weiteres Argument der Russland-Unterstützer ist, dass Russland nicht den Damm sprengen würde, weil dies die Wasserversorgung durch den Nord-Krim-Kanal stören würde.
Fakt ist jedoch, dass der Kanal bereits von 2014 und nochmal schlimmer ab 2017 von der Versorgung mit Wasser abgeschnitten war. Der Norden der Krim kämpfte auch damals mit Wassermangel. Jedoch ging das Leben auch dort weiter.
Geöffnet wurde der Kanal erst durch die Sprengung, nachdem Russland im Zuge der Invasion ab dem Februar 2022 die Blockaden sprengte. Erst seitdem fließt das Wasser wieder.
Sprengung schadet der ukrainischen Agrarindustrie massiv
Für die Versorgung der ukrainischen Agrarindustrie mit Wasser ist der Dnipro und vor allem der Kachowkaer Stausee jedoch essentiell. Der ganze südliche Teil der Region Cherson, Teile der Regionen Saporischja und Dnipropetrowsk werden durch das Wasser aus Kanälen aus dem Dnipro versorgt. Durch die Sprengung des Damms stehen nun 94 Prozent der Bewässerungssysteme in der Region Cherson, 74 Prozent in der Region Saporischja und 30 Prozent in der Region Dnipropetrowsk das Wasser entzogen. Auch für die Umwelt der Südukraine ist die Sprengung eine absolute Katastrophe.
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Durch eine Sprengung könnte dies nun auf Jahre zum Problem werden. Die betroffenen Gebiete werden zwar derzeit zum Teil durch Russland besetzt. Die Ukraine plant jedoch weiterhin eine Rückeroberung der besetzten Gebiete, möglicherweise schon bald durch die derzeit beginnende Gegenoffensive. Die nun ausgelöste Katastrophe wäre dafür hinderlich. Die Ukrainer haben deshalb auch schon lange vor der Möglichkeit gewarnt.
Trinkwasser- und Energieversorgung für Millionen Ukrainer gefährdet
Auch die Trinkwasserversorgung der gesamten Region hängt vom Dnipro ab. So versorgt der Fluss und besonders der Stausee Kachowka nicht nur die Gegend rund um Cherson und um den Abschnitt des Flusses.
While the focus is rightly on the flooding downstream of the Kakhovka Dam, the long-term damage to Southern Ukraine's huge agricultural sector is particularly worrying.
— Tom Giuretis (@TomGiuretis) June 6, 2023
These farms and people rely on 4 canals that flow from the (soon to be former) Kakhovskyi Reservoir. A short🧵 pic.twitter.com/wlnHoUAm9t
Auch Städte, wie die Heimatstadt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Krywyj Rih, werden mit Trinkwasser aus dem Dnipro versorgt.
Der Strom aus dem zerstörten Wasserkraftwerk versorgte zudem zehntausende ukrainische Haushalte. Und nicht zuletzt gefährdet eine Leerung des Stausees auch die Versorgung des Atomkraftwerks Saporischja mit Kühlwasser. Auch wenn das AKW derzeit vom ukrainischen Netz abgetrennt ist, würde eine Gefährdung den Ukrainern deutlich mehr schaden.
80 ukrainische Siedlungen und Städte überflutet
Wie das Institute for the Study of War ebenfalls im Oktober feststellte, wäre eine Damm-Sprengung für die Ukraine kontraproduktiv. „Die Ukraine hat kein materielles Interesse daran, den Damm zu sprengen, der 80 ukrainische Städte überschwemmen und hunderttausende Menschen vertreiben könnte, während gleichzeitig die ohnehin schon schwache Stromversorgung der Ukraine geschädigt wird.“