Riesige Tragödie

Flutkatastrophe in Ukraine: Russen beschießen Evakuierungen!

Das Ausmaß der Flut durch die Damm-Zerstörung in der Region Cherson ist noch unklar. Russland bombardiert derweil die Helfer und soll Präsident Selenskyj ins Artillerie-Visier genommen haben

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Rettungskräfte retten eine ältere Frau aus einem überfluteten Viertel in Cherson.
Rettungskräfte retten eine ältere Frau aus einem überfluteten Viertel in Cherson.Evgeniy Maloletka/AP

Das ganze Ausmaß der Flutkatastrophe am Unterlauf des Dnipro in der Ukraine nach der Sprengung des Kachowka-Staudamms ist noch immer kaum absehbar. Neben den großflächigen Überflutungen unter anderem der Stadt Cherson drohen weitere Gefahren: Minen wurden weggespült, Öl und Abwässer strömen mit den Fluten, während die Ukrainer auf ihrer Seite versuchen, Menschen zu retten und unter russischem Beschuss aus dem Katastrophengebiet zu holen. 

Aus dem russischen Besatzungsgebiet am Südufer des Flusses dagegen ist von Hilfe weiterhin wenig zu hören, ganz im Gegenteil. Von dort werden auch die ersten fünf Todesopfer gemeldet.

Dramatische Hilferufe aus russisch-besetzten Flutgebieten

Erschütternde Berichte dringen aus den von Russland besetzten und überfluteten Gebieten nach außen. Hunderte Menschen sollen auch am Donnerstag noch auf den Dächern in den Städten und Siedlungen auf der russisch-besetzten Seite des Flusses ausharren.

Laut vielen Berichten von vor Ort, die der KURIER eingesehen hat, helfen die russischen Besatzungsbehörden bisher kaum. Boote werden stattdessen von Freiwilligen organisiert. In Gruppen im Nachrichtendienst Telegram versuchen Verwandte und Bekannte verzweifelt, Hilfe für die Eingeschlossenen zu bekommen. „Bitte nehmen Sie eine ältere Person in ernstem Zustand mit!!! Muss sofort evakuiert werden“, heißt es dort unter Angabe der Adresse.

Ein überflutetes Viertel in Cherson.
Ein überflutetes Viertel in Cherson.Evgeniy Maloletka/AP

Russen sollen Evakuierung verhindern

Häufig handelt es sich vor allem um ältere Menschen. Die meisten von ihnen haben kein Wasser. Zu vielen ist mittlerweile wegen leerer Handyakkus die Verbindung abgebrochen, wenn diese überhaupt noch funktioniert hat. 

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Die russischen Besatzer sollen laut Berichten ukrainischer Medien sogar Hilfe verhindern. Bewohner der Orte schickten Sprachnachrichten an ihre Verwandten in anderen Teilen der Ukraine und gaben an, dass russische Soldaten die Evakuierung sogar verhinderten. Besonders Flutopfer ohne russische Pässe würden an Checkpoint abgewiesen und zurück ins Elend geschickt.

Russische Nachrichtenagenturen geben an, dass die Evakuierung laufe. Flutopfer würden in andere Orte in der besetzten Region Cherson und der Krim gebracht. Verwandte werden dazu aufgerufen, die Vermissten in Evakuierungslisten einzutragen. Doch die Behauptungen der russischen Staatspropaganda werden in Berichten von Helfern verworfen, die dem KURIER vorliegen. „Jeder sagt mir, dass das Ministerium für Katastrophensituation der Russischen Föderation nicht in Oleshki aufgetaucht ist“, heißt es. „Meine Großmutter ist definitiv noch auf dem Dachboden.“

Ein Bus ist in Cherson in den Fluten stecken geblieben.
Ein Bus ist in Cherson in den Fluten stecken geblieben.Matthew Hattcher/imago

Rettungsaktionen in Cherson laufen – Russen beschießen sie

Am von der Ukraine kontrollierten Ufer laufen die Evakuierungen aus überschwemmten Wohnungen und Häusern. Aber viele Menschen wollten das Gebiet nicht verlassen, sagte Militärgouverneur Olexander Prokudin.

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In den sozialen Medien teilen Ukrainer viele Videos von der Rettung alter Menschen und sogar von Haustieren. Wegen der Kriegshandlungen ist die Arbeit von Helfern erschwert und gefährlich.

Russland beschießt derweil die überschwemmte Region weiter. Mitten während der Rettungsaktionen schlagen immer wieder Geschosse ein. Helfer und Flutopfer können sich nicht mal in Keller zurückziehen, weil diese von den Wassermassen überschwemmt wurden. Zudem werden auch Gebäude beschossen. Laut Berichten aus Cherson können Rettungstrupps nicht zu den durch den Beschuss brennenden Gebäuden vordringen, da die Flut viele Straßen überspült habe.

Deutschland schickt Generatoren und Wasserfilter

Aus Deutschland ging jetzt immerhin Hilfe auf den Weg. Das Technische Hilfswerk (THW) schickte 56 Stromgeneratoren verschiedener Leistung mit acht Lastwagen einer Spedition auf die Reise, außerdem 5000 Wasserfilter für die Region Cherson. Sie sollen am Freitag oder Sonnabend ankommen.

Das von Maxar Technologies zur Verfügung gestellte Satellitenbild zeigt den russisch besetzten Ort Korsunka vor der Überschwemmung und nach Sprengung des Kachowka-Staudamms.
Das von Maxar Technologies zur Verfügung gestellte Satellitenbild zeigt den russisch besetzten Ort Korsunka vor der Überschwemmung und nach Sprengung des Kachowka-Staudamms.Satellite image ©2023 Maxar Technologies/AP

Der ukrainische Katastrophenschutz (DSNS) hatte schon am Dienstag unmittelbar nach der Sprengung ein Hilfeersuchen über das Europäische Katastrophenschutzverfahren gestellt. Das THW hatte daraufhin aus seinen Beständen unter anderem die Generatoren und Wasserfilter angeboten.

THW-Präsident Gerd Friedsam erklärte zu den Lieferungen: „Wir ergänzen das jetzt nochmal mit Unterkunftsmaterial, wie Zelten, Decken, Feldbetten.“

Finanziert werden die Hilfsgüter vom Auswärtigen Amt.  An den Transportkosten beteiligt sich die EU. Weitere Lieferungen für die Ukraine bereitet das THW in Abstimmung mit dem ukrainischen DSNS vor.

Insgesamt beschaffte das THW seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 Hilfsgüter für die Ukraine im Wert von mehr als 100 Millionen Euro.

Das Satellitenbild von Maxar Technologies zeigt den zerstörten Kachowka-Damm und die Reste des Wasserkraftwerks im Dnipro.
Das Satellitenbild von Maxar Technologies zeigt den zerstörten Kachowka-Damm und die Reste des Wasserkraftwerks im Dnipro.Satellite image ©2023 Maxar Technologies/AP

Präsident Wolodymyr Selenskyj reiste am Donnerstag ins Katastrophengebiet, um sich ein Bild der Lage machen zu können. Zuvor hatte er am Mittwoch die angebliche Passivität der internationalen Hilfsorganisationen zum Beispiel des Roten Kreuzes kritisiert und die Zahl von 2000 Evakuierten genannt. 

Das in Warschau ansässige belarussische Exil-Medienprojekt Nexta berichtete, dass die Russen versucht hätten, Selenskyj zu töten. Kurz nachdem er eine überflutete Straße in Cherson besucht hatte und wieder abgefahren sei, wären Granaten eingeschlagen. Zwei Twitter-Videos sollen das belegen.

Die Wasserstände indes seien nach dem Bruch des Staudamms zunächst weiter gestiegen, dürften aber im Laufe des Donnerstags zurückgehen, erwarten britische Geheimdienste.

Ukrainische Studenten demonstrierten am Donnerstag vor dem UN-Büro in Kiew: Sie beklagen Untätigkeit der Vereinten Nationen gegen den russischen Angriff auf ihr Land.
Ukrainische Studenten demonstrierten am Donnerstag vor dem UN-Büro in Kiew: Sie beklagen Untätigkeit der Vereinten Nationen gegen den russischen Angriff auf ihr Land.Sergei Supinsky/AFP

Schwere Kämpfe im Osten der Ukraine

Nach britischen Angaben wird währenddessen an mehreren Frontabschnitten im Osten der Ukraine heftig gekämpft. Die Ukrainer behielten dabei in den meisten Gebieten die Initiative, hieß es am Donnerstag im täglichen Geheimdienstbericht des Verteidigungsministeriums in London.

Die russischen Truppen seien wahrscheinlich angewiesen, so bald wie möglich zum Angriff überzugehen. So hätten tschetschenische Einheiten erfolglos versucht, den Ort Marjiwka nahe der Stadt Donezk einzunehmen.

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Am Dnipro selber sollen russische Truppen aus Sicht des Militärs in Kiew und von US-Experten Verluste hinnehmen müssen. Die Besatzer seien nicht vorbereitet gewesen auf die Folgen der Sprengung des Staudamms und hätten deshalb Ausrüstung und Militärtechnik verloren, teilte der Generalstab am Donnerstag in Kiew mit. Es gebe tote, verletzte und vermisste russische Soldaten.

Auch Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) stellten fest, dass durch die Fluten aus dem Stausee russische Verteidigungsstellungen in der Frontlinie vernichtet worden seien.