Blumen in einem Trümmerfeld: Nachbarn haben sie in Dnipro niedergelegt, wo eine Familie in ihrem Haus von einer russischen Rakete getötet worden war
Blumen in einem Trümmerfeld: Nachbarn haben sie in Dnipro niedergelegt, wo eine Familie in ihrem Haus von einer russischen Rakete getötet worden war imago/Mykola Myakshykov

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)  haben zu einem „internationalen Kraftakt“ für den Wiederaufbau der Ukraine aufgerufen. Nach dem Vorbild des US-Marshallplans nach dem Zweiten Weltkrieg für Europa (die UdSSR lehnte ihn für ihren Einflussbereich ab) sei das „eine Generationenaufgabe, mit der man jetzt beginnen müsse“, forderte Scholz am Dienstag bei einer Expertenkonferenz zum Wiederaufbau der Ukraine. Dies werde die „Stärke der gesamten Völkergemeinschaft notwendig machen“. Von der Leyen mahnte, es sei keine Zeit zu verschwenden.

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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, über Video in das Veranstaltungszentrum im Berliner Westhafen zugeschaltet, warb für rasche internationale Investitionen in den Wiederaufbau seines durch den russischen Krieg stark zerstörten Landes. Wer in den Wiederaufbau der Ukraine investiere, investiere in ein künftiges EU-Mitgliedsland. „Europa kann man nur mit der Ukraine gemeinsam denken.“ Das Land trete für die Sicherheit Europas ein, indem es den russischen Schlag abfange.

Bei dem Treffen, zu dem von der Leyen und Scholz internationale Experten eingeladen hatten, kamen auch der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal, der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und der schweizerische Bundespräsident Ignazio Cassis zu Wort.

Bundeskanzler Olaf Scholz sieht verschmitzt zu, wie sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal im Westhafen begrüßen.
Bundeskanzler Olaf Scholz sieht verschmitzt zu, wie sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal im Westhafen begrüßen. dpa/Christophe Gateau

Scholz: Unterstützen Ukraine so lang wie möglich

Scholz versprach erneut, Deutschland werde die Ukraine weiterhin mit dringend benötigten Luftverteidigungssystemen ausstatten. Der beste Wiederaufbau sei „der Wiederaufbau, der gar nicht notwendig wird, weil die Städte und Kraftwerke der Ukraine vor russischen Bomben, Drohnen und Raketen geschützt sind“. Deutschland werde die Ukraine so lange wie nötig unterstützen. „In ihrem Kampf für Freiheit, Unabhängigkeit und Souveränität ist die Ukraine nicht alleine.“

Bei der Konferenz gehe es darum, Wege für die Gestaltung der Zukunft des Landes zu finden, „nicht nur für die kommenden Monate, sondern für die kommenden Jahre“, sagte Scholz. Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, müssten private und staatliche Investoren der ganzen Welt zusammengebracht werden.

Der Wiederaufbau biete auch eine Chance für die nächsten Generationen, sagte Scholz. Es müsse darüber nachgedacht werden, wie eine weiterentwickelte, nachhaltige und widerstandsfähige Ukraine entstehen könne. Das Land könne zu einem wichtigen Erzeuger grüner Energie und einem Exporteur qualitativ hochwertiger Industrie- und Agrarprodukte werden sowie ein digitales Kraftzentrum mit einigen der besten Experten der Welt. Mit Blick auf den Kandidatenstatus der Ukraine als mögliches künftiges EU-Mitglied sagte Scholz, nicht nur die Ukraine werde dadurch stärker werden, sondern Europa insgesamt.

Von der Leyen: Investition in Ukraine ist Investition in Demokratie

Von der Leyen sagte, kein Land oder keine Union könne den Wiederaufbau alleine stemmen. Man brauche starke Partner wie die USA, Kanada, Japan, Großbritannien, Australien und andere Länder sowie Institutionen wie die Weltbank. Jeder Euro, jeder Dollar, jedes Pfund, jeder Yen sei eine Investition in die Ukraine, aber auch in die demokratischen Werte weltweit.

Es seien Milliardensummen notwendig für den Wiederaufbau. Für viele Ukrainer gehe es darum, im Winter ein warmes Zuhause zu haben. Mit Blick auf den Wiederaufbau von Infrastruktur sagte von der Leyen, dies müsse eingebettet werden in den Weg der Ukraine in die EU. Ähnlich hatte sich Olaf Scholz schon am Montag bei einem deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum in Berlin geäußert.

Selenskyj: Wiederaufbau nicht erst nach Ende des Krieges

Selenskyj erläuterte, besonders dringend seien Investitionen in Krankenhäuser, Schulen, Verkehrswege und andere lebenswichtige Infrastruktur. Dieser Teil des Wiederaufbaus könne nicht auf die Zeit nach dem Krieg verschoben werden, dafür brauche die Ukraine jetzt Geld. Der von der „G7“ westlicher Industriestaaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, USA) erwogene Aufbaufonds müsse bereits im kommenden Monat seine Arbeit beginnen.

Wolodymyr Selenskyj wurde per Video nach Berlin geschaltet.
Wolodymyr Selenskyj wurde per Video nach Berlin geschaltet. AFP/John MacDougall

Der Präsident nannte einen Finanzbedarf von 38 Milliarden Dollar, um das Staatsdefizit im kommenden Jahr auszugleichen. Das Geld werde benötigt, um Lehrer und Ärzte zu bezahlen sowie Renten auszuzahlen. Die G7 haben bereits weitere Finanzhilfen für 2023 zugesagt.

In diesem Jahr flossen ihren Angaben zufolge zusätzlich zur militärischen und humanitären Unterstützung bereits Budgethilfen in Höhe von 20,7 Milliarden US-Dollar, insgesamt sind 33,3 Milliarden Dollar zugesagt. Mit Abstand größter Geldgeber sind die USA, Deutschland ist laut Finanzministerium mit einem Anteil von 1,4 Milliarden Euro größter Geber innerhalb der EU.

Polens Regierungschef: Oligarchen-Gelder für Wiederaufbau nutzen

Polens Regierungschef Morawiecki sagte, es gebe einen großen Geldtopf, der für den Wiederaufbau verwendet werden könne - nämlich eingefrorene Werte russischer Oligarchen. Man müsse sich bewusst sein, dass für den Wiederaufbau pro Monat drei bis fünf Milliarden pro Monat zusammengebracht werden müssten. Morawiecki sagte weiter, der Ukraine-Krieg sei auch ein Weckruf gewesen. Er verwies auf Abhängigkeiten von russischem Gas.

Vor der Wiederaufbaukonferenz in Berlin hatte die Ukraine auf schnelle Investitionen in die stark zerstörte Infrastruktur des Landes gedrungen. „Es ist wichtig zu verstehen, dass ungeachtet des Krieges der Wiederaufbau jetzt beginnen muss“, sagte der Minister für regionale Entwicklung, Oleksij Tschernyschow. Die Versorgung mit Strom und Energie müsse vor dem Winter gesichert und Wohnraum geschaffen werden.

40 Prozent des ukrainischen Energieversorgungssystems zerstört

Die Ukraine war in den vergangenen zwei Wochen von fast 300 russischen Raketen und Drohnen getroffen worden. Nach ukrainischen Angaben wurde die Energie-Infrastruktur zu 40 Prozent zerstört.

Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal hat die militärische Unterstützung Deutschlands im Krieg gegen die russischen Angreifer gelobt, gleichzeitig aber um weitere Waffen gebeten - auch Panzer. Bei der Wiederaufbaukonferenz in Berlin würdigte er am Dienstag vor allem das Flugabwehrsystem Iris-T, das eine ganze Großstadt schützen kann. Drei weitere dieser Systeme sollen im kommenden Jahr geliefert werden.

Schmyhal betonte aber auch, dass die ukrainischen Streitkräfte mehr Waffen und Munition bräuchten, um den Krieg zu gewinnen. „Wir brauchen Panzer von unseren Partnern, von allen unseren Partnern, wir brauchen gepanzerte Fahrzeuge, wir brauchen zusätzliche Artillerie.“

Dies sei Gegenstand der Verhandlungen mit den Verbündeten bei den Konferenzen auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz, die regelmäßig stattfinden. „Ich bin sicher, dass wir alle diese Ziele erreichen werden. (...) Alle zusammen werden wir den Krieg gewinnen.“

Konkrete finanzielle Zusagen wurden bei dem Expertentreffen, das bewusst nicht als Geberkonferenz angelegt war, nicht gemacht.