Test einer russischen Interkontinentalrakete, die Atomsprengköpfe in jeden Teil der Welt schießen könnte.
Test einer russischen Interkontinentalrakete, die Atomsprengköpfe in jeden Teil der Welt schießen könnte. dpa/Roscosmos Space Agency Press Service

Die Drohung steht seit Beginn der russischen Ukraine-Invasion im Raum: Der Krieg könnte eskalieren und sich in einen Flächenbrand verwandeln. Ein dritter Weltkrieg, so die Einschätzung von Militärexperten, wäre ein Atomkrieg mit kaum auszudenkenden Folgen für die gesamte Menschheit.

Am 27. Februar hatte der russische Präsident Putin in einer im TV live übertragenen Sitzung mit Verteidigungsminister Schoigu verkündet, die „Abschreckungskräfte der russischen Armee in besondere Kampfbereitschaft zu versetzen“. Begründet wurde dieser Schritt mit angeblich „unfreundliche Maßnahmen gegen unserem Land“, so Putin. Gemeint waren damit die Sanktionen, die Russlands Wirtschaft offenbar zusammen mit den unmittelbaren Kriegsfolgen an den Rand der Staatspleite gedrängt haben. Daneben erwähnte Putin „aggressive Äußerungen gegenüber unserem Land“.

Russland droht mit Atomschlag, doch der Krieg in der Ukraine verläuft nicht nach Plan

Interpretiert wurde diese Drohung von westlichen Beobachtern in erster Linie als drastische Forderung, sich aus dem Ukraine-Krieg herauszuhalten. Kein Nato-Land hat in der Folge direkt in die Kämpfe eingegriffen, doch aus zahlreichen vorwiegend westlichen Ländern wird die Ukraine mit Waffen, Geld und anderen Zeichen der Solidarität unterstützt. Die ukrainische Armee befindet sich inzwischen in einer Situation, die zu Beginn der Invasion kaum vorstellbar war: Das Land könnte nach Einschätzung der US-Regierung den Krieg gegen Russland gewinnen. Politiker wie die ukrainischstämmige Grüne Marina Weisband sagen sogar: Das Land MUSS ihn gewinnen.

Doch eine eigene Niederlage ist für Russland offenbar nicht vorstellbar. Eher würde die Kreml-Regierung den Konflikt über die Grenzen der Ukraine hinaus eskalieren. Oder ist dies angesichts der offenkundigen Schwächen der russischen Armee nur eine leere Drohung? Kaum ein Land beherrschst das Spiel mit der Angst so gut wie Russland. Immer neue Atomwaffen-Systeme, Hyperschall- und Interkontinentalraketen, die jeden Punkt der Erde erreichen könnten, sollen Schrecken verbreiten. Aber was hat das Land tatsächlich vor, würde die Regierung in einer für sie aussichtslosen Situation einen Atomkrieg starten?

Lawrow spricht von Weltkrieg: „Der gute Wille hat seine Grenzen“

Vor diesem Hintergrund ist die jüngste Äußerung des russischen Außenministers Sergej Lawrow zu verstehen: Er hält es für möglich, dass der Ukraine-Krieg in einen Weltkrieg ausarten könnte. „Die Gefahr ist ernst, sie ist real, sie ist nicht zu unterschätzen“, sagte Lawrow laut der Nachrichtenagentur Interfax am Montag. Er warf dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor, seine Verhandlungsbereitschaft nur „vorzutäuschen“. Der Westen bereitet unterdessen in Ramstein neue Waffenlieferungen für die ukrainischen Streitkräfte vor.

Russland werde die Verhandlungen mit der ukrainischen Delegation fortsetzen, sagte Lawrow. Er betonte zugleich: „Der gute Wille hat seine Grenzen.“ Wenn er nicht auf „Gegenseitigkeit“ beruhe, „hilft dies dem Verhandlungsprozess nicht“. Mit Blick auf ein mögliches Abkommen zur Beendigung des Konflikts in der Ukraine sagte Lawrow, die „Rahmenbedingungen“ einer solchen Vereinbarung würden vom „Stand der Kampfhandlungen“ abhängen, die zum Zeitpunkt des „Realwerdens des Abkommens stattgefunden haben werden“.

US-Regierung glaubt an ukrainischen Sieg

Die US-Regierung hielt indessen einen ukrainischen Sieg in dem schon zwei Monate andauernden Krieg für möglich. „Sie können gewinnen, wenn sie die richtige Ausrüstung und die richtige Unterstützung haben“, sagte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am Montag nach einem Besuch in Kiew. Am Dienstag will er auf der US-Militärbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz mit Verteidigungsministern und Militärchefs aus 40 verbündeten Ländern über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine sprechen.

Austin äußerte die Erwartung, dass dabei „viele Länder“ der Ukraine „zusätzliche Munition und Haubitzen“ zusagen werden. Die USA sagten am Montag selbst weitere Waffen im Wert von insgesamt 700 Millionen Dollar für die Ukraine sowie verbündete Länder in der Region zu. Ziel des Westens ist Austin zufolge, „dass Russland so weit geschwächt wird, dass es zu etwas wie dem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr in der Lage ist“.

Zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz am Freitag ausdrücklich vor einer nuklearen Eskalation des Ukraine-Krieges gewarnt. „Es darf keinen Atomkrieg geben“, sagte der SPD-Politiker in einem am Freitag veröffentlichten Interview des Spiegel. „Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt.“ Seine zurückhaltende Strategie bei der Lieferung schwerer Waffen verteidigte der Kanzler. Doch unter dem Druck der westlichen Alliierten und Stimmen der eigenen Koalition hat Deutschland nun doch der Lieferung von Panzern an die Ukraine zugestimmt.

Ukrainische Truppen halten letzte Stellung in Mariupol

Unterdessen gingen die Kämpfe in und um die Ukraine weiter. Die russische Armee feuerte am Montag Raketen auf ukrainische Bahnanlagen in der Region Winnyzja im Zentrum des Landes ab, wobei nach Angaben der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft fünf Menschen getötet und 18 verletzt wurden. Das russische Verteidigungsministerium erklärte, am Montag insgesamt 82 militärische Ziele in der Ukraine bombardiert zu haben.

Dem ukrainischen Verteidigungsministerium zufolge versuchten russische Truppen erfolglos, in Richtung Saporischschja vorzurücken. Auch in den östlichen Regionen Luhansk und Donezk hätten ukrainische Streitkräfte russische Angriffe abgewehrt. Die zweitgrößte Stadt der Ukraine im Osten, Charkiw war demnach weiterhin „teilweise umzingelt“.

In der strategisch wichtigen Hafenstadt Mariupol schien die Lage indessen festgefahren. Die letzten ukrainischen Verteidiger harren in den Industrieanlagen von Asow-Stahl aus. Moskau hatte am Montag zwar eine einseitige Feuerpause angekündigt – Kiew beschuldigte die Russen allerdings, eine Vereinbarung für Fluchtkorridore verweigert zu haben, weshalb keine Evakuierung möglich sei. Moskau bezichtigte die Ukrainer wiederum, Hunderte Zivilisten am Verlassen der Industrieanlage zu hindern. Bis zum Abend sei niemand herausgekommen.

Russland wirft Ukraine vor, russisches Territorium anzugreifen

Unterdessen erneuerten die russischen Behörden den Vorwurf, dass die Ukraine russisches Territorium angreife. Der Gouverneur der russischen Grenzregion Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, teilte am Montagabend mit, dass Kiew das Dorf Schurawljowka bombardiert habe. Zwei Menschen seien verletzt und mehrere Häuser beschädigt worden. In der Grenzregion Kursk schossen die russischen Truppen wiederum laut eigenen Angaben zwei ukrainische Drohnen ab.

Außerdem stand am Montag ein großes Treibstofflager in Brjansk in Flammen. Die russischen Behörden machten zunächst keine Angaben zur Brandursache. Die Stadt, die 150 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt liegt, dient allerdings als Nachschubbasis für die russischen Streitkräfte in der Ukraine.