Russlands Präsident Putin schürt einmal mehr die Angst vor dem Atomkrieg.
Russlands Präsident Putin schürt einmal mehr die Angst vor dem Atomkrieg. dpa

Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hat der russische Präsident Wladimir Putin die Angst vor dem Einsatz von Nuklearwaffen gegen den Westen geschürt: Bedrohlich wirkende Aufnahmen von gezündeten Topol-M-Raketen, die im Ernstfall mit Atomsprengköpfen ausgerüstet würden, liefen über die Fernsehkanäle, in russischen Talkshows wurde über die Auslöschung ganzer Metropolen wie New York gescherzt.

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Anders als in Deutschland, wo die Angst vor dem Atomkrieg bis heute politische Entscheidungen lähmt, wurden diese Drohungen in der Ukraine kaum ernst genommen: Dort erfährt man die tatsächliche Bedrohung Russlands Tag für Tag, hat aber auch die Schwächen der vermeintlich unbesiegbaren russischen Armee offengelegt und diese sogar in arge Bedrängnis gebracht.

Fake-Referenden sollen besetzte ukrainische Gebiete zu Russland erklären – und die Atomangst schüren

Aus diesem Grund hat Russlands Präsident Putin den für Russland bislang desaströs verlaufenden Krieg am Mittwoch mit der verkündeten Teilmobilmachung eskaliert. Beobachter bewerten den Schritt bislang eher als Ausdruck der Verzweiflung denn als Befreiungsschlag.

Als entscheidender und problematischer stufen Experten die Ansetzung von Fake-Referenden in den von Russland besetzten Gebieten ein. Deren Ausgang ist vorhersehbar: Mit den angeblich repräsentativen Volksentscheiden sollen die ukrainischen Gebiete zu russischem Staatsgebiet erklärt werden.

Auch wenn so gut wie kein Staat der Welt dies anerkennen würde, hätte Russland damit eine neue Bedrohungslage geschaffen. Denn wenn aus russischer Sicht Krim, Donbass, Luhansk und andere besetzte ukrainische Gebiete zu Russland gehören, würde ein Angriff auf dieses vermeintlich russische Staatsgebiet einen Anlass für den Einsatz von Nuklearwaffen geben. So ist es in der russischen Nukleardoktrin festgelegt, die Atomwaffen sozusagen als letztes Mittel vorsieht, um die Integrität des russischen Staatsgebiets im Falle eines Angriffs abzusichern.

Ukraine-Oberbefehlshaber kontert Atomdrohung: Wir werden Russland vernichten

Dass die Ukraine die besetzten Gebiete angreifen und versuchen wird, diese zurückzuerobern, hat der ukrainische Oberbefehlshaber verdeutlicht und wiederum Russland gedroht: „Wir werden jeden vernichten, der mit Waffen in unser Land kommt – ob freiwillig oder durch Mobilisierung.“ Putin wiederum hatte seine unausgesprochene Atom-Drohung in seiner Ansprache mit den Worten unterstrichen: „Dies ist kein Bluff.“

Weil es auf russischer Seite jenseits der polternden Drohungen Planspiele für den Einsatz sogenannter taktischer Atomwaffen wiederum als letztes Mittel gibt, falls die Armee mit konventionellen Waffen in Bedrängnis gerät, raten einige Experten zur Vorsicht. Allerdings wäre der Einsatz mit unkalkulierbaren Konsequenzen vor allem für Russland verbunden, angefangen von der Verstrahlung des attackierten Gebietes und der Gefährdung eigener Truppen. Selbst wenn Wladimir Putin darauf keine Rücksicht nehmen würde, könnte auch das politische Kalkül nicht so aufgehen wie erhofft. Erwarten würde die russische Führung, die Ukraine und den Westen zu Friedensverhandlungen zu zwingen. Doch wie Umfragen nahelegen, würden die Reaktionen des Westens und anderer Weltregionen nicht so ausfallen, wie russische Atomstrategen sich das ausmalen.

Russisches Atomangst-Kalkül geht nicht auf: Nur wenige Deutsche wollen bei russischem Angriff nachgeben

Gerade einmal 11 Prozent der Bevölkerung sprechen sich für den angenommenen Fall eines Atom-Angriffs gegen das Nato-Mitglied Lettland für umgehende Aufnahme von Friedensverhandlungen mit Moskau aus. Deutlich mehr Deutsche sprechen sich für eine nicht-nukleare Vergeltung aus, so das Ergebnis einer Befragung der Berliner Hertie School of Governance. Die Unterstützung, die Russland bislang noch aus einigen Ländern Afrikas und Südamerikas erfährt, würde im Falle eines Atomwaffeneinsatzes schlagartig bröckeln.

Russland stünde also isolierter da als zuvor und hätte mit der Eskalation überhaupt nichts erreicht. Deshalb raten Verteidigungsexperten wie Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik dazu, sich bei der Unterstützung der Ukraine nicht von russischen Drohungen beirren zu lassen.