Der russische Präsident Putin vergangene Woche vor Anhängern in Moskau.
Der russische Präsident Putin vergangene Woche vor Anhängern in Moskau. imago

Das Wort „Regimewechsel“ steht im Raum: Joe Biden hat es nicht wörtlich bei seiner Rede in Warschau ausgesprochen, aber der Satz, der nicht im Redenmanuskript des US-Präsidenten stand, ist unmissverständlich: „Um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben“, sagte Biden am Sonnabendabend in einer Rede vor historischer Kulisse im Innenhof des Warschauer Königsschlosses.

Regimewechsel: Planen die USA den Sturz Putins, wie damals im Irak mit Saddam Hussein?

Damit stellt der US-Präsident offen die Machtfrage. Dabei hatte sich Biden schon vorher extrem undiplomatisch und klar ausgedrückt: „Diktator“, „Schlächter“ und „Tyrann“ nannte er Putin angesichts des brutalen Angriffskriegs in der Ukraine. Doch was er am Sonnabend bei seinem Polen-Besuch sagte, wirft Fragen auf: Planen die USA die Absetzung des russischen Präsidenten, so wie sie die Entmachtung des irakischen Präsidenten Saddam Hussein betrieben hatten?

Die US-Regierung versuchte schnell, die Worte von Präsident Biden wieder einzufangen: Als Aufruf zum Regimewechsel in Moskau seien sie nicht zu verstehen, hieß es am Sonnabendabend.

Aber wie soll man die Worte Bidens sonst verstehen? Oder andersherum gefragt: Wie kann man mit einem russischen Präsidenten umgehen, der zahlreichen Regierungschefs ins Gesicht gelogen hat, bis zur Ukraine-Invasion behauptete, der massive Aufmarsch russischer Truppen an der ukrainischen Grenze sei nur ein Manöver? Nicht nur die US-Regierung plant bereits für die Zeit nach Putin.

So sagte jetzt die  britische Außenministerin Liz Truss, was Russland nach einem Abzug der Truppen aus der Ukraine erwartet: So könnten die massiven Sanktionen gegen das Land aufgehoben werden. Moskau müsse sich neben einem Waffenstillstand und dem Abzug seiner Truppen verpflichten, „keine weiteren Aggressionen“ gegen die Ukraine zu unternehmen, damit die gegen Hunderte Personen und Organisationen verhängten britischen Sanktionen gelockert werden können, sagte Truss der Zeitung Sunday Telegraph.

Doch wäre so etwas überhaupt vorstellbar mit einem russischen Präsidenten Putin? Wie sollte der einen Rückzug von einer Invasion rechtfertigen, in der Tausende russische Soldaten gestorben sind – als Folge von gigantischen Fehleinschätzungen und abwegigen Großmachtsfantasien?

Regimewechsel in Moskau? US-Regierung rudert umgehend zurück

Joe Biden trifft bei seinem Besuch in Polen auf ukrainische Geflüchtete und nimmt ein Kind auf den Arm.
AP
Joe Biden trifft bei seinem Besuch in Polen auf ukrainische Geflüchtete und nimmt ein Kind auf den Arm.

Bei seinem Auftritt in der polnischen Hauptstadt wurde Biden deutlich: Russland habe die Demokratie „erwürgt“ und versuche dies auch anderswo zu tun, so Biden. „Ein Diktator, der ein Imperium wiederaufbauen will, wird die Freiheitsliebe eines Volkes niemals auslöschen.“

Tausende Menschen versammelten sich am Sonnabendnachmittag in Warschau im und um das Königsschloss, um Bidens Rede zu hören. Sie wurde auch vor dem Schloss übertragen. Immer wieder flammte Applaus auf. Viele Menschen hielten ukrainische Flaggen in den Händen, einige wedelten auch mit der US-Flagge. Der US-Präsident bezeichnete Putin mehrfach als „Diktator“ oder „Tyrann“. Erst ganz am Ende seiner Ansprache sagte er aber den entscheidenden Satz über Putins Macht.

Kremlsprecher Peskow weist Biden-Äußerung zurück: „Präsident Russlands wird vom russischen Volk gewählt“

Das Weiße Haus ruderte umgehend zurück. Ein ranghoher Vertreter des Weißen Hauses bemühte sich, zu betonen, dass der Präsident mit seiner Äußerung nicht direkt zum Sturz Putins aufgerufen habe. „Die Botschaft des Präsidenten war es, dass es Putin nicht erlaubt sein darf, Macht über seine Nachbarn oder die Region zu haben. Er sprach nicht über Putins Macht in Russland oder einen Sturz der Regierung“, sagte er weiter. US-Außenminister Antony Blinken verdeutlichte am Sonntag, die Vereinigten Staaten strebten keinen Machtwechsel in Russland an. Bei einer Pressekonferenz mit seinem israelischen Amtskollegen Jair Lapid sagte Blinken in Jerusalem, es gehe vielmehr darum, dass Kremlchef Wladimir Putin „nicht dazu ermächtigt werden kann, Krieg gegen die Ukraine oder jedes andere Land zu führen“.

Dennoch entgegnete Kremlsprecher Dmitri Peskow: „Das entscheidet nicht Biden, der Präsident Russlands wird vom russischen Volk gewählt.“ CNN berichtete unter Berufung auf einen Mitarbeiter des Weißen Hauses, dass die Äußerung Bidens nicht im vorbereiteten Redentext gestanden habe. Der russische Außenpolitiker Konstantin Kossatschow legte später nach: Biden mache mit „erschreckender Regelmäßigkeit“ Äußerungen und Fehler, die schlimmer seien als Verbrechen, meinte Kossatschow. Es habe Zeiten gegeben, da habe das Wort eines US-Präsidenten Gewicht gehabt, das sei nun vorbei, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im russischen Föderationsrat.

US-Präsident Biden warnt Putin und spricht von „großer Schlacht zwischen Demokratie und Autokratie“

Biden warnte Putin auch mit eindringlichen Worten vor einem Angriff auf das Nato-Bündnisgebiet. „Denken Sie nicht mal daran, gegen einen Zentimeter Nato-Gebiet vorzugehen.“ Die USA und ihre Nato-Partner hätten eine „heilige Verpflichtung“, das Bündnisgebiet mit der geballten Macht aller Mitglieder zu verteidigen.

„Wir halten zu euch“, sagte der US-Präsident an die Menschen in der Ukraine gerichtet. „Gebt die Hoffnung niemals auf, werdet nicht müde, lasst euch nicht entmutigen und habt keine Angst.“ Gleichzeitig schwor er die Welt auf einen langen Konflikt um die künftige internationale Ordnung ein. Es gehe um eine „große Schlacht zwischen Demokratie und Autokratie“.

Über zwei Millionen Ukrainer nach Polen geflüchtet

Biden hat sich in Warschau nicht irgendeinen Ort für seine Ansprache ausgesucht. Das Warschauer Königsschloss gilt als Symbol der im Zweiten Weltkrieg einst von Nazideutschland großteils zerstörten und später wiederaufgebauten Stadt. Nach seinem Besuch in Brüssel war Biden am Freitag nach Polen weitergereist.

Der Nachbarstaat der Ukraine blickt mit großer Sorge auf Russlands Aggression. Polen trage mit Blick auf die Geflüchteten aus der Ukraine die Hauptlast, hieß es vor Bidens Reise aus dem Weißen Haus. Knapp 2,27 Millionen Menschen aus der Ukraine sind bislang nach Polen eingereist. Es gibt derzeit keine offiziellen Angaben dazu, wie viele von ihnen in Polen geblieben und wie viele bereits in andere Staaten weitergereist sind.

Biden besuchte vor seiner Rede das Warschauer Nationalstadion, um sich einen Eindruck von dem Hilfseinsatz für Geflüchtete zu verschaffen und selbst mit Ukrainern zu sprechen. Auch hier fand er wieder deutliche Worte für Putin und nannte ihn einen „Schlächter“.

„Wir alle müssen jeden Tag die harte Arbeit der Demokratie leisten“

Zuvor standen politische Gespräche auf Bidens Programm – etwa mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda. Am Vormittag hatte sich Biden auch mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba und dem Verteidigungsminister Olexij Resnikow beraten. Diese hatten sich in Warschau mit ihren jeweiligen US-Amtskollegen getroffen. Eine Teilnahme Bidens an Gesprächen auf Ministerebene ist ungewöhnlich – und ließ darauf schließen, dass Biden damit eine Botschaft der Solidarität für die Ukraine senden wollte.

Vor seiner Reise nach Polen stand auch die Frage im Raum, ob Biden kritische Worte für Polens Regierung finden würde. Zuletzt hatte die US-Regierung ein geplantes Mediengesetz, gegen das Präsident Duda schließlich sein Veto eingelegt hat, mit deutlichen Worten als Gefahr für die Medienfreiheit eingestuft. Biden ging nun nicht direkt in die Offensive, kam aber indirekt auf das Thema zu sprechen.

In seiner Ansprache sprach Biden über die essenziellen Prinzipien einer „freien Gesellschaft“ und nannte auch die Pressefreiheit. An dieser Stelle seiner Rede war der Applaus im Warschauer Königsschloss ganz besonders intensiv. „Wir alle, auch hier in Polen, müssen jeden Tag die harte Arbeit der Demokratie leisten. Auch in meinem Land.“

Am Sonnabendabend trat Biden schließlich wieder die Heimreise in die USA an. Damit ging sein zweitägiger Besuch in dem Nato-Partnerstaat zu Ende. Am Freitag war der US-Präsident ins südostpolnische Rzeszow gereist und hatte dort stationierte US-Truppen besucht. Die Stadt liegt nur rund 90 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt.