In der Innenstadt von Kiew beziehen ukrainische Soldaten Position, um die russischen Besatzer zurückzudrängen.
In der Innenstadt von Kiew beziehen ukrainische Soldaten Position, um die russischen Besatzer zurückzudrängen. AP/Emilio Morenatti

Die russische Armee ist bei ihrem Angriffskrieg auf die Ukraine bis in die Hauptstadt Kiew vorgedrungen. Das ukrainische Verteidigungsministerium berichtete am Freitag von russischen „Saboteuren“ im nördlichen Stadtbezirk Obolon. Menschen rannten demnach weg, um sich in Sicherheit zu bringen. Schüsse waren zu hören und bis ins Stadtzentrum auch größere Explosionen.

Außenminister Dmytro Kuleba sprach von „schrecklichen russischen Raketenangriffen“ auf die Stadt mit knapp drei Millionen Einwohnern. Das Verteidigungsministerium rief die Bevölkerung in Kiew auf, Molotow-Cocktails zum Kampf vorzubereiten und Sichtungen über russische Militärtechnik zu melden. Einwohner sollten ihre Wohnungen nicht verlassen.

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UN: 100.000 Ukrainer auf der Flucht

Nach Schätzung der Vereinten Nationen sind inzwischen in der Ukraine schon 100.000 Menschen auf der Flucht. Tausende hätten die Ukraine bereits verlassen. Die Organisation rief die Nachbarstaaten auf, die Grenzen für Schutzsuchende offen zu halten. In Polen, der Slowakei, Ungarn, Rumänien und der Republik Moldau kamen bereits Hunderte Flüchtlinge aus der Ukraine an. Dort wurden in den grenznahen Gebieten provisorische Aufnahmelager vorbereitet. Auch Berlin und Brandenburg haben sich bereit erklärt, Flüchtlinge aufzunehmen.

Menschen suchten in einer U-Bahn-Station in Kiew Schutz.
Menschen suchten in einer U-Bahn-Station in Kiew Schutz. dpa/Emilio Morenatti

Die USA gehen davon aus, dass Russland die Regierung in Kiew stürzen will. Die russischen Streitkräfte hätten „die Absicht, die Regierung zu entmachten und ihre eigene Regierungsform zu installieren“, sagte ein führender Vertreter des US-Verteidigungsministeriums. Am Nachmittag rief Putin das ukrainische Armee zum Putsch auf und bot der Ukraine Verhandlungen in der belarussischen Hauptstadt Minsk an. Die Ukraine schlug dagegen Warschau vor.

Gelinge es Putin, die Ukraine militärisch zu beherrschen, werde er sicherlich versuchen, dort eine Art rigoroses „Friedensdiktat“ durchzusetzen, schätzt auch der Tübinger Osteuropa-Experte Klaus Gestwa im SWR.

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„Dann hat er natürlich in den nächsten Jahren einiges damit zu tun, die Ukraine nach seinen politischen Vorstellungen neu zu gestalten.“ Eine von Russland dominierte Ukraine werde auch von politischen Säuberungen und von politischer Repression schwer betroffen sein.

„Russland wird auf jeden Fall dem Westen gegenüber aggressiver auftreten als bisher. Da wird also noch einiges auf unsere Politik zukommen. Wir können alle nur hoffen, dass Putin aus dieser verfahrenen – aus dieser tragischen Situation nicht als der politische Gewinner hervorgeht.“

EU will Sanktionen erneut verschärfen

Die EU und die USA belegten Russland mit verschärften Sanktionen, verzichteten aber noch auf härteste Strafmaßnahmen. Doch schon am Freitag kündigte EU-Ratspräsident Charles Michel weitere Sanktionen der Europäer gegen Moskau an. Ein „weiteres (Sanktions-)Paket wird dringend vorbereitet“, sagte er. Dabei friert die EU Vermögenswerte des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des Außenministers Sergej Lawrow ein.

Moskau drohte mit Vergeltung für die Strafmaßnahmen. Aber trotz seiner groß angelegten Attacke setzt Russland eigenen Angaben zufolge die Gaslieferungen über Pipelines durch die Ukraine nach Europa fort.

Menschen versuchen in einen Bus zu steigen, um Kiew zu verlassen.
Menschen versuchen in einen Bus zu steigen, um Kiew zu verlassen. dpa/Emilio Morenatti

Putin hatte am Donnerstag nach monatelangem Truppenaufmarsch an den Grenzen eine Offensive aus verschiedenen Richtungen gegen das Nachbarland gestartet, nach Angaben aus Kiew wurden allein am Donnerstag mindestens 137 Menschen bei Gefechten getötet. Während Panzer in die ehemalige Sowjetrepublik vorstießen, gab es Luftangriffe im ganzen Land. In Kiew flüchteten die Menschen zum Schutz auch in U-Bahnhöfe.

Sorge um Atomkraftwerk in Tschernobyl

Russland zerstört eigenen Angaben zufolge 118 ukrainische Militärstandorte. Nach der Eroberung des früheren Atomkraftwerks Tschernobyl am Donnerstagabend sichern russische Fallschirmjäger das Gelände. Die Strahlung rund um das Kraftwerk sei normal, hieß es von russischer Seite. Hingegen teilte die zuständige ukrainische Behörde mit, sie messe deutlich erhöhte Strahlenwerte. Wegen der Kämpfe um Tschernobyl berief die tschechische Atombehörde vorsichtshalber einen Krisenstab ein.

Frankreich wird nach Angaben von Verteidigungsministerin Florence Parly in Kürze über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine entscheiden. Man prüfe das Thema, eine Entscheidung solle „sehr bald“ fallen, sagt sie dem Radiosender RTL.

Die Bundeswehr plant einem „Spiegel“-Bericht zufolge, der Nato zusätzliche Soldaten und Waffensysteme zur Verstärkung der Ostflanke anzubieten. Zeitnah könne eine Infanterie-Kompanie – rund 150 Soldaten mit einem guten Dutzend „Boxer“-Radpanzern – verlegt werden, berichtet das Magazin. Die deutschen Soldaten könnten sich einem französischen Gefechtsverband in Rumänien anschließen, den Paris bei der Nato bereits angekündigt habe.

Der Krieg gegen die Ukraine findet nicht bei allen Russen Zustimmung. In mindestens 44 Städten kam es zu nicht genehmigten Demonstrationen, 1700 Menschen wurden festgenommen.