Trump-Fans: „Es ist eine Schande, dass wir nicht das ganze Gebäude niedergebrannt haben“
Der Sturm des US-Kapitols durch seine Anhänger sorgt für blankes Entsetzen - auch bei Parteifreunden.

Die Amtszeit des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump ist von Chaos geprägt gewesen, was aber am Mittwoch passierte, hätten sich die allermeisten Amerikaner in ihren schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen können: Aufgestachelt vom amtierenden Präsidenten marschierten am Mittwoch Tausende seiner Unterstützer von einer Trump-Kundgebung in der Nähe des Weißen Hauses zum Kapitol, dem Sitz des Kongresses. Sie überwanden Barrikaden und Polizeisperren, dann drangen Randalierer gewaltsam in das weltweit bekannte Kuppelgebäude ein.
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Senatoren und Abgeordnete mussten in Sicherheit gebracht werden, auf Bildern waren mitten im Parlament Polizisten mit gezogenen Waffen zu sehen. Eine Frau wurde angeschossen und starb danach. Drei weitere Menschen kamen nach Polizeiangaben infolge von «medizinischen Notfällen» ums Leben. 14 Polizisten wurden verletzt. Manche aus dem Mob machten aus ihrer Gewaltbereitschaft keinen Hehl. , sagte einer von ihnen einem dpa-Reporter. Ein anderer meinte, man habe das Kapitol gestürmt, «um die Verräter zu hängen».
Hardcore-Trump-Fans wittern Verrat

Die «Verräter» sind aus Sicht dieser Hardcore-Trump-Fans Senatoren und Abgeordneten, die am Mittwoch zusammengekommen waren, um das Ergebnis bei der Wahl vom 3. November formell zu bestätigen. Klarer Sieger dieser Wahl ist der Demokrat Joe Biden. Donald Trump weigert sich aber standhaft, seine Niederlage einzugestehen.
Der Republikaner sieht sich durch massiven Wahlbetrug um den Erfolg gebracht. Seine Argumente schienen dabei immer weniger in der Realität verwurzelt zu sein. Eines davon geht so: Weil er Millionen mehr Stimmen bekommen hat als bei seinem Sieg 2016, könne er gar nicht verloren haben. Dass Biden auf noch mehr Stimmen gekommen ist, liegt aus Trumps Sicht nur an Manipulationen. Ein anderes Argument: Weil er am Anfang des Wahlabends in wichtigen Bundesstaaten einen Vorsprung hatte, könne er am Ende nicht hinten gelegen haben - beziehungsweise nur deswegen, weil die Demokraten manipuliert haben.
Seit gut zwei Monaten versucht Trump immer verzweifelter, das Wahlergebnis doch noch zu kippen. Seine Amtsgeschäfte oder drängende Probleme wie der Kampf gegen die Corona-Pandemie, die mehr als 360.000 Amerikaner das Leben gekostet hat, spielen kaum noch eine Rolle. Sein öffentlicher Terminkalender wirkt absurd, seit Tagen steht dort nur: «Präsident Trump wird von frühmorgens bis spätabends arbeiten. Er wird viele Anrufe tätigen und viele Meetings haben.»
Sämtliche Klagen gegen Wahlergebnis abgeschmettert
Dutzende Klagen des Trump-Lagers gegen das Wahlergebnis wurden abgeschmettert. Bis zum Obersten Gericht zog Trump, und obwohl er beim Supreme Court mit der Ernennung von drei Richtern für eine konservative Mehrheit gesorgt hat, bekam er auch dort eine Abfuhr.
Am Wochenende versuchte Trump dann in einem Telefonat, Druck auf die republikanischen Wahlverantwortlichen im Bundesstaat Georgia auszüben - erfolglos drängte er sie, nachträglich Stimmen für ihn zu «finden». Als allerletzte Chance rechnete er sich dann aus, die offizielle Bestätigung von Bidens Sieg bei der Auszählung der Stimmen der Wahlleute aus den Bundesstaaten durch den Kongress zu verhindern, auch wenn das Vorhaben von vornherein zum Scheitern verurteilt war.
Seinen überaus loyalen Vizepräsidenten Mike Pence - der Sätze gerne mit den Worten «Dank Ihrer Führung, Herr Präsident» einleitet - forderte er öffentlich dazu auf, «betrügerische» Stimmen von Wahlleuten schlicht abzuweisen. Pence - der der Sitzung als Senatspräsident vorstand - weigerte sich unter Verweis auf die Verfassung, dem Folge zu leisten. Während es am Kapitol zu Ausschreitungen kam, schrieb Trump auf Twitter: «Mike Pence hatte nicht den Mut, das zu tun, was getan hätte werden sollen, um unser Land und unsere Verfassung zu schützen.»
Trump lobt Demonstranten: "Wir lieben Euch, Ihr seid sehr besonders."

Stundenlang herrschte im Kapitol und außerhalb des Gebäudes Ausnahmezustand. Trump rief seine Anhänger auf Twitter zwar zur Gewaltlosigkeit auf, verurteilte den Angriff auf das Parlament aber nicht. Und er ließ sich viel Zeit für den Appell an seine Tausenden Anhänger im und vor dem Kapitol, sich zu zerstreuen. «Ich weiß, wie Ihr Euch fühlt, aber geht nach Hause», sagte Trump in einem Video, das er am späten Nachmittag auf Twitter verbreitete. Dann lobte er die Demonstranten: «Wir lieben Euch, Ihr seid sehr besonders.» Und er behauptete wieder, dass die Wahl «gestohlen» worden sei.
Selbst Trumps erst kürzlich ausgeschiedene Kommunikationsdirektorin Alyssa Farah widersprach ihrem Ex-Chef öffentlich. In einem Tweet schrieb sie an Trump-Unterstützer: «Ich bin eine von Euch. Ich habe für Trump Wahlkampf gemacht und für ihn gestimmt. Aber Ihr müsst mir zuhören: Die Wahl wurde nicht gestohlen. Wir haben verloren.» Bei Trump stößt das auf taube Ohren. Schon vor der Wahl hatte er gesagt, er könne nur verlieren, wenn die Demokraten betrügen. Und er hatte sich geweigert, eine friedliche Machtübergabe zu garantieren.
Damit legte er den Grundstock für den Konflikt, der nun am Mittwoch einen bitteren Höhepunkt fand. Erst am frühen Abend konnte die Polizei melden, dass das Parlamentsgebäude wieder unter Kontrolle sei. Als Signal dafür, dass sie sich nicht einschüchtern lassen, kamen die Abgeordneten und Senatoren danach wieder zusammen, um ihre Sitzung fortzusetzen. Auch Unterstützer Trumps waren sichtlich schockiert - und zogen Konsequenzen.
Republikanische Senatoren wenden sich von Trump ab
Mehrere Senatoren, die auf Betreiben Trumps Einspruch gegen Ergebnisse aus bestimmten Bundesstaaten einlegen wollten, überlegten es sich nach dem Angriff anders. Die Ereignisse vom Mittwoch hätten sie dazu gezwungen, ihre Haltung zu überdenken, sagte etwa Kelly Loeffler, die noch am Montagabend mit Trump auf der Bühne stand. Demokraten, aber auch Republikaner machten den Präsidenten öffentlich mitverantwortlich für die den Sturm auf den Kongress.
«Dieser Mob war zu einem guten Teil Präsident Trumps Werk, aufgehetzt durch seine Worte, seine Lügen», sagte der Minderheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer. «Diese Gewalt war zu einem guten Teil seine Verantwortung, seine immerwährende Schande.» Der republikanischer Senator Mitt Romney, ein parteiinterner Kritiker Trumps, meinte: «Was hier heute passiert ist, war Aufruhr, der vom Präsidenten der Vereinigten Staaten angezettelt wurde.»
Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, betonte, man werde die Arbeit, die man begonnen habe, nun zu Ende bringen. «Wir werden den Sieger der Präsidentenwahl 2020 zertifizieren.» Allem Widerstand, allen Finten Trumps zum Trotz: Um 3.40 Uhr am Donnerstagmorgen ist es amtlich. Pence verkündet, dass Biden die Wahl gewonnen hat. Der 46. Präsident der Vereinigten Staaten wird am 20. Januar vor dem Kapitol vereidigt werden.
Trump lässt kurz darauf über seinen stellvertretenden Stabschef Dan Scavino mitteilen, er werde sich nicht gegen eine geordnete Amtsübergabe sperren - «auch wenn ich dem Ergebnis der Wahl absolut widerspreche und die Fakten mir Recht geben». Weiter heißt es: «Während dies das Ende der großartigsten ersten Amtszeit in der präsidialen Geschichte darstellt, ist es nur der Anfang unseres Kampfes, Amerika wieder groß zu machen!»
Und Trumps politische Bilanz? Sie fällt verheerend aus. Bei seinen Massenkundgebungen fragte er seine Unterstützer immer mal wieder, ob sie des Siegens schon überdrüssig seien. Nun haben seine Republikaner in nur einer Amtszeit Trumps alles an die Demokraten verloren: Die Kontrolle über das Repräsentantenhaus schon 2018, das Weiße Haus bei der Wahl im November, die Mehrheit im Senat bei zwei Stichwahlen erst am Dienstag. Ein solches Debakel hatte nach Angaben der «Washington Post» zuletzt Präsident Herbert Hoover erlitten - im Jahr 1932.