Trostlose Analyse: Protestbewegungen werden radikaler, vor allem rechts, aber nicht nur
Der sächsische Verfassungsschutz-Präsident Dirk-Martin Christian sieht ein Bröckeln der politischen Mitte und „digitalen Extremismus“ in den sogenannten sozialen Medien

Pegida-Demos, 29 Prozent AfD in den Umfragen: Der Verfassungsschutz (VS) in Sachsen kennt sich aus und registriert eine Radikalisierung in Protestbewegungen, vorwiegend rechts. „Sowohl die Corona-Proteste als auch die Anti-Flüchtlings-Proteste haben zu einer Entgrenzung in der Mitte der Gesellschaft geführt“, sagte Dirk- Martin Christian, Präsident des VS-Landesamtes. Menschen aus der Mitte der Gesellschaft würden extremistischen Positionen nicht widersprechen und hätten nichts dagegen, gemeinsam mit Rechtsextremisten an der Seite zu demonstrieren. „Die Mitte der Gesellschaft wird brüchig.“
„Wir haben im Freistaat unverändert ein latentes Protestmilieu“, sagte Christian. Zuletzt seien Leute auch wegen des Ukraine-Krieges und der Energiepreise auf die Straßen gegangen. Die Proteste hätten zwar bei weitem nicht das Ausmaß erreicht, das während der Corona-Pandemie oder zur Flüchtlingskrise 2015 eine Rolle spielte. „Der ‚Wutwinter‘ ist bisher ausgeblieben. Das heißt aber nicht, dass das Protestpotenzial verschwunden ist.“
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Themen sind für die rechten Protestler austauschbar
„Wir haben es mit Personen zu tun, die auf Themen mit Empörungspotenzial reagieren. Das sind zum Teil die gleichen Leute, die schon früher gegen Flüchtlinge auf die Straße gingen. Jetzt ist ihr Thema beispielsweise die Ampel-Koalition im Bund. Die Themen sind beliebig austauschbar, sie müssen einen nur im persönlichen Leben erfassen.“ Das Protestmilieu bleibe vorhanden und sei jederzeit abrufbar.

Christian zufolge bleibt Rechtsextremismus die größte Gefahr für die Demokratie. Als Beleg nannte er auch den Umgang mit „völkischen Siedlern“. Rechtsextremisten, die in entlegenen Gebieten eine „intakte Volksgemeinschaft“ anstreben und sich so dem „Multi-Kulti-Leben“ in Großstädten entziehen wollen. Solche Bestrebungen gibt es bundesweit. „Die Bevölkerung hält sie für ordentliche Leute, für fleißige junge Menschen mit Kindern. Auf diese Weise verschaffen sich die Rechtsextremisten eine Akzeptanz.“
Linksextremisten suchen Anschluss an die Klimabewegung
Laut Christian ist die Radikalisierung nicht auf „Rechts“ beschränkt und zeichne sich auch in der Klimabewegung ab. „Bei Klimaaktivisten stellen wir eine gewisse Distanzlosigkeit gegenüber linksextremistischen Positionen fest. Es gibt Aktionsformen bis hin zu schweren Straftaten, die von Teilen der Klimabewegung nicht oder nur halbherzig zurückgewiesen werden. Linksextremisten versuchen, Bewegungen wie ‚Ende Gelände‘ oder ‚Fridays for Future‘ für ihre verfassungsfeindliche Agenda zu instrumentalisieren und Szene- Nachwuchs zu gewinnen“.
Die Bewegung ist sehr heterogen und in ihrer Gesamtheit nicht extremistisch. Extremisten sehen beim Thema Klima aber eine hohe Anschlussfähigkeit.
„Digitaler Extremismus“, weil die Leute nur noch in ihren Internet-„Blasen“ unterwegs sind
„Nicht wenige Menschen haben Zweifel an der Demokratie und an unserem System, vor allem junge Leute. Es gibt ein tiefes Misstrauen gegenüber klassischen Medien“, beschrieb er einen weiteren Befund. Immer mehr Leute würden sich nur noch über soziale Medien informieren. „Das ist eine Gefahr. Denn in sozialen Medien wird auch Meinungsmache organisiert. Die Menschen befinden sich in ihren jeweiligen Blasen und schaukeln sich darin hoch.“ Christian spricht von „digitalem Extremismus“.
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„Wenn unser politisches System scheinbare Schwächen zeigt, wird das sofort als Shitstorm in soziale Medien getragen und dramatisiert. Die Digitalisierung hat extremistischen Bestrebungen einen Schub gegeben. Man hat nicht das Gefühl, das aufhalten zu können und den Geist wieder in die Flasche zu bekommen.“ Soziale Medien seien bei unkritischer Nutzung ein Problem. „Sie verändern unser Menschenbild, die Art des Umganges miteinander und auch das politische Denken.“