Neuer Lockdown?

+++ Top-Virologin schockt mit Aussage: Delta-Variante längst in Deutschland dominant +++ Corona-Zahlen steigen in Europa wieder an +++ Lauterbach macht Uefa für Corona-Tote verantwortlich +++

Steht Deutschland vor einem neuen Lockdown? Erstmals steigen die Corona-Infektionen in Europa wieder an.

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Reisende gehen im Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) mit Koffern durch den Abflug-Terminal. Die Delta-Variante breitet sich in vielen Ländern Europas aus.
Reisende gehen im Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) mit Koffern durch den Abflug-Terminal. Die Delta-Variante breitet sich in vielen Ländern Europas aus.dpa/Jens Kalaene

Die deutschlandweite Corona-Inzidenz bleibt einstellig, im Berliner Stadtgebiet beträgt sie gerade noch 5,7 Prozent. Dennoch sind im jüngsten Corona-Lagebericht 26 Corona-Neuinfektionen und zwei Todesfälle verzeichnet. Kündigt sich da bereits unbemerkt die vierte Corona-Welle an? Auffällig ist, dass in den Bezirken Reinickendorf (10,5) und Mitte (9,9) die Zahlen trotz Sommerwetters nicht weiter sinken. Ein ähnliches Bild zeichnet die Virologin Sandra Ciesek im Podcast „Coronavirus-Update“: In Frankfurt am Main verharren die Zahlen auf einem erhöhten Niveau und erreichen laut jüngstem RKI-Lagebericht 16,4. Auffällig ist, dass im Südwesten Deutschlands mehrere Landkreise Inzidenzen jenseits der 20 oder sogar 30 aufweisen, so Baden-Baden (23,6) und Heilbronn (30,8). Der Landkreis Lichtenfels im Südosten Deutschlands weist die höchste Inzidenz von 34,4 auf. Diese Inzidenzen beruhen derzeit noch auf wenigen Fällen, doch das könnte sich rasch ändern. Denn auch in Deutschland ist die hochansteckende Delta-Variante längst dominant: Davon ist Professorin Sandra Ciesek überzeugt.

Corona-Ansteckungszahlen erstmals seit zweieinhalb Monaten in Europa wieder gestiegen

Quarantäne und Reiseeinschränkungen sollen die Delta-Variante von Deutschland fernhalten, doch sie ist längst auch in Ländern verbreitet, die noch nicht als Virusvariantengebiet eingestuft sind. So sind die Corona-Ansteckungszahlen europaweit wegen der Ausbreitung der Delta-Variante erstmals seit zweieinhalb Monaten wieder gestiegen! Vor allem wegen starker Zunahmen in Großbritannien und Russland wurden in den vergangenen sieben Tagen insgesamt mehr als 20 Prozent mehr Infektionen verzeichnet als in der Vorwoche, wie aus einer AFP-Zählung am Dienstag auf Basis offizieller Zahlen hervorgeht. Zwar sanken die Zahlen in Frankreich zuletzt um 23 Prozent auf 1820 tägliche Neuansteckungen, in Italien um 35 Prozent auf 714 und in Deutschland um 31 Prozent auf 650. Doch in ganz Europa kamen demnach zuletzt täglich knapp 57.000 neue Fälle hinzu. Mit 46.000 Neuansteckungen am Tag war zuvor in der Woche vom 12. bis zum 18. Juni der niedrigste Wert seit Mitte September festgestellt worden.

Nun sind viele Europäer auf Urlaubsreisen, Fußball-Fans bewegen sich durch den Kontinent. Eines der Austragungsländer: Russland. Alleine dort lag die Zahl der Neuansteckungen in den vergangenen sieben Tagen durchschnittlich bei 20.400 Fällen. Das entspricht einem Anstieg um 25 Prozent im Vergleich zur Vorwoche. In Großbritannien sorgten durchschnittlich 16.400 Neuinfektionen pro Tag für einen Anstieg um 70 Prozent. In beiden Ländern machen die Behörden die zuerst in Indien identifizierte Delta-Variante des Coronavirus für die Entwicklung verantwortlich.

Auch die Zahl der Corona-Toten steigt wieder an

Auch die Zahl der Corona-Toten steigt demnach wieder, allerdings weniger schnell. Europaweit durchschnittlich 1100 Todesfälle pro Tag in der vergangenen Woche entsprachen einem Anstieg um acht Prozent.

Mehr als die Hälfte dieser Todesfälle wurde in Russland verzeichnet. Auch in Großbritannien hat sich die Zahl der neuen Todesfälle innerhalb von zwei Wochen fast verdoppelt, von täglich zehn auf 17 in der vergangenen Woche. Diese Zahl ist allerdings deutlich niedriger als zu Hochzeiten der Pandemie. Im Januar starben in Großbritannien täglich 1250 Menschen infolge einer Corona-Infektion.

RKI: Vergleichsweise wenig Infektionen aus dem Ausland eingeschleppt

Bislang allerdings machen in diesem Sommer Einreisende aus dem Ausland nur einen recht kleinen Anteil an allen erfassten neuen Corona-Ansteckungen aus. So wurden dem Robert-Koch-Institut (RKI) zuletzt innerhalb von vier Wochen 1036 Fälle gemeldet, bei denen eine wahrscheinliche Ansteckung im Ausland angenommen wird, wie aus dem RKI-Lagebericht von Dienstagabend hervorgeht. Das seien etwa zwei Prozent aller übermittelten Fälle. „Dies zeigt, dass im derzeitigen Infektionsgeschehen reiseassoziierte Fälle eine nachgeordnete Rolle spielen“, schreibt das RKI.

Bei 42 Prozent aller Fälle lagen indes keine Angaben zum wahrscheinlichen Infektionsland vor. Das RKI macht in seinem Bericht weder Angaben zu den Ländern, aus denen Infizierte einreisten, noch unterscheidet der Bericht nach Varianten. Im Virusvariantenbericht von vergangenem Mittwoch hatte das RKI mit Blick auf die sich verbreitende Delta-Variante geschrieben, dass die meistgenannten Länder im Zusammenhang mit Einschleppungen Afghanistan (19 Fälle), Russland (16) und Italien (14) seien. Bund und Länder hatten sich am Montag nicht auf schärfere Regeln bei der Einreise oder Rückkehr nach Deutschland einigen können, obwohl mehrere Ministerpräsidenten dies gefordert hatten.

Lauterbach klagt an: „Uefa für den Tod von vielen Menschen verantwortlich“

Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hat seine Kritik an der EM verschärft und schwerste Vorwürfe gegen die Europäische Fußball-Union (Uefa) erhoben. Das Achtelfinale zwischen der deutschen Nationalmannschaft und England am Dienstagabend in London habe „noch mal gezeigt, wie eng die Fans stehen, wie oft sie sich umarmen und anschreien“, schrieb Lauterbach (SPD) am Mittwoch bei Twitter.

Sein Schluss: „Es haben sich sicherlich Hunderte infiziert und diese infizieren jetzt wiederum Tausende. Die Uefa ist für den Tod von vielen Menschen verantwortlich.“

Im Wembley-Stadion feierten 45.000 Zuschauer den 2:0-Sieg ihrer Three Lions über den Erzrivalen. Lauterbach hatte die Zulassung von Fans für die Spiele auf der Insel wegen der dort grassierenden Delta-Variante des Coronavirus bereits im Vorfeld als „unvertretbar“ bezeichnet. Er sprach von einer „Gefährdung der Bürger Englands und der Bürger Europas“.

Umfrage: Fast jeder Vierte für Corona-Impf-Pflicht

Fast jeder Vierte in Deutschland spricht sich nach dem Auftreten der Delta-Variante des Coronavirus für eine Impf-Pflicht aus. Dies ergab eine am Mittwoch veröffentlichte Forsa-Umfrage für das RTL/ntv-„Trendbarometer“. Demnach sprechen sich 22 Prozent der Befragten für eine Impf-Pflicht für alle Bürger aus, bei denen keine gesundheitlichen Gründe dagegen sprechen. Drei Viertel der Umfrageteilnehmer (77 Prozent) finden hingegen, die Corona-Impfung sollte weiterhin freiwillig bleiben.

Für eine Impf-Pflicht sprechen sich der Befragung zufolge am ehesten die über 60-Jährigen (36 Prozent) sowie die Anhänger von CDU und CSU (37 Prozent) aus. Gegen eine Pflicht sind insbesondere die Anhänger von FDP (85 Prozent) und AfD (91 Prozent). Für das „Trendbarometer“ befragte Forsa vom 15. bis zum 28. Juni 1001 Menschen.

Kretschmann schließt weiteren Lockdown bei Corona-Welle nicht aus

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kann sich vorstellen, dass es angesichts der besonders ansteckenden Delta-Variante und der Massenveranstaltungen rund um die Fußball-Europameisterschaft zu einem weiteren Lockdown kommen könnte. „Das würde ich in keiner Weise ausschließen. Wenn die Welle dann kommt und wir in die Exponentialität kommen, haben wir ja keine anderen Möglichkeiten“, sagte Kretschmann am Dienstag in Stuttgart.

Er mache sich große Sorgen, dass sich die Delta-Variante weiter unaufhaltsam ausbreite. Mit Blick auf die feiernden Fußball-Fans in den Stadien sei das seiner Ansicht nach möglich. „Wenn ich diese Bilder sehe, ist mir da ganz mulmig“, sagte Kretschmann. Die entscheidende Frage sei, „ob wir dagegen animpfen können“, sagte der Grünen-Politiker weiter. Einige Wissenschaftler hätten die vierte Welle vorausgesagt, „und sie hatten meistens recht“.