Terror, Armut, Not: Was heißt das für Europa?
Millionen auf der Flucht, mörderische Islamisten – das kann Europa erreichen.

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Gewalt, Armut, Klimawandel, Vertreibung, Bevölkerungswachstum, Unterentwicklung: Die afrikanische Sahel-Region, die sich über 5900 Kilometer südlich der Sahara von West nach Ost erstreckt, droht zum Pulverfass zu werden. Angesichts des islamistischen Terrors, der sich dort ausbreitet, ist schon von einem zweiten Afghanistan die Rede. Viele Menschen wollen sich nach Europa durchschlagen, um dem Elend zu entkommen. Die Vereinten Nationen warnen: Ohne neue Hilfsmillionen dürfte auch Europa die Folgen bald zu spüren bekommen.
Der Ruf wurde gehört. Bei einer Geberkonferenz, von Deutschland organisiert, kamen jetzt aus 20 Ländern rund 1,4 Milliarden Euro zusammen, 100 Millionen davon aus Deutschland.
Millionen Menschen stünden in einem Brennpunkt von Problemen, sagt Mark Lowcock. Der UN-Nothilfekoordinator erklärt, eine Hungerkrise zeichne sich ab, der Abgrund sei schneller erreicht worden als noch vor ein paar Monaten gedacht. Nothilfe sei aber ein zu kleines Pflaster für eine ständig tiefer werdende Wunde. Menschen gerieten in die Fänge von Banden und Terroristen. Lowcock: „Sobald solche Leute Gebiete kontrollieren, fangen sie an, ihre zerstörerischen Ideen zu verbreiten, zu exportieren und Anschläge zu planen. “
Mit dem eingesammelten Geld sollen mehr Nothilfe und Projekte für langfristige Entwicklung verstärkt werden. Die Zahl der Menschen, die Hilfe brauchen, sei seit März 2019 um die Hälfte auf 13 Millionen gestiegen. In diesem Jahr seien 2,1 Milliarden Euro nötig, um die Bedürftigsten zu unterstützen – die Geberkonferenz hat das nicht erreicht.

Unter den sieben Sahel-Staaten ist die Lage in Burkina Faso, Niger und Mali besonders prekär. In Burkina Faso wachsen die Flüchtlingszahlen so schnell wie in keiner anderen Region der Welt. Mehr als eine Million Menschen sind auf der Flucht. Denn die rund 600 Kilometer breite Sahel-Zone ist Operationsgebiet vieler bewaffneter Gruppen. Einige haben den Terrorgruppen Islamischer Staat (IS) oder Al-Kaida die Treue geschworen. Frankreich hat dort bei der Anti-Terror-Mission „Barkhane“ 5100 Soldaten. In Mali hilft die Bundeswehr mit.

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Bergab geht es in der Region seit etwa 2010. Der Bürgerkrieg in Libyen läutet den Zusammenbruch des Gaddafi-Regimes ein. Zwei Jahre später kommt es zum Militärputsch in Mali. Über die unkontrollierbaren Grenzen werden Waffen verschoben, die ursprünglich nigerianische Terrorgruppe Boko Haram, die lange im Verborgenen wuchs, terrorisiert die Region mit Abertausenden Toten.
Die Gesellschaftsstrukturen brechen zusammen, auch durch die Klimakrise. Sie schürt Konflikte zwischen Bauern und Hirten, die um schwindendes fruchtbares Land streiten. Extremisten fachen Konflikte zwischen ethnischen Gruppen an, Gangs locken Kinder mit falschen Versprechungen an und terrorisieren Nachbarschaften.
Die Regierungen müssten die Kontrolle über ihr Territorium zurückgewinnen, sagt Lowcock. Nicht leicht: „Zu oft regieren dort Leute, die meinen, der Sinn öffentlicher Ämter sei es, sich zu bereichern.“ Oft reagierten Militärs und Polizei selbst mit Gewalt. Hier könnten andere Länder mit Menschenrechtstrainings helfen, damit die Bevölkerung hinter dem Militär steht und nicht genauso viel Angst vor ihm hat wie vor Terroristen und Banditen.
Lowcock ist überzeugt, dass es auch in der Sahel-Region vorwärts gehen kann. Die Region sei reich an natürlichen Ressourcen, etwa Solarenergie. Auch „Nollywood“, wie die Film- und Videoindustrie Nigerias genannt wird, zeige, welches Potenzial die Region habe. Er lobt deutsche Vorhaben, weil sie sich auf die Zukunft richten. Deutschland unterstützt etwa ein Projekt des Arbeiter-Samariter-Bundes, der mit 10.000 Menschen in Mali, Burkina Faso und Niger Saatlöcher in Wüstenflächen gräbt, die nach der nächsten Regenzeit Vegetation sprießen lassen sollen.