Verfassungsgericht erlaubt Knallhart-Maßnahmen

Das große Nichts der Corona-Runde. Olaf Scholz wollte keine sofortigen Entscheidungen

Gibt es eine neue Corona-Notbremse? Wie könnte sie aussehen? Und wann kommen?

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Olaf Scholz (SPD) betritt zur Corona-Krisenrunde das Kanzleramt, zu dessen Hausherren er kommende Woche gewählt werden will.  
Olaf Scholz (SPD) betritt zur Corona-Krisenrunde das Kanzleramt, zu dessen Hausherren er kommende Woche gewählt werden will. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Die Corona-Krise hat das Land im Griff. Die Infektionszahlen explodieren, Kliniken sind am Rande ihrer Belastungsfähigkeit oder schon darüber, die Omikron-Variante ängstigt.  Bei einem teilweise übers Telefon geführten Runde von Noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dem designierten SPD-Kanzler Olaf Scholz und den 16 Länderchefs gab es am Dienstag zwar eine Art Einigung. Die Umsetzung verschiedenster Maßnahmen bis hin zur 2G-Regel in Geschäften und bei Veranstaltungen soll aber erst kommende Woche mit Beratungen im Bundestag beginnen. Scholz, der sich für eine allgemeine Impfpflicht ab Februar aussprach, soll bei der knapp dreieinhalbstündigen Runde sofortige Eingriffe blockiert haben. Die Folge: Details sollen bis Donnerstag ausgearbeitet werden, verkündete Regierungssprecher Steffen Seibert, um DANN zu gemeinsamen Beschlüssen zu kommen.

Helge Braun (CDU), der geschäftsführende Kanzleramtschef, hatte schon am Dienstagmorgen dem Sender RTL/ntv gesagt: „Beschlüsse sind für heute nicht geplant. Das war die Vorbedingung für das Treffen.“ 

Dabei erwartet Deutschland, dass nicht nur geredet, sondern endlich auch gehandelt wird. Laut einer Umfrage für das Trendbarometer von RTL/ntv sind 65 Prozent der Bundesbürger für einen Lockdown. Vier Punkte mehr als vor einer Woche. 

Konkrete Vorgaben dafür erhofften sich viele von den grundsätzlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Freiheitsbeschränkungen in der Corona-Pandemie, die am Dienstagmorgen in Karlsruhe veröffentlicht wurde. Ergebnis: Die Maßnahmen waren rechtlich in Ordnung. Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen hätten zwar in erheblicher Weise in verschiedene Grundrechte eingegriffen, seien aber „in der äußersten Gefahrenlage der Pandemie“ mit dem Grundgesetz vereinbar gewesen.

Scholz wartete dann während der Runde auch mit Vorschlägen auf.

Die Scholz-Liste
  • Massive Kampagne mit 30 Millionen Auffrischungsimpfungen bis Weihnachten.
  • Impfen auch durch Apotheker
  • 2G in Geschäften und bei Veranstaltungen
  • Wieder Maskenpflicht in Schulen
  • Impfpflicht für Beschäftigte von Krankenhäusern und Pflegeheimen
  • Nachbesserungen beim gerade geänderten Infektionsschutzgesetz, um den Bundesländern härtere Eingriffsmöglichkeiten zu bieten.

Weiterhin sollen an Infektions-Hotspots regionale Ausgangssperren für Ungeimpfte ermöglicht werden. Bisher müsste diese zum Beispiel in Bayern oder Sachsen spätestens am 15. Dezember enden.

Vorerst ist also offen, ob und wann was kommt. Scholz sagte in der Runde zwar, er sei für eine allgemeine Impfpflicht ab Februar, wenn genügend Impfstoff da sein, und würde selbst dafür stimmen. Es bedürfe einer Abstimmung im Bundestag ohne „Fraktionszwang“, also den Druck, gegen die eigene Überzeugung zu stimmen. Das kann dauern.

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Zoff zwischen Ampel auf der einen, Union und Grün-Schwarz auf der anderen Seite

Aber schon vor der Telefonrunde, die auf Wunsch der Ampel nicht als formelle Ministerpräsidentenkonferenz galt und deshalb nicht entscheidungsbefugt war, gab es Krawall: Die von CDU oder CSU geführten Bundesländer sowie das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg legten eine konkrete Forderungsliste vor, weil die künftige Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP erst nach dem 13. Dezember Entscheidungen treffen wolle. Dann wird ihre Regierung im Amt sein. Aber auch der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, verlangte wie die Unionskollegen sofort Beschlüsse.

Laut dem schwarz-grünen Beschlussentwurf sollen:
  • ungeimpfte Menschen sich künftig nur mit maximal fünf Personen aus maximal zwei Hausständen treffen dürfen. Geimpfte, Genesene sowie Kinder unter zwölf Jahren würden bei der Gesamtpersonenzahl nicht mitgezählt. Ehegatten, Lebenspartner und Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft würden als ein Hausstand gelten, auch wenn sie keinen gemeinsamen Wohnsitz hätten.
  •  Clubs und Diskotheken geschlossen werden. Bei Großveranstaltungen dürfe die Kapazität nur zu einem Drittel ausgelastet werden. Schleswig-Holstein will diese Regeln abhängig von Inzidenzen gestalten.
  • für den Fall, dass der Bundestag die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ nicht erneut feststellt, Regelungen des Infektionsschutzgesetzes so angepasst werden, dass den Ländern bestimmte Maßnahmen „vollumfänglich“ und über den 15. Dezember hinaus zur Verfügung stehen.
  • in Gebieten mit einer außerordentlich hohen Sieben-Tages-Inzidenz über die genannten Mindestmaßnahmen hinausgehende Beschränkungen ergriffen werden können.
  • Vorbereitungen der für eine allgemeine Impflicht zügig von der Bundesregierung eingeleitet werden. Die in der Bund-Länder-Runde am 18. November beschlossene „einrichtungsbezogene“ Impfpflicht in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern zum Schutz besonders gefährdeter Personen müsse noch in diesem Jahr in Kraft treten.

„Wir brauchen einheitliche Maßnahmen als Mindestschutz in ganz Deutschland, um Kontakte deutlich zu reduzieren und die Menschen im Land zu schützen“, twitterte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), der auch Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz ist. „Wir waren in der Bekämpfung der Pandemie immer gemeinsam am stärksten.  Vor allem aber brauchen wir zügig konkrete Ergebnisse.“

Und noch ein Streit: Diesmal um den Krisenstab

Scholz stellte in der Telefonrunde Generalmajor Carsten Breuer (56)  als Leiter des geplanten Krisenstabs zur Corona-Bekämpfung vor. Danach sollen die Vertreter mehrerer Länder argumentiert haben, dies sei nicht das eigentliche Thema der Beratungen. Darunter seien die unionsgeführten Länder Bayern und Hessen gewesen, aber auch das grüngeführte Baden-Württemberg. Der Krisenstab löse keine Probleme. Scholz hatte angekündigt, der neue Krisenstab solle unter anderem die Booster- und weiteren Corona-Impfungen in Deutschland beschleunigen.

Gibt es wieder eine Corona-Notbremse – und wie sieht sie aus?

Die nachträglich vom Verfassungsgericht genehmigte Notbremse im Infektionsschutzgesetz (Paragraf 28b) war zeitlich befristet und Ende Juni außer Kraft getreten. Im frisch überarbeiteten Gesetz der künftigen Ampel-Koalitionäre ist der Paragraf nicht mehr enthalten. Um das sich rasant ausbreitende Virus zu stoppen und die Lage auf den Intensivstationen zu entschärfen, gibt es aber aus mehreren Ländern Forderungen nach einer neuen „Bundes-Notbremse“.

Mit der alten Bremse wollte der Bund sicherstellen, dass überall dieselben Maßnahmen greifen, sobald sich die Corona-Lage in einer Region zuspitzt. Sie musste seit dem 24. April gezogen werden, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz von Ansteckungen pro 100.000 Einwohner in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen die 100 überschritt.  

Vorgesehen war dann unter vielem anderem, dass nachts zwischen 22 und 5 Uhr von Ausnahmen abgesehen niemand mehr draußen sein durfte. Menschen aus einem Haushalt durften sich nur mit einer anderen Person und deren Kindern bis 14 Jahren treffen.  Schulen war vorgegeben, ab dem Schwellenwert 100 auf Wechselunterricht umzustellen, ein Teil der Schüler musste also zu Hause bleiben. Ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 165 war Präsenzunterricht ganz untersagt. Auch hier gab es Ausnahmen.

Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen forderte nun einen „einheitlichen Teil-Lockdown in vielen Regionen des Landes, um die vierte Welle zu brechen.“ Schulen und Kitas sollten mit Masken und täglichen Tests aber möglichst offen bleiben. Für Ungeimpfte sollte es Kontaktbeschränkungen im Privaten wie im ersten Lockdown geben. Darüber hinaus forderte er auch Schließungen von Gastronomie, Bars, Diskotheken sowie das Untersagen größerer Veranstaltungen.

Gastro, Bars und Clubs schließen, Schulferien vorziehen?

Vor der Telefonkonferenz hatte es wieder viele schöne Forderungen gegeben. Grünen-Parteichef Robert Habeck sprach sich dafür aus, dass Bundesländer mit hohen Inzidenzen die Schulferien vorziehen. „Ich halte es für richtig, wenn die Weihnachtsferien in den Ländern, wo die Inzidenzen sehr hoch sind, vorgezogen werden“, sagte Habeck dem ZDF. Das könnten die Länder unterschiedlich handhaben. „Baden-Württemberg, und das halte ich für eine sehr kluge Idee, wird die letzte Woche vor den Schulferien zum Impfen der Kinder nutzen, jedenfalls das Angebot bereitstellen.“

Der geschäftsführende Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) sagte: „Wir brauchen jetzt eine Notbremse, dabei zählt nun jeder Tag.“ Er forderte unter anderem, in Regionen mit besonders kritischem Infektionsgeschehen über Schließungen von Freizeit-Einrichtungen nachzudenken. Dazu gehören für ihn auch Restaurants. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans forderte „bundesweit einheitliche, notbremsende Maßnahmen. Das kann natürlich als Ultima Ratio, als letzter Schritt, auch ein Lockdown sein“, sagte der CDU-Politiker der Bild.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mahnte erneut ein entschlossenes und gemeinsames Handeln aller an. „Jetzt muss halt der Bund seine Hausaufgaben machen“, sagte er dem Bayerischen Rundfunk. Dazu gehöre es etwa, den Apotheken die Möglichkeit zum Impfen zu geben und für genügend Impfstoff zu sorgen.

Noch-Kanzlerin Angela Merkel und ihr Nachfolger Olaf Scholz: Wird heute endlich gehandelt? 
Noch-Kanzlerin Angela Merkel und ihr Nachfolger Olaf Scholz: Wird heute endlich gehandelt? AFP/Tobias SCHWARZ

Die aktuelle Infektionslage

Das Robert Koch-Institut (RKI) gab den Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche am Dienstagmorgen mit 452,2 an. Am Montag war ein Höchstwert von 452,4 erreicht worden. Vor einer Woche hatte der Wert bei 399,8 gelegen (Vormonat: 153,7). Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages 45.753 Corona-Neuinfektionen.

Das geht aus Zahlen hervor, die den Stand des RKI-Dashboards von 03.35 Uhr wiedergeben. Vor genau einer Woche waren es 45.326 Ansteckungen gewesen. Die Zahl der in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen gab das RKI am Montag mit 5,52 an (Freitag: 5,97).