Windkraftanlagen produzieren zeitweilig so viel Strom, dass Deutschland ihn verscherbeln muss. Er kann im Land nicht verteilt werden, weil Fernleitungen fehlen.
Windkraftanlagen produzieren zeitweilig so viel Strom, dass Deutschland ihn verscherbeln muss. Er kann im Land nicht verteilt werden, weil Fernleitungen fehlen. Jan Woitas/dpa

Echt jetzt? Millionen Deutsche müssen die bittere Kröte schlucken, für ihren Strom immer exorbitantere Preise zu zahlen, während das hierzulande teure Gut für Spottpreise ins Ausland exportiert wird.

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Schon der Fakt an sich lässt einen ungläubig aufhorchen. Während wir von der Politik zum Stromsparen aufgerufen werden, überall Tipps und Ratschläge verteilt werden, bei welchen Geräten man ja wohl mindestens über Nacht den Stecker ziehen könnte, ist offenbar genug Strom da, um ihn ins Ausland abzugeben.

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Zur Erinnerung: Wir sollen sparen, weil Deutschland wegen Russlands Angriff auf die Ukraine kein russisches Gas mehr bezieht, das auch der Stromerzeugung diente. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gibt dafür fleißig Anleitungen. Etwa die: „Meine Duschzeit habe ich noch mal deutlich verkürzt“, sagte Habeck dem Spiegel auf die Frage, wie er Energie im Alltag spare. Oder: „Wenn man die Wohnung heizt und abends die Gardinen zuzieht, spart man bis zu fünf Prozent Energie.“ (Frankfurter Allgemeine)

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Deutschland „schenkt“ Nachbarländern Billig-Strom

Ja, sogar über Blackouts wurde gesprochen. Man sollte sich auf Tage ganz ohne Strom vorbereiten.

Die Folge des vermeintlichen Mangels: Der Strompreis schoss in Deutschland 2022 durch die Decke. Die Preise wurden teils mehr als verdoppelt. 55 Cent pro Kilowattstunde sind für Privathaushalte keine Seltenheit mehr.

Da setzt es dem Ganzen doch die Krone auf, dass Deutschland nicht nur Strom ins Ausland verkauft, sondern auch zu welchem Preis. Schon auf den ersten Blick scheinen die Zahlen für gute Umsätze zu sprechen. Fast 12,5 Milliarden Euro wurden 2022 mit dem Verkauf von Strom gemacht.

62,05 Terawattstunden (TWh) Strom gingen brutto ins Ausland –  gut 5 TWh mehr als 2021. Netto angekommen ist weniger wegen des Verbrauchs der Kraftwerke und der Leitungsverluste. Brutto eingeführt wurden 35,77 TWh.

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Angesichts der Lieferengpässe beim Gas wird auch der Strom in Deutschland immer teurer.
Angesichts der Lieferengpässe beim Gas wird auch der Strom in Deutschland immer teurer. Federico Gambarini/dpa

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Der Hammer ist aber, dass dieser verkaufte Strom eben erheblich günstiger ist als der, den wir einkaufen. Export-Strom geht für 20 Cent ins Ausland, Import-Strom kostet Deutschland hingegen 27 Cent pro Kilowattstunde. Wer macht denn bitte so was?

Fehlende Infrastruktur sorgt für Strom-Irrsinn

Die Antwort: Deutschland! Und alles nur, weil es nicht anders geht. Zu wenig Speichermöglichkeiten und zu wenige Leitungen für den Strom-Transport vom windreichen Norden Deutschlands in den Süden. Es bleibt nur die Option, den Strom zu verscherbeln.

Energiespeicher-Experte Prof. André Thess von der Universität Stuttgart erklärt in der Bild: „Der Erlös liegt deutlich unter den Großhandelspreisen für elektrische Energie aus dem Jahr 2022. Deutschland verkauft somit ein Produkt unter dem Marktpreis – zur Freude unserer europäischen Nachbarn, die uns bei Dunkelflaute teuren Strom verkaufen können.“

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„Wir müssen in Zukunft in der Lage sein, überschüssigen Strom selbst zu speichern und in den deutschen Strommarkt einzuspeisen“, verlangt auch Ökonom Prof. Jens Südekum (47) aus dem wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums in Bild.

Denn: Laufen im Norden die Windräder auf Hochtouren und wird Solarstrom an sonnenreichen Tagen bis zum Anschlag produziert, könnte Energie sehr günstig sein. Vorausgesetzt, man hat eben die nötige Infrastruktur.

Und an der hapert es, und deshalb wird überschüssiger Strom exportiert.

Dahinter steckt eine weit verbreitete „Nimby“-Haltung in Deutschland: „Not in my backyard“, nicht in meinem Hinterhof. Man will zwar Strom, aber bitte keine Leitung in der Nähe. Dabei hinken gerade die Südländer Bayern und Baden-Württemberg bei der Erzeugung von Wind- und Solarstrom hinterher, werden im April auch ihre letzten beiden Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 los.

Strom? Ja, bitte! - Leitung? Nein, danke!

Seit Jahren gibt es beispielsweise heftigen Widerstand gegen die Übertragungsleitung Suedlink. Die Netzbetreiber Tennet und TransnetBW wollten schon 2016 mit dem Bau der rund 700 Kilometer langen 4-Gigawatt-Leitung von Schleswig-Holstein über Niedersachsen, Hessen, Thüringen und Bayern nach Baden-Württemberg beginnen und 2022 fertig sein.

Im Umspannwerk Großgartach bei Heilbronn sollte der Strom in das Netz von Baden-Württemberg eingespeist werden. Doch überall, wo Hochspannungsmasten errichtet oder Erdkabel verlegt werden sollen, regte sich Widerstand aus Politik (der damalige bayerische CSU-Finanzminister Markus Söder drohte 2015 mit Klagen gegen Stromtrassen) und Bevölkerung, der sich in Bürgerinitiativen manifestiert.

Jetzt ist von Baubeginn 2024 und Fertigstellung 2028 für das 10-Milliarden-Euro-Projekt die Rede.